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Foto: Innsbrucker Festwochen / Rupert Larl
Cestis "la Dori" - ein Triumph
Höhepunkt der Innsbrucker Festwochen Alter Musik
Am 14. Oktober 2019 gedenkt die Musikwelt des 350. Todestages Pietro Antonio Cestis. Aus diesem Anlass haben die Innsbrucker Festwochen der Alten Musik an Cestis langjährigem Wirkungsort nach mehr als drei Jahrhunderten des Vergessens die Verkleidungs- und Verwechs-lungskomödie „La Dori“ wieder ans Bühnenlicht gezogen. Die musikalische Leitung der Ausgrabung hat Ottavio Dantone, der von der Mailänder Scala bis zu den Salzburger Fest-spielen als Spezialist für barocke und klassische Oper im Einsatz ist. Sein Originalklangen-semble, die Accademia Bizantina, spielt. Für die Inszenierung im Großen Haus des Tiroler Landestheaters zeichnet der Neapolitaner Stefano Vizioli verantwortlich, einer der gefragtesten italienischen Regisseure und seit 2016 Leiter des Teatro Verdi in Pisa.
Pietro Antonio Cesti gilt nach Claudio Monteverdi und neben Francesco Cavalli als vielleicht bedeutendster Repräsentant der venezianischen Oper, einer Gattung, der er neben der Kom-position von Kantaten sein gesamtes, wenn auch kurzes Leben (Er wurde nur 46 Jahre alt) widmete. Während die Bedeutung Cavallis vorrangig in der Konsolidierung der Oper in Venedig lag, liegt diejenige Cestis in der Vermittlung der italienischen Oper in die Länder nördlich der Alpen. Er galt schon den Zeitgenossen als ein «Wunder der Musik» («Il padre Cesti, miracolo della musica»).
Der aus Arezzo stammende Künstler, der schon als Vierzehnjähriger in den Franziskanerorden eintrat, war, war hin- und hergerissen zwischen mönchischer Askese und irdischer Umtrie-bigkeit, Klöstern und Fürstenhöfen, sakraler Polyphonie und leichter Muse. Cesti sang in der Sixtinischen Kapelle in Rom zur höheren Ehre Gottes (und des Papstes) und auf venezianischen und toskanischen Opernbühnen für weltliche Zuhörer vom Hof und aus dem Volk. Er war von Kirchenbann bedroht und erfreute sich kaiserlicher Protektion, er setzte sich von Ordensbrüdern ab und reiste im Gefolge von Herzögen, eine faszinierend widersprüchliche Erscheinung.
Als der kunstsinnige Tiroler Erzherzog Ferdinand Karl mit seiner Ehefrau, Anna de’ Medici,
und großem Gefolge durch Norditalien reiste, wurde er auf Cesti aufmerksam. Er gewann Cesti, der vom Franziskanerorden für fünf Jahre freigestellt wurde, als „Maestro di musica da came-ra“, womit der Musiker de facto Direktor des weltlichen Teils der Innsbrucker Hofmusik und Impresario über eine italienische Opernkompagnie war. Der Erzherzog ließ sogar ein neues Operntheater nach venezianischem Vorbild für seinen „Dio della musica“ («musikalischen Gott») errichten. Nach dem Tod des Erzherzogs 1662 und dem Herrschaftsantritt von dessen jüngerem Bruder Sigismund Franz blieb Cesti aber in Innsbruck. Mit der Übernahme der kaiserlichen Herrschaft übersiedelte die Innsbrucker Hofkapelle nach Wien. Cesti erhielt dort die Ämter eines Ehrenkaplans und „intendente delle musiche teatrali“. 1666 kam seine erste Oper für den Kaiserhof, «Nettuno e Flora festeggianti» auf die Bühne, gefolgt 1667 von «Le Disgrazie d’Amore», der noch in Innsbruck komponierten, dort aber nicht mehr aufgeführten «Il Semirami» und 1668 als Höhepunkt «Il pomo d’oro».
Acht Opern hat Cesti in und für Innsbruck komponiert. „La Dori“ war eine seiner erfolgreich-sten und eine der beliebtesten italienischen Opern des 17. Jahrhunderts schlechthin. Nach der Innsbrucker Uraufführung trat sie ihren Triumphzug durch Italien an. Mindestens dreißig Einstudierungen sind bis 1689 bezeugt. Und das, obwohl die Handlung alles andere als einfach ist. Im Gegenteil! Schon die Vorgeschichte ist außerordentlich kompliziert. Um die darauf folgende, nicht minder verwickelte Handlung kurz zu umreißen: An den Ufern des Euphrat und am Hofe Babylons spielt eine babylonische Liebesverwirrung, die der «Dori»: Eine Frau in Männerkleidern — Dori alias Ali —, die ihren verschwundenen Geliebten sucht, wird wiede-rum gesucht von einem Mann in Frauenkleidern, der irrtümlich glaubt, sie sei seine Schwester, und in den sich ein anderer Mann verliebt, während Dori ihren Geliebten findet, der aber einer anderen Frau versprochen ist, die Doris Schwester ist, was aber Dori nicht weiß. Verwirrung total! Am Ende Doppelhochzeit und lieto fine mit der Botschaft: „ Lernt, Ihr Sterblichen, dass nach tausend Leiden aus einer Wurzel des Übels das Gute keimt.“
Wie Rainer Lapuschitz im höchst informativen Programmheft schreibt: „Es ist der Stoff un-zähliger literarischer Werke vom antiken Mythos bis zum Groschenroman: Ein Mann und eine Frau lieben einander, aber er oder sie glaubt, diesem Gefühl nicht nachgeben zu dürfen – weil der Partner nicht ebenbürtig ist oder scheint, weil eine der Familien das Paar mit Erpressung, Lügen oder Drohungen auseinander zu bringen versucht oder weil sie (oder er) schon einem / einer anderen das Jawort gegeben hat. Dass das meist böse ausgeht, zeigt nicht nur Donizettis «Lucia di Lammermoor». Anders verhält es sich, wenn zwei, die nach dem Willen der Väter, des Königs oder einer anderen Autorität heiraten sollen und das partout nicht wollen, obwohl sie einander noch nie gesehen haben, sich gerade deshalb ineinander verlieben, weil sich zumindest der eine über die Identität des anderen täuscht.“
Die typisch venezianische Mischung aus Identitäts- und Geschlechtertausch, derber Komödie und Sittendrama, mit lüsterner Alter, tapsigem Eunuch, niederem wie hohem Paar garantierte Erfolg beim Publikum. Doch die ungeheure Popularität der «Dori» basierte vor allem auf der Musik. Ottavio Dantone bezeugt es mit seiner präzise, klangschön und (historisch informiert) aufs Temperamentvollste aufspielenden, aus 16 Musikern bestehenden Accademia Bizantina. Sein Zugriff auf die unwiderstehlich herzensbrecherische Musik Cestis ist kraftvoll und energiegeladen in jedem Takt. Er phrasiert subtil und höchst phantasievoll. Seine Gestaltung hat Spannung und ist intelligent. Überzeugender hat man die Musik Cestis nach den Interpretationen von René Jacobs kaum je gehört.
Regisseur Stefano Vizioli weiß souverän die sowohl komödiantischen, tänzerischen als auch gefühlvollen Szenen des Stücks auf der Bühne zu entfalten, auf schmalem Grat zwischen Co-media dell´Arte und moralischem Lehrtheater. Gelegentlich gibt er dem Affen Zucker und lässt in seiner von vitaler Spiellust geprägten Inszenierung mehr als nötig barockes Pathos und Kla-mauk zelebrieren, sei´s drum. Schon durch die stilvoll prächtigen historischen Kostüme, die Anna Maria Heinreich aus wunderbaren Stoffen (von der Sartoria teatrale Farani in Rom) hat anfertigen lassen, ist die Aufführung nicht anders als ein Fest zu bezeichnen. Selten sieht man derart geschmackvolle historische Kostüme auf der Opernbühne.
Bühnenbildner Emanuele Sinisi hat eine von Wolken und Wellen geprägte Spielfläche geschaf-fen (die Fondazione Pergolesi Spontini in Jesi hat sie exzellent im Detail angefertigt), mit einer hellen Sanddüne im Vordergrund, dunklem Gebirge im Hintergrund. Barocke Architektur-wände lassen sich vielfältig aufgeklappen und verschieben. Ein symbolischer Raum barock inspirierter Bildwelt, ohne realistisch Barock abbilden zu wollen. Schleier und Vorhänge machen den Aktionsraum zum opernhaften Traum.
Die Sängerbesetzung kann nicht anders als superb bezeichnet werden. Die Mezzosopranistin Francesca Ascioti brilliert in der Doppelpartie der Dori/des Ali, die Sopranistin Emöke Baráth in der des Tolomeo/der Celinda. Bewegend ist auch die Sopranistin Francesca Lombardi Maz-zulli als Arsinoe, die jüngere Schwester von Dori. Zwei außergewöhnliche Countertenöre kann man aufbieten: Rupert Entiknap als Oronte, Prinz von Persien und Konstantin Derria als Kari-katur eines Eunuchen des Serails von Babylon. Aber auch der Bariton Pietro Di Bianco als Hauptmann Erasto (der in Celinda verliebt ist) und der imposante Bass Rocco Cavalluzzi als Golo sowie der Bass Federico Sacchi als Artaserse und die Tenöre Bradley Smith als Arsete und Alberto Allegrezza in der Travestiepartie der Amme Dirce lassen keinen Wunsch offen. Ein in sich rundes Sängerensemble von zehn gleichermaßen überzeugenden Sängern präsentiert ein seltenes Sängerfest.
Im zwanzigsten Jahrhundert erfuhr «La Dori» drei Wiederaufführungen: 1983 beim Spitalfields Festival in London, in englischer Übersetzung, zuletzt 1990 im Mannes College of Music in New York sowie 1999 in Arezzo. Bei den Festwochen der Alten Musik in Innsbruck bringt man nun zum ersten Mal wieder die Innsbrucker Erstfassung auf die Bühne, in einer menschen-freundlichen, nur dreistündigen Neufassung von Bernardo Ticci, in der allerdings der Prolog komplett gestrichen ist. (Es gibt vier Manuskripte, 27 Libretti und 14 verschiedene Prologe der ursprünglich „La Schiava Fortunata ó vero La Dori“ betitelten Oper).
Die jetzige Innsbrucker Produktion ist der triumphale Höhepunkt der diesjährigen Festwochen der Alten Musik. Das Publikum bejubelte die Premiere ausgiebig und zurecht! Wer diese Aufführung, die nur zwei Mal gespielt wird, nicht live zu erleben das Glück hat, darf sich freuen, den Sie ist für eine CD- wie DVD-Produktion aufgezeichnet worden.
Rezension auch in nmz online