Aster Das Reichsorchester

Misha Aster: Das Reichsorchester. Schlampiges Gefälligkeitswerk                  

 

 

 

Kaum je wurde etwas publiziert über das Kapitel der Nazizeit in der Geschichte des Berliner Philharmonischen Orchesters.  Zur Eröffnung der Saison 2007/2008 haben die Berliner Philharmoniker in ihrem 125. Jubiläumsjahr einen bemerkenswerten Schwerpunkt gesetzt: die in der Geschichtsschreibung wie Selbstdarstellung bisher vernachlässigte Rolle des Orchesters während der Jahre zwischen 1933 und 1945.  Aus diesem Anlass wurde in der Berliner Philharmonie eine Ausstellung zum Thema eröffnet und ein Buch des kanadischen Autors Misha Aster vorgestellt. 

 

Der bis heute umstrittene Dirigent Wilhelm Furtwängler war der Repräsentant des Berliner Philharmonischen Orchesters im Dritten Reich. Hitler nannte das Orchester nach seiner Verstaatlichung am 1. November 1933 sein „Reichsorchester“. Es hat lange gedauert, bis es Gegenstand einer eigenen Abhandlung wurde. Dabei zeigt die Stiftung Berliner Philharmoniker heute keinerlei Berührungsangst mit dem Nazi-Tabu, wie deren Intendantin Pamela Rosenberg bei der Buch-Präsentation erklärte:  

 

„Also, ich glaube, in keiner Familie ist es gut, wenn es eine geschlossene  Kammer gibt, wo ein Geheimnis aufbewahrt bleibt. „

 

Sie hat auch keinen Grund, nicht aufgeschlossen zu sein für die Geschichte ihres Orchesters im Dritten Reich, denn wirkliche Geheimnisse werden nicht gelüftet in dem Buch des 29- jährigen, kanadischen, deutschstämmigen Autors Misha Aster. Der Opernregisseur, Historiker, Pädagoge und Autor Misha Aster hat die heikle Aufarbeitung der Nazigeschichte des Orchesters, so scheint´s, auf die leichte Schulter genommen:

 

„Natürlich ist die Begegnung zwischen der Kunst und der Politik etwas Aufregendes. … Und das Thema, gar nicht unbedingt der Berliner Philharmoniker,  diese Beziehung zwischen Kunst und Politik, zwischen Künstler und ihrer gesellschaftliche Umgebung war für mich immer eine spannende Frage. „

 

Nur leider gibt Misha Aster keine spannenden Antworten. Man erfährt: Es gab Kompromisse auf beiden Seiten, die Nazis wollen das renommierteste deutsche Orchester zu ihrem propagan-distischen Aushängeschild machen. Das Orchester, bisher selbständig, erhielt dafür als Reichsorchester finanzielle Sicherheit. Die wenigen Juden unter den Orchestermitgliedern seien schon 1935 verschwunden gewesen. Und der deutsche Vorzeigedirigent Wilhelm Furtwängler, der wegen des Verbots der Hindemith-Oper „Mathis der Maler“ 1934 all seine offiziellen Ämter inklusive des Ersten Dirigenten niederlegte, habe schon ein halbes Jahr später wieder am Pult des Orchesters gestanden. Hitler und Göbbels im Publikum. Man hatte sich arrangiert, auf beiden Seiten. Daran änderte sich bis 1945 nichts.

 

„Es kam wohl zu Kompromissen, also moralischen Kompromisse auf jeden Fall. Opportunistisch?  Es gab vielleicht bessere Gründe, mitzumachen, als Widerstand zu leisten.“

 

Dass die Philharmoniker im Alltag (abgeschottet von Diktatur und Terror) nur eben Musiker gewesen seien, aber auf Reisen in okkupierten Gebieten als „Vorkämpfer der Fallschirmjäger“ bezeichnet worden und mit Protesten konfrontiert worden seien, gehöre nun mal  zu ihrer ambivalenten Rolle. Im Übrigen hätten sie sich tapfer gegen musikalische und ideologische Bevormundung – auch in Sachen des Repertoires - gewehrt.  „Kämpferischer Gemeinschafts-geist“ und „politisches Geschick“ im Umgang mit Tradition und Erbe seien die Stärken des Orchesters auch nach dem Zusammenbruch 1945 gewesen, als sie sich in Windeseile wieder neu formierten und an die Öffentlichkeit gingen. Und man liest allen Ernstes auf Seite 344, dass das Berliner Philharmonische Nachkriegs-Orchester 1954 „auf den Trümmern von Goebbels `Sendboten der Kunst` eine Reife erworben habe, die es ihm erlaubte, sogar ein doppeltes NSDAP-Mitglied zum Chefdirigenten zu wählen“. Da ist man sprachlos! Gemeint ist Herbert von Karajan.  Es ist eine von vielen peinlichen wie taktlosen Formulierungen des Autors.


Misha Aster hat offenbar die Standardwerke von Joseph Wulf und Fred Prieberg zur Musik im Dritten Reich nicht gelesen. Sie werden im Literaturverzeichnis nicht einmal erwähnt. Das ist blamabel!  Misha Aster stützt sich stattdessen auf weitgehend altbekannte Darstellungen. Nur wenige essenziell neue Archivforschungen kann Aster vorweisen, wo doch im Berliner Bundes-archiv kistenweise Nazi-Akten und Dokumente gerade auch in Sachen Philharmoniker für Jeden einsehbar lagern. Von den vielen faktischen und Datenfehlern des Buches ganz zu schweigen. Es scheint, Misha Aster wollte das renommierte Orchester nicht mit unbequemen Wahrheiten düpieren.


Dafür haben die Philharmoniker auch eine opulente Präsentation seines Buches übernommen. Diese erste Auseinandersetzung mit dem spannenden Thema ist – man muss es leider sagen - ein schlampig recherchiertes Gefälligkeitswerk, mehr nicht! Die notwendige, sorgfältige Auseinandersetzung mit dem Thema, sie steht nach wie vor aus! 

 

 

Besprechung auch in SWR 2 – Aktuelle Kultur

 

 

 

 

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