Offenbachfestival Komische Oper. Urfassung Fantasio UA

Origial: Photo von Nadar, im Besitz des Autors

Das Orchester derr Komischen Oper vor Beginn der konzertanten Aufführung. Photo privat

Gegen alle Vorurteile in Sachen Offenbach


Das Offenbach-Festival an der Komischen Oper zeigt die Vielseitigkeit des Komponisten Berlin:10.-17. Februar 2016


Sensationell: Die Uraufführung der Urfassung des „Fantasio“


Im Oktober 2016 brachte Hausherr Barrie Kosky an der Komischen Oper Berlin eine  aufsehenerregende, wenn auch sehr kontrovers aufgenommene Neuinszenierung von Jacques Offenbachs phantastischer Oper „Hoffmanns Erzählungen“  heraus. 2014 hatte er bereits die Opéra bouffe „Die schöne Helena“ inszeniert.  Diese beiden szenischen Produktionen sind  Kern eines einwöchigen Offen-bach-Festivals, das die Komische Oper  Berlin zum ersten Mal veranstaltete. Daneben gab es zwei konzertante Aufführungen sowie Vor-träge renommierter Offenbachspezialisten. Chefdramaturg der Komischen Oper,  Ulrich Lenz, über den Anlass des von ihm initiierten Festivals: 


Weil Offenbach eine lange Tradition an der Komische Oper hat. Es gab viele wichtige Aufführungen an unserem Haus. Ich erinnere nur an Walter Felsenstein. Aber wir haben in dieser Spielzeit auch „Hoffmanns Erzählungen“ neu herausgebracht und  haben eine „Schöne Helena“ im Repertoire. Vor allem aber ist für Barrie Kosky, den Intendanten der Komischen Oper, Offenbach ein sehr wichtiger Komponist. Und es gilt, etwas für den nach wie vor unterschätzten Komponisten zu tun. 


Auch für den Dirigenten Titus Engel hat das Wort von Rossini: „Offenbach ist der Mozart der Champs-Elysées“ Gültigkeit.


Offenbach  verbindet die Eleganz von Mozart mit der Brillianz und Geschwindigkeit von Rossini. Und Champs Elyssées ist das richtige  Stichwort: Offenbachs Theater ist Paris, wie man es  sich im 19. Jahrhundert vorstellt, immer sehr politisch, intelligent, witzig und schnell. Mir persönlich hat Offenbach immer wahnsinnig gut gefallen, weil er eine unglaubliche Leichtigkeit und Energie transportiert, aber nie banal ist, wie es manchmal in der späteren Operettentradition der Fall ist. Offenbach ist nie süßlich, er ist halt französisch! Ich suche immer nach dem Offenbach von heute. Vergeblich. Sie  ist leider verloren gegangen, diese Art von sehr schneller, kluger Kompo-sition für den politischen Moment. Offenbach ist einer der genialsten Komponisten  des 19. Jahrhunderts. Alle Stücke von Offenbach sind Kleinode. Aber leider muss ich sagen, dass ich auch schon viele Offenbachinszenierungen erlebt habe,  die es nicht schaffen, auf die Höhe der Stücke zu kommen.


Auch Ralph-Günther Patocka, Vorsitzender der Jacques Offenbach-Gesellschaft Bad Ems, und einer der Redner  des Festivals, bricht in seinem Vortrag über die „Schöne Helena“ eine Lanze für den Komponisten im Allgemeinen und sein „Skandalon“ im Besonderen:


Das Skandalon  ist natürlich schon die parodistische, satirische Offenbachiade an sich. Das Skandalon ist bei Offenbach aber auch ein bestimmendes Thema seiner Sujets. Ich meine das Ehedrama. Immer wieder gibt es bei ihm Partner, die nicht zusammen passen, es geht bei Offenbach oft um Ehekrach, es geht um Seitensprünge. Aber Offenbach lässt eine Umorientierung zu, die den bürgerlichen Moralvor-stellungen widerspricht. Er plädiert für die Freiheit in Liebesdingen und opponiert gegen geltende Normen


Der Offenbachforscher und -herausgeber Jean-Christoph Keck.


Es gibt so viele Vorurteile in der Welt. Viele denken bei Offenbach an Gaitée Parisienne, an französischen Can Can, Phänomene, mit de-nen er nichts zu tun hatte. In Deutschland haftet ihm bis heute der Ruf des leichtlebigen Paris an, was aber eine Verschiebung der Epo-chen, ein Mißverständnis bedeutet, denn dieses „leichtlebige Paris“ gab es  eigentlich erst um  die Jahrhundertwende vom 19.zum 20 Jahrhundert.


Auch wird Jacques Offenbach gern in einem Atemzug mit der Operette genannt. Ein Irrtum, der auf Unkenntnis beruht. Offenbach ist moderner, als die meisten Offenbachverächter ahnen. Der Dirigent Titus Engel: 


Er schafft es,  mit ganz wenigen Mitteln eine Stimmung zu erreichen. Auch instrumentationsmäßig verwendet er ganz dezente Farben. Er schafft es auch, harte Schnitte zu produzieren, was eigentlich ein sehr modernes Verfahren ist, das man im 20. Jahrhundert wieder bei Weill oder bei Eisler hört. Seine Dramaturgie ist offen, er zeigt  wunderbare Moment von plötzlichem Umschwenken, von Rasanz, hat aber auch ein großes Faible für Traurigkeit, romantische Farben und romantischen Ausdruck. 


Allerdings ist es für die Interpreten von heute nicht leicht, der Originalität Offenbachs gerecht zu werden, wie Frank Harders Wuthenow, zuständig für die führende, historisch-kritische Offenbach-Edition des Herausgebers Keck beim Verlag Boosey & Hawkes bestätigt:


Offenbach zu machen ist wahnsinnig schwer, er ist  ein Geist, der sich in keine Schublade stecken lässt, kein Stück gleicht dem anderen, sein  Humor ist schwer herauszuarbeiten, weil er sehr delikat und fein ist,  sein Theater ist immer auch  politisches Theater, das  mit Zweideutigkeiten spielt. All das müsste natürlich von Regisseuren sehr ernst genommen werden. Man muss sehr nah am Text sein, auch musikalisch muss man diese vielen Einflüsse, Anspielungen und Zitate Offenbachs herausspüren und herausdirigieren können! 

 

Eine Herausforderung nicht nur für Regisseure, sondern auch für Dirigenten. Titus Engel:


Fürs Orchester ist Offenbach genauso schwer wie wie Mozart, es ist im Grunde ganz einfache Musik,  aber sie muss sehr schön phrasiert werden, sie muss elegant gespielt werden, mit Phantasie und Intelligenz, damit sie ihren Witz kriegt. Es ist wie ein Soufflé, das muss aufsteigen und es ist gefährlich, wenn man von einer Zutat zu viel rein tut oder es ein bisschen zu heiß macht oder zu kalt, dann fällt es in sich zusammen. Auch muss man „historisch informiert" musizieren. Wir haben zum Beispiel beim "Fantasio" Pistons statt Trompeten, die sind in Deutschland unter dem Namen Kornett bekannt, sie sind kleiner, klingen weicher, weniger hart. Auch bei  den Schlaginstrumenten verwenden  wir natürlich nicht unsere kleine, deutsche Trommel, sondern die caisse roulande,  die in bisschen größer ist. Bei den Streichern arbeiten wir stilistisch natürlich auch im Sinne der französischen Tradition und Aufführungspraxis.Was mir  auch noch wichtig ist: die Noten von Offenbach sind ja sehr blank, in der Partitur findet man  nicht sehr viel an Binnenphrasierung oder an Dynamik, das muss man alles hinzufüge. Es ist ganz wichtig, dass man sozusagen immer auf die Art, wie gerade die Szene läuft, reagiert mit der Begleitung. Also wie solche durchlaufenden Achtel einen Sänger begleiten, das kann ein militärisch oder romantisch gemeint sein, aufmüpfig oder brilliant. Es es  sind immer die gleichen Achtel, aber sie müssen jeweils anders gespielt werden. 


Der Höhepunkt des Offenbach-Festivals an der Komische Oper war die Uraufführung der ursprünglich geplanten Version von Offenbachs Opéra comique „Fantasio“, die so nie zu Offenbachs Zeiten auf die Bühne kam. Bei der Uraufführung in Paris 1872, kurz nach dem Deutsch Französischen  Krieg,  wurde „Fantasio“ mit einem Mezzosopran in der Titelpartie aufgeführt. Diese Fassung wurde im Dezem-ber 2014 am Badischen Staatstheater Karlsruhe reanimiert. Es gibt daneben auch eine Fassung, die Offenbach für Wien erarbeitet hat. Die Version, die Offenbach ursprünglich für den Tenor Victor Capoul geschrieben hatte, der wegen des Deusch-Französischen Krieges kurz vor der Uraufführung Paris Richtung London verließ, kam nie auf die Bühne. Unter Titus Engels Leitung wurde sie an der Komischen Oper zum ersten Mal aufgeführt. Die Fassung unterscheidet sich sehr von der Pariser Fassung. Titus Engel:


Ja, das Stück ist wesentlich anders, es gibt zusätzliche Nummern, Offenbach hat die Uraufführung ausgedehnter geplant als dann die Pariser Fassung. Es gibt  mehr Ensembles, die später leider nicht mehr da waren. Aber natürlich ist der entscheidende Unterschied dieser Tenor. Dass „Fantasio“ ein Mann ist, das gibt natürlich der Partie eine ganz andere Farbe und dem Helden eine  virile Präsenz.


Fantasio ist eine romantische  Figur, ein Narr, der es schafft, mittels Intelligenz und zupackender Energie im entscheidenden Moment einen Krieg zu verhindern und  dazu gleichzeitig noch eine Frau zu erobern. 


Und, worauf Jean-Christoph Keck in seinem Vortrag über „Fantasio“  hinwies:


Offenbach selbst ist Fantasio, ist der Bürger in der Maske des Narren, eine zwiegespaltene romantische Seele, Offenbach hat neben „Fantasio“ eine Reihe weiterer Werke der Gattung Opéra comique geschrieben. Es war sein Hauptlebensziel, an der Institution Opéra comique zu reüssieren. Mit „Fantasio“ ist ihm das leider nicht gelungen, sodass er dann in seinen letzten Lebensjahren seine ganze Energie in „Hoffmanns Erzählungen“ gesteckt hat. Es gibt eine ganz besondere, intensive Beziehung Offenbachs zu dem Haus, mehr als zur Grand Opéra, wo er ja auch nicht gespielt wurde, und auch keine Erfolge hatt. An der Opéra comique hat er schon als sehr junger Mann im Orchestergraben gesessen und Cello gespielt. Es war die Obsession seines Lebens, in diesem Haus einmal durch die große Tür herein- und wieder herauszukommen und nicht durch den Bühneneingang.



Das  passionierte  Dirigat des Schweizer Dirigenten  Titus Engel riss das Orchester der Komischen Oper Berlin, den von David Cavelius einstudierten Chor und eine handverlesene, exquisite Sängerequipe zu einer Aufführung  hin, die nicht anders als Sternstunde zu bezeich-nen ist. Das Orchester der Komischen Oper spielte mit einer Verve, Reaktionsschnelligkeit  und Eleganz, wie man es selten gehört hat. Engel dirigierte  Offenbach so delikat, dass es eine Wonne war. Man hörte, dass Offenbach sich auch in dieser pazifistischen Oper mit ihrer teils lyrisch-romantischen, teils schwärmerisch-draufgängerischen, aber auch ironischen und satirischen Musik als einer der origi-nellsten und intelligentesten  Komponisten des 19. Jahrhunderts ist. Entgegen der langjährigen Gepflogenheit der Komischen Oper Berlin wurde  „Fantasio“ nicht in deutscher Übersetzung gegeben, sondern vernünftigerweise in Originalsprache. Auch werden die Dialoge dieser Opéra comique ersetzt durch den Conferencier Dominique Horwitz, der französisch-deutsch deklamierend, geschickt durch die Handlung führte. Ein Glücksfall war die Besetzung der beiden Hauptpartien: Der deutsch-türkische Tenor Tansel Akzeybek sang den Narren Fantasio mit hellem, strahlendem, offenem und höhensicherem Tenor geradezu ideal. Ein Ausnahmetenor! Auch der kleidungs-tauschwillige Prinz von Mantua (Dominik Köninger) und sein Adjudant (Adrian Strooper) waren vorzüglich. Die rumänische Sopranistin Adela Zaharia sang die Prinzessin Elsbeth von Bayern geradezu betörend. Sie hat eine große, schöne Stimme, einen glasklaren, warmen Ton, verfügt über absolut sichere Technik, die halsbrecherischen Koloraturen der Partie zu meistern und intoniert lupenrein.



Über die Probleme  der Edition der  Urfassung Jean-Christophe Keck:


Das erste Problem , das sich stellt, ist Offenbachs Arbeitsweise. Er hat Werke nicht wirklich abgeschlossen. Es gibt verschiedene Stadien. Er hat vor der Uraufführung oft schon gestrichen, er hat dann zum Teil nach der Uraufführung gestrichen und ergänzt. Es gibt nicht die eine, verbindliche Fassung. Bei „Fantasio“ gibt es gar drei Fassungen, die voneinander abweichen. Was wir als Herausgeber tun können ist, möglichst alles aufzuzeigen, was zur Werkgenese im weitesten Sinne gehört, dann ist es an der Praxis, zu entscheiden, wie man damit umgeht. Die zweite große Herausforderung besteht darin, die Quellen zusammen zu suchen, denn es gibt  nicht einen Fundort, sondern mehrere. Es liegt daran, dass ein Teil der Erben sehr nachlässig mit diesen Quellen umgegangen ist. Sie sind zum Teil in Bruch-stücken verkauft worden, auf Auktionen gelandet, in alle Winde zerstreut. Man muss sie mühsam zusammensuchen, das dauert manchmal Jahre. Im Fall von  „Fantasio“ gibt es einen Teil in New York, einen Teil in London, in Köln und in Paris,  und natürlich auch Teile in Privatbesitz.


Leider gab es im Rahmen des Festivals nur zwei konzertante Aufführungen des „Fantasio“. Auch die Opera bouffe „Salon Pitzelberger war nur einmal konzertant zu erleben. Ulrich Lenz:


Leider nur konzertant. Wir haben eben so ein bestimmtes Maß, was wir schaffen, szenisch auf die Beine zu stellen. Aber lieber so ein wunderbares Werk konzertant erleben als gar nicht. 


Die Vorteile einer konzertanten Aufführung liegen allerdings auf der Hand: Das Publikum  muss sich nicht von einer Inszenierung ablenken, bevormunden und gegebenenfalls ärgern lassen. Es kann sich ganz auf die Musik konzentrieren. 


Das einwöchige Offenbachfestival war überaus verdienstvoll, denn es hat vielleicht beim Einen oder Anderen das vorherrschende  Offenbachbild erweitert und hartnäckige Vorurteile aus der Welt geräumt.  Jean-Christoph Keck: 

 

Natürlich ist ein solches Festival wie hier schon deshalb gut, weil es die verschiedenen Facetten eines Komponisten zeigt. Es gab die „Belle Helene“ als Opera bouffe, es gab  den Einakter  „Salon Pitzelberger“ , es gab  die Phantastische Oper „Hoffmanns Erzählungen“ und die Neuentdeckung der Opera comique „Fantasio“  in ihrer Urfassung. Das erlaubte dem Publikum, Offenbach in allen seinen Facetten zu erleben.



Beiträge in: MDR, SWR, DLF