Musik-Theater & mehr
© Photos Bregenzer Festspiele / Anja Köhler
© Photos Bregenzer Festspiele / Karl Forster
Clowneskes Maschinentheater und feministische Mannsbild-Destruktion
Die Bregenzer Festspiele 2019
Das Alleinstellungsmerkmal der Bregenzer Festspiele ist "naturgemäß" (um es mit einem Lieb-lingswort Thomas Bernhardts, des aufmüpfigsten österreichischen Literaten zu sagen) die 7000 Zuschauer fassende Seebühne mit einzigartiger Naturkulisse und Atmosphäre. Freilich schreit sie nach optisch adäquaten Inszenierungen, die den gewaltigen Dimensionen der Bühne und den Erwartungen des Publikums gerecht werden. Spektakuläre Bühnenshows, groß dimensioniertes Ausstattungstheater, Bühneneffekte und Technikaufwand sind da wichtiger als psychologische Durchleuchtung und Feinmechanik der Personenführung. Insofern unterliegt die Beurteilung von Stückauswahl und Machart besonderen Kriterien.
Die Frage, ob Verdis "Rigoletto", 1851 in Venedig uraufgeführt, frei nach dem Versdrama Le roi s’amuse von Victor Hugo (Libretto Francesco Maria Piave), eher Kammerspiel als große Oper, sich für eine Aufführung in Bregenz besonders eignet, ist wohl eher zu verneinen. So verwundert es nicht, dass das Stück in der 70-jährigen Festspielgeschichte bisher noch nie aufgeführt wurde.
Dass man Philipp Stölzl mit der Realisierung betraute, ist verständlich, da er sich als bildmäch-tiger Ausstatter des Monumentalen und geschickter Arrangeur von Massen empfiehlt. Und doch ist sein "Rigoletto" eine Enttäuschung geworden. Statt Verdis differenzierte Vater-Tochter-Ma-cho-Tragödie, immerhin der erste Welterfolg Verdis, zeigt Stölzl das starre Theater eines gigan-tischen (13 Meter hohen) Clownkopfs samt dazugehöriger, Hände auf drei variablen Spiel-inseln. Als Metapher der tragischen Handlung wird der Kopf immer mehr demontiert. Er ver-liert erst die Augäpfel, dann die Nase und schließlich Zähne. Er ist Spielfläche, Kletterwand, Dekoration und geisterhaftes Symbol. Die linke Hand ist beweglich, die rechte Hand hält einen mit Helium gefüllten Fesselballon von 13 Metern Durchmesser. Der Luftballon wird zum Leit-motiv der Inszenierung. Schon zu Anfang wird vom Rigoletto-Double ein kleiner Ballon in den Himmel entlassen, Gilda darf ihr „Caro nome“ auf Ballonfahrt mit dem mit dem großen sing-en und (gedoubelt) nach ihrem Tod gen Himmel fliegen. Alles schön und gute, aber im Grunde belanglos, denn das verdische Drama (eine perfekte Oper, an die Verdi nie wieder Hand anleg-te) geht bei derlei Spektakel unter, zumal Stölzl -Schwachpunkt seiner Konzeption - das Ge-schehen ins Zirkusmilieu verlegt, was das Stück in ein völlig falsches Licht rückt. Das Stück spielt eigentlich im Palast des Herzogs von Mantua!
Stölzl macht aus dem menschlich-politischen Stück eine zirkushaft aufgedonnerte Maschinen-komödie mit Stunt-Show-Einlagen als albernes Narren- Kopftheater. Der Kopf kann mit den Augen rollen, seinen Mund bewegen, kann lachen und weinen, am Ende ergießen sich wahre Sturzbäche an Tränen aus seinen leeren Augenhöhlen. Das ist alles sehr beeindruckend. Auch die perfekte Lichtregie (Stölzl, Philipp Veit) . Da gibt es zugegeben starke Schaueffekte, beein-druckende Bilder. Aber die Aufführung hat doch etwas von gigantomanischem Puppentheater mit quietsch bunten, stereotyp carnevalesken menschlichen Statisten. Das grandios subtile Psychodrama findet eigentlich nicht statt. Stattdessen plakatives „Kasperltheater“ mit über-flüssiger Ballonfahrt (Gilda entschwebt gedoubelt nach ihrem Tod in den Bregenzer Himmel), Monstertitten-Akrobatinnen hängen tänzelnd wie die Rheintöchter in Wagners Rheingold-Uraufführung an bewegten Maschinen. Reihenweise gehen Männer wie Frauen zur Gaudi des Publikums „über Bord“. Stölzl lässt Massen von Komödianten, Artisten, Spaßmacher herum flitzen, klettern und verlangt den (seilgesicherten) Sängern atemberaubende, gefährliche Auf-tritte in schwindelnder Höhe ab. Und doch lässt Einen dieses Theater kalt.
Dabei ist die Besetzung durchweg überzeugend: In der Premiere sang der bulgarische Bariton Vladimir Stoyanov einen virilen, sehr agilen, wenn auch etwas hellen und jugendlich kling-enden Rigoletto. Der amerikanische Tenor Stephen Costello singt einen draufgängerischen Herzog. Die Südfranzösin Mélissa Petit singt und spielt höhensicher (im wahrsten Sinne des Wortes) und mit bella voce eine anrührende Gilda. Auch die übrigen Partien enttäuschen nicht. Den Prager Philharmonischen Chor hat man allerdings schon profilstärker gehört. Leider enttäuscht das langweilige, spannungsloses, unscharfe Dirigat Enrique Mazzolas. Die Wiener Symphoniker spielen unter ihm Verdi in Watte gepackt. Da nutzt auch die für zweieinhalb Millionen auf neusten Stand aufgebesserte, wirklich frappierende Bregenzer Tontechnik (BOA 2) wenig.
Die interessanten Produktionen jenseits des nur Spektakulären bringen die Bregenzer Fest-spiele zumeist im Festspielhaus. Und so war man dieses Jahr besonders gespannt auf Jules Massenets selten gespielte (einundzwanzigste) Oper "Don Quichotte“, die 1920 in Monte-Carlo uraufgeführt wurde. Ein Alterswerk über einen alten Mann (Ritter und Dichter!) und seinen getreuen Gefährten (Diener), über Spanien, über die Liebe und das Gute. Ein sich zu vielem quer stellendes, zauberhaftes Alters- um nicht zu sagen „Weltabschiedswerk“, in dem die Sakralsphäre erotisiert, der Geschlechterkampf patriarchalisch (jawohl) poetisiert und die Grenze zwischen Welt und Transzendenz aufgehoben wird.
Massenet hat sich nicht an den Roman des Cervantes gehalten: Seine Vorlage war ein Drama des (seinerzeit beliebten) französischen Bohemiens Jacques Le Lorrain, der, im Geschmack des Fin de siècle, den originalen nach Knoblauch duftenden Bauerntrampel Dulcinea durch die mondäne Kurtisane Dulcinée ersetzt und den gewaltigen Ritterroman auf wenige Szenen ein-gedampft hatte: In einem spanischen Marktflecken entbrennt der heroische Schwär-mer, nach zeitgenössischem Kritiker-Urteil "eine Art Prediger und Apostel des Guten", in schmerzlicher Liebe zur frivolen Dulcinée, die ihn erhören will, wenn er ihr ein von Banditen geraubtes Schmuckstück zurückholt. Don Quichotte macht sich mit Sancho Pansa auf den Weg in die Sierra. Er kämpft gegen Windmühlenflügel. Er fällt in die Hände der Banditen, die ihn um-bringen wollen, von seiner Großmut (und Religiösität) jedoch so erschüttert sind, dass sie ihm den Schmuck ausliefern. Aber der rückkehrende Sieger bleibt ohne Lohn. Dulcinée verlacht ihn. Gebrochenen Herzens stirbt er im Wald.
In Bregenz eröffnen Rasierklingen-Werbung und Video-Clips von inszenierter Männlichkeit in Film und Werbung die Vorstellung, noch bevor der Vorhang sich öffnet. Dann überrascht ein inszenierter Publikumsprotest. Schließlich setzt sich dieser Schauspieler mit einem aus dem Publikum kommenden Don Quichotte-Double auf das Theater auf dem Theater, zu dem sich der Vorhang öffnet. Später gibt es schließlich ein zweifaches Theater auf dem Theater. Im ersten Akt zeigt Mariame Clément ein Bilderbuch-Spanien um 1600 als konventionelle Kulisse im Stil des 19. Jahrhunderts, dann springt ihre Inszenierung ins Heute, aus dem Ritter wird ein heili-genartig umstrahlter Spiderman, der eine brutale Jugendgang mit Baseballschlägern und Mes-sern zum Guten bekehrt. Im Badezimmer kämpft Don Quichotte, aus der Dusche kommend, mit Klosettbürste und Klodeckel gegen den Ventilator, während Sancho Pansa auf seinem Lap-top spielt. Dulcineas Liebesreflektionen werden als Sentimentalität einer spießigen Sekretärin im Großraumbüro vorgeführt. Der Tod des Ritters von der traurigen Gestalt schließlich als endgültige Demaskierung des mythischen Männerbildes im Theater auf dem Theater. Wieder einmal Mal erleben wir die Destruktion der Männlichkeit, Mariame Cléments immer gleiches, scheinbar einziges Thema. Allerdings in einer unprofessionell zubereiteten, banalen Klischee-haftigkeit, dass einem die Spucke wegbleibt! Theater auf dem Theater: Kontrast von Handy-zeitalter und Pappkulissen. Wie oft denn noch? Man möchte doch das Stück von Jules Mas-senet und nicht ein feministisches Bekenntnisstück von Frau Clément sehen!
Die Lächerlichkeit ihrer willkürlichen, an szenischen Peinlichkeiten reichen Inszenierung pro-vozierte manches ungewollte Lachen im Premierenpublikum. Aber es war eigentlich zum Heulen, denn auch das Dirigat kam einer Exekution gleich. Kraft und poesielos, blutleer, ja langweilig, fern aller Massenet-Klangsinnlichkeit, ohne Sinn für französischen Charme und das Klangparfum jener Zeit offenbart der junge britische Dirigent Daniel Cohen, GMD des Staats-theaters Darmstadt, dirigentische Hilflosigkeit. Die Wiener Symphoniker folgen ihm brav.
Dabei ist auch in diesem Fall die Sängerbesetzung sehr gut, allen voran beeindruckte der junge, ungarische Bassbariton Gábor Bretz mit einer einfühlsamen, stimmlich virilen Gestaltung der Titelpartie. Der britische Bariton David Stout singt einen komödiantisch-erdverbundenen Sancho Pansa und die St. Petersburger Mezzosopranistin Anna Goryachova eine technisch außerordentlich virtuose Dulcinée, wenn auch mit dem Charme einer dunklen Wagnerorgel. Auch die kleinen Partien und der Prager Philharmonische Chor singen tadellos. Dennoch ein vertaner Opernabend. Schade.
Beitrag auch in Opera Lounge