Musik-Theater & mehr
Fotos Bettina Stöß
Der Haifisch hat, anders als besungen, keine Zähne.
Verhunzte Dreigroschenoper
Die Dreigroschenoper
von Bertold Brecht, Musik von Kurt Weill
Staatstheater Nürnberg
Premiere 18. Januar 2025
Aus dem kaltschnäuzigen und frechen Stück heiter-satirischen Musiktheaters von Bert Brecht und Kurt Weill, das sei 1928 die Theaterwelt begeisterte und infizierte, hat Regisseur Jens-Daniel Herzog eine Art harmlos lahmenden, bürgerlichen Trauerspiels der anderen Art gemacht. Zu diesem Zweck hat Musikdramaturg Georg Holzer für das Nürnberger Staatstheater eine eigene „Nürnberger“ Fassung erarbeitet. Die Musik wird in voller Länge gespielt, aber statt mit sieben Musikern, die meist spielen, sind es im Nürnberger Opernhaus gut 20 Musiker, die die stilistisch schräge Musikmischung Weills spielen, ausgiebig, in ganzer Länge, denn Brechts Texte sind gehörig eingedampft worden, „in gewisser Weise „sind die Texte“ für Regisseur Jens-Daniel Herzog „nur Überleitungen zum jeweils nächsten Song“. Dies sei mit den nicht selten sehr kritischen Brecht-Erben abgesprochen.
Erstaunlich, dass sie es akzeptiert haben, denn das Stück verkommt zur revueartigen Show ohne gesellschaftskritischen Biss. Herzog betonte vorab, dass es ihm darauf ankomme, hörbar zu machen, dass sich Weill nicht nur von John Gays und Johann Christoph Pepuschs „Beggars Opera“ hat inspirieren lassen, sondern auch von den Nummernopern des barocken Repertoires, wes allerdings nur sehr eingeschränkt im Sinne von Parodie stimmt. Um diese „Mischung aus Opern- und Operettenelementen“ (seiner Meinung nach) glaubwürdig singen zu lassen, lässt Herzog das Stück, das meist im Sprechtheater mit singenden Schauspielern gegeben wird, auch von schauspielernden Sängern aus dem Opernensemble des Hauses spielen. Einmal davon abgesehen, dass kaum wirkliche Opernelemente und gar keine wirklichen Operettenelemente in der “Dreigroschenoper“ aufzufinden sind, wenn man die Gattungsbezeichnungen ernst nimmt, ist die Idee, ausgebildete Sänger mit eher unzureichend singenden Schauspielern zu kombinieren, eine Schnapsidee.
Zu gravierend sind die technischen, klanglichen und sängerischen Unterschiede. Entweder es wird prahlerisch gebrüllt und schrill opernhaft gesungen, besonders bei den Damen, oder aber unterbelichtet brav und eher liedhaft von den Herren der Schöpfung. Alles Freche, aufmüpfige, subversive des Dreigroschenopernstils, die sich doch am Moritatengesang eher orientiert, als am Opernhaften, bleibt bedauerlicherweise außen vor. Auch alles Kantige, Eckige, Charaktervolle. Stattdessen plätschert in lähmden Tempi Schönklang vor sich hin.
So lapidar die Handlung ist: Mr. Peachum und seine Frau betreiben ein florierendes Bettler-Unternehmen in London, aber privat läuft es leider nicht so gut. Ihre einzige Tochter Polly hat sich in Mackie Messer verliebt, Englands berüchtigtsten und meistgesuchten Ganoven. Der ist nur deshalb noch auf freiem Fuß, weil er den Polizeichef Tiger Brown bestochen hat, aber die Luft wird immer dünner. Brechts Gauner-Komödie zelebriert mithilfe von Weills Ohrwurm-Musik, die die menschliche Schlechtigkeit kaltschnäuzig und rotzfrech erklingen läßt.
Bei Herzog wirkt alle Schlechtigkeit gar nicht so schlecht. Herzogs Darsteller/Sänger haben keine Chuzpe, es fehlt ihnen an Temperament und an Spieltempo. Auch dirigentisch mangelt es gehörig an Tempo, Drive und Biss. Herzog zeigt harmlose Leute, die sich einen Jux machen, anstatt kaputte Menschen, die bei Brecht den Kapitalismus dafür verantwortlich machen, dass er Außenseiter schafft und die Menschen brutalisiert. Aber auch Musicalanleihen und Tanzeinlagen, groteske Bordellszenen mit unsagbar fetten Damen und Herren in schlechtsitzenden Nackttrikots (Kostüme Sibylle Gädecke) berühren peinlich (Choreographie Ramses Sigi) enttäuschen und berühren eher peinlich.
Dem drögen Geschehen im Szenischen entspricht die sängerische Besetzung: Nur Liesa Mies als Mrs Peachum hat deftiges Weill-Format und überzeugt. Nicholas Frederyck Djuren als zahnloser Mackie Messer langweilt. Inga Kriesche als Polly schreit sich schrill und musicalhaft durch die Partie. Hans Kittelmann ist ein fast unbeteiligt wirkender, liebenswerter Polizeichef Brown. Michel von Au als Besitzer der Firma „Bettlers Freund“ singt absolut unzureichend, weil charakterkos wie ein Mann ohne Eigenschaften. Von Laszivität oder Abgebrühtheit, Verruchtheit oder Raffinement ist bei keinem Sängerdarsteller auch nur eine Spur. Alles nette Leute, mehr nicht.
Die Menschen sind schlecht. Die Welt ist schlecht. Aber alle machen das Beste daraus. So scheint das Credo Herzogs zu lauten. Er wolle diesen „Fatalismus“ als „Rad des Lebens“ auf die Bühne bringen, schrieb er. Mathas Neidhardt hat ihm dafür eine At revuehaft illuminiertes Riesenrad gebaut (oder ist das Glücksrad der Furtuna?) mit vier drehbaren, gemalten Bühnenbildern. Mackie Messer darf darin kopfüber agieren und singen. Wenn er einsteigt, muss er sich anschnallen. Es darf gelacht werden. Der Abend hat etwas von einem Jahrmarkt der Belustigung. Und alle rabiate Kritik an der kapitalistischen Gesellschaft, um die es doch geht, die politische Stoßrichtung Brechts läuft ins Leere
Dirigent Max Renne dirigiert Weills Dreigroschenoper mitnichten im schrägen Stil eines jazzigen Salonorchesters wie etwa der Ruth Lewis Band, die das Stück bei der Uraufführung interpretierte. Man höre sich nur einmal die frühesten Aufnahmen der Dreigroschenoper an, der Sound, das Tempo und der ironische Tonfall reißen heute noch mit. Renne hingegen spielt die Weillsche Musik eher weichgewaschen, beiläufig, routiniert, opernhaft und ohne jede ranschmeisserische Verve. Die ironischen Antworten auf Wagner, auf die leichte Muse, auf Modetanz und Händeloper bleiben außen vor. Nein, dieser Haifisch hat, anders als besungen, keine Zähne. Renne vermeidet es, die Musik Weills scharf und sarkastisch zuzuspitzen. Weder von grellem Leierkastensound noch von anklagend bitterem Moritatengesang ist etwas zu hören. Die geistvoll parodistische, höchst vitale und modernistisch gebrochene, dabei schwungvolle Musik Weills wirkt bei Renne lahm, ja langweilig, so langweilig wie die Inszenierung Jens-Daniel Herzogs. Die einzige Musiknummer, die zündet, ist der Kanonensong, der denn auch mehrfach intoniert wird.
Dennoch: Der Abend zieht sich und ist eine Enttäuschung auf ganzer Linie!
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