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Photos: Tom Schulz
Götterdämmerung als "Leipziger Allerlei"
Mit der Premiere des letzten Teils der Wagnerschen Tetralogie hat am Samstag, 30. April 2016 die Oper Leipzig ihre Neuinszenierung des „Rings des Nibelungen“ vollendet, ein Mammut-projekt, das sie im Mai 2013 begann. Die Geburtsstadt des Komponisten hat damit nach über vierzig Jahren wieder einen kompletten „Ring“ im Repertoire. Der letzte stammte von Joachim Herz. Sein dezidiert politischer, gesellschaftskritischer „Ring", der die Widersprüche der spät-kapitalistischen Gesellschaft zur Zeit Wagners bloßstellte, hat Theatergechichte geschrieben.
Dass man das eines Tages über Rosamund Gilmores Deutung der Tetralogie sagen wird, darf bezweifelt werden, denn ihr betont unpolitisches, rein erzählersches Inszenieungskonzept hat nichts Neues mitzuteilen, wie sich auch in der "Götterdämmerung", einmal mehr bestätigt. Es ist ein verspielter, verträumter, "menschlich-allzumenschlicher" Ring", den die britische Regisseu-rin an der Pleiße präsentiert. Vor allem aber ist es ein vertanzter "Ring". Gottlob hat sie "Sieg-frieds Rheinfahrt" und den "Trauermarsch" nicht angetastet. In der "Götterdämmerung" sind es vor allem schwarze Körperschatten, es mögen Geister sein, Serviermädchen mit Widdergehörn, befrackte Kellner mit Vogelflügeln, zwei überdimensionierte Wotansraben, die ihr überflüssiges Unwesen treiben, und zu Anfang und zu Ende eine ob dem Weltgeschehen verständnislos er-staunte Göttergesellschaft, die ihre tänzerischen Auftritte hat. Alle drei Akte spielen in einem Bühnenraum, der bildnerisch mit den vorherigen drei Teilen dieser Tetralogie nichts zu schaffen hat. Carl Fredrich Oberle hat für die "Götterdämmerung" eine postmoderne Architektur auf die Bühne gestellt, die die Eingangshalle einer großen Bank oder eines grossen Konzerns von heute sein könnte, mit fünf Säulen, die sich nach Brünnhildes Schlussgesang auf halber Höhe teilen und nach oben wegheben oder in die Erde versinken. Schwarze Schleier fallen vom Bühnen-himmel herab. Einfalls- und aussageloser hat man das menetekelhafte Finale dieser sozialis-tisch-revolutionären Welterschaffungssaga kaum je gesehen.
Dass Siegfrieds Leiche auf einem weissen Konzertflügel auf die Bühne gefahren wird, gehört zu den fragwürdigsten Momenten der Inszenierung. Was Wagner hinter allem pseudogerma-nischen Mummenschanz an modernen Abgründen und Einsichten, politischen Visionen und psychologischen Offenbarungen bereitgestellt hat, bleibt völlig aussen vor. Immerhin ist die im überwiegend konventionelle Personenführung außerordentlich sängerfreundlich, einmal abge-sehen vom umständlichen Tod Siegfrieds auf einem vom Ballett hereingeschleiften, erlegten Hirsch. Es darf gelacht werden. Rosamund Gilmore schreckt in ihrem "Ring" vor keiner Pein-lichkeit zurück, aber auch ihre Kostümbildnerin Nicola Reichert nicht, die Fantasyhaftes, Histo-risches, Kitsch und Casual weare, Operettenphantastisches und Mussolini-faschistisches kunter-bunt durcheinanderwirbelt. Ein spöttischer Kollege meinte dazu schon nach der Premiere des "Siegfried": "Leipziger Allerlei".
Diese Leipziger „Ring“ Deutung fällt in ihrer Anspruchslosigkeit weit hinter das zurück, was die vielen "Ringe", die man in den letzten vierzig Jahren nach dem Chéreau Ring an grossen, mittleren und selbst kleinen Bühnen gesehen hat, an Erkenntnissen vermittelten. Das ist um so bedauerlicher angesichts der bemerkenswerten musikalischen Qualität der Produktion. Das Ge-wandhausorchester spielt außerordentlich brilliant und klangprächtig. Der dirigierende Hausherr Ulf Schirmer ist in seinem Element. Doch im Gegensatz zum "Siegfried", wo er nichts zu wün-schen übrig ließ, hätte man sich bei seiner "Götterdämmerung" etwas mehr Drive und Tempo gewünscht. Er hat, offenbar verliebt in die drogenartige Sinnlichkeit der Wagnerschen Musik, die "Götterdämmerung" in einer epischen Breite und klanglichen Ekstatik zelebriert, die vom Publikum gutes Sitzfleisch verlangt, um sich dem opulenten Klangrausch hingeben zu können, aber auch dem Genuß eines höchst respektablen Sängerensembles, das ohne Stars auskommt und dennoch nicht anders als erstklassig zu nennen ist.
Allen voran Thomas Mohr, der in der Partie des Siegfried debütiert. Er singt einen Siegfried der Extraklasse, was Stimmschönheit, Intelligenz der Phrasierung, Gesangskultur und Wortverständ-lichkeit angeht, ohne alle schlechten Angewohnheiten so vieler angestrengt brüllender Wagner-tenöre. Aber auch Christiane Libor, die man bisher im Leipziger "Ring" als Sieglinde hörte, über-rascht mit ihrer ersten Brünnhilde, der es an Durchschlagskraft und Ausdruckswillen nicht mangelt. Leider ist sie ärgerlich unvorteilhaft kostümiert, wie eigentlich alle Sänger dieser Produktion. Aber alle sind stimmlich rollendeckend eingesetzt worden. Hut ab vor dem Leipziger Wagnerensemble.
Beiträge in MDR Kultur und in der Freien Presse Chemnitz