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Für sein letztes Album, das aus Mitschnitten zweier Konzerte mit dem Concentus Musicus im Wiener Musikverein im Mai 2015 entstand, hat er zum ersten Mal seit 25 Jahren wieder Werke von Ludwig van Beethoven eingespielt, dessen vierte und fünfte Symphonie. Ein Wiener Kritiker schrieb nach dem Konzert, das dieser Aufnahme zugrundeliegt: „Von Befreiung aus Unterdrückung spricht nicht nur diese gewaltige Symphonie, es ist das Leben und Wirken Harnoncourts selbst, der vieles abgeräumt, entstaubt, offengelegt und aufgedeckt hat, was wir jetzt oft fassungslos mit offenen Ohren bestaunen.“ Der kürzlich erschienene Livemitschnitt von Beethovens vierter und fünfter Symphonie sollte zu Harnoncourts Weltabschieds-Aufnahme werden.
Nachruf auf Nikolaus Harnoncourt
„Meine körperlichen Kräfte gebieten eine Absage meiner weiteren Pläne.“ Mit diesen knappen, klaren Worten zog Nikolaus Harnoncourt am Vorabend seines Geburtstags den Schluss-strich unter eine Ära. Nicht nur für das Wiener Musikleben. Sein Name gilt längst weltweit als Synonym für einen interpretatorischen Neuansatz, der die Hörge-wohnheiten einer ganzen Generation von Musikfreunden entscheidend geprägt hat. Nikolaus Harnoncourt, der am 6. Dezember 1929 in Berlin als Johannes Nicolaus Graf de la Fontaine und d’Harnoncourt-Unverzagt geboren wurde, stammt väterlicherseits aus der Familie De La Fontaine von Marfille in Lothringen. Durch seine Mutter ist Nikolaus Harnoncourt direkter Nachfahre von Franz I. Kaiser des Heiligen Römischen Reiches, weil sie dessen Ur-Ur-Ur-Enkelin war. Am 5. März ist Nikolaus Harnoncourt im Alter von 86 Jahren gestorben. Er sei nach einer schweren Erkrankung friedlich im Kreis seiner Familie entschlafen, hieß es in einer Erklärung der Familie.
Er hat unsere Hörgewohnheiten revolutioniert, und die Aufführungspraxis nicht nur der Alten Musik. Dabei wollte Nikolaus Harnoncourt eigentlich Puppenspieler werden. In seiner Jugend hat er mit Erfolg Marionettentheateraufführungen veran-staltet. Als er im Radio Beethoven gehört habe, so erzählte er einmal, habe er Dirigent werden wollen.
Freilich dauerte es noch eine Weile, bis es dazu kam. Aber schon als Junge hatte Nikolaus Harnoncourt Cello und Klavier spielen gelernt. Im Herbst 1948 begann er in Wien ein Musikstudium. 1952 wurde der Cellist Nikolaus Harnoncourt bei den Wiener Symphonikern, die damals von Herbert von Karajan geleitet wurden, angestellt und lernte Wohl und Wehe des Repertoirs und der konventionellen Aufführungspraxis von Musik kennen. Bis 1969 blieb er in diesem Orchester. Inzwischen hatte er die Geigerin Alice Hoffelner, seine spätere Frau kennengelernt. Beide beschäftigten sich – angeregt von Eduard Melkus und Josef Mertin – mit Alter Musik und gründeten einen Musikkreis. Aus ihm ging 1957 der Concentus musicus Wien hervor, der seinen ersten, triumphalen Auftritt im Wiener Palais Schwar-zenberg hatte. Von da an veränderte sich die Aufführungspraxis von Musik.
Harnoncourts Art, Alte Musik zu vergegenwärtigen nach Maßgabe historischer Aufführungspraxis hat ihn zu einem der wichtigsten Pioniere der sogenannten „Origi-nalklangbewegung“ werden lassen. Den Begriff mochte er nie.
„Also wenn ich singe, dann produziere ich einen Originalklang. Wenn ich dagegen ein Streichinstrument von Stradivari, das um 1700 gebaut wurde, spiele, dann produziere ich noch lange nicht den Klang von 1700. Der Geiger von 1700 würde darüber lachen, was für einen Klang ich mit diesem Instrument produziere. Aber was ich tun kann: zu versuchen, mein Musizieren in Übereinstimmung zu bringen mit dem Geist der betreffenden Zeit, mit den Spielgewohnheiten und der Stilistik jener Zeit.“
Historisch informiertes Musizieren verstand sich von selbst für Harnoncourt. Seine unerschrocken rebellische, gegen viele Widerstände mit Konventionen und Traditionen brechende Herangehensweise an Musik hat mit geradezu infektiösem Potential für Aufsehen und Wirkung gesorgt, weit umfassender, als er sich selbst das wohl je ausgemalt haben dürfte. Von Anfang an hat Harnoncourt seine neuartigen Interpretationen auf Schallplatte aufgenommen. Bachs Brandeburgische Konzerte, sämtliche Bach-Kantaten, gemeinsam mit Gustav Leonhardt, Händel, aber auch viele sogeannte Kleinmeister des frühen Barock. Das Grazer Klassik-Festival Styriarte wurde seit seinem Gründungskahr 1985 zur wichtigsten Plattform des Concentus musicus Wien. Das Ensemble gab im In- und Ausland Gastspiele, Nikolaus Harnoncourt dirigierte aber auch zunehmend Opern und weitete seine Musizierpraxis auch auf moderne Orchester aus. Seit 1970 war er dem Concertgebouw Orchester Amsterdam eng verbunden, im sinfonischen Bereich, aber auch in Sachen Bach-Oratorien. An der Mailänder Scala dirigierte er 1972 Monteverdis „Il ritorno d´Ulisse in patria.“ Am Zürcher Opernhaus brachte er - gemeinsam mit dem Regisseur Jean-Pierre Ponnelle - ab 1975 einen spektakulären Monteverdizyklus heraus, der zum Auslöser einer Renaissance Monteverdis wurde.
Bei den Salzburger Festspielen, den Wiener Festwochen, aber auch bei den Wiener und Berliner Philharmonikern hat er regelmäßig dirigiert, stets ohne Taktstock, aber mit energischem Einsatz seiner ausdrucksvollen Körpersprache. Er hat ein Millionen-publikum auf aller Welt mitgerissen und unsere Musikauffassung nachhaltig verändert, nicht nur in Sachen Alter Musik, sondern auch wenn er Mozart, Schubert, Brahms, Dvorak, Bruckner, ja Alban Berg oder Johann Strauss dirigierte. Mehr als 20 Jahre lehrt er historische Aufführungspraxis und – Instrumentenkunde in Salzburg und er hat seine Gedanken über Musik in mehreren Büchern festgehalten. Die Hinterlassenschaft seiner Schallplatten- und CD-Produktionen ist gewaltig. Er ist mit Ehren und Auszeichnungen überhäuft worden. Ein erfülltes, erfolgreiches Musiker-leben, sollte man meinen. Dennoch hat Nikolaus Harnoncourt den Begriff der Zufrie-denheit immer weit von sich gewiesen, wie er in diversen Interviews bekannte:
„ Das Wort Zufriedenheit ist für mich ein Reizwort. Zufrieden kann ich nicht sein, denn dann habe ich mein Ziel nicht hoch genug gesteckt. Wenn ich ein Ziel erreichen kann, dann war es kein Ziel. Ein Ziel kann man immer nur fast erreichen.“
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