Calixto Bieitos Parsiafl

Fotos: Martin Sigmund / Staatsoper Stuttgart



Ramsch-Angebot leerer Erlösungsversprechen in einer Welt der Hoffnungslosigkeit und Hässlichkeit. Eine obszöne, brutale Zumutung! Und alle Fragen bleiben offen.


Calixto Bieitosd´ „Parsifal“ an der Staatsoper Stuttgart 

Premiere 28.3.2010


 

Calixto Bieito - der Berserker unter den Regisseuren – betonte vorab, dass ihm seine eigenen Missbrauchs-Erfahrungen als Knabe im Jesuitenkolleg keine Anregungen für seine Inszenierung des "Parsifal" gaben. Aber nun hat er doch seinen Beitrag zur Missbrauchsdebatte geleistet.  Gurnemanz, der Priesterliche,  prügelt einen kleinen Jungen, der sich als Engel im Gralsbezirk (schwarz verbrannte Erde nach einer Endzeit-Katastrophe) unter einer zerstörten Autobahnbrücke (wie oft haben wir dieses Bühnen-Bild schon gesehen) verirrt, zu Tode. Und so wird das getötete Kind zum Schwanen-Ersatz. 


 Der halb hippiehafte Parsifal, den Andrew Richards in vornehmlich gebückter Haltung gibt, dringt bei Bieito in eine verkohlte Welt von Underdogs, von Outcasts und Übriggebliebenen einer Katastrophe  ein, die ständig die Axt schwingen, um am Ende den nackt  umherirrenden, Rosen verteilenden Titurel zu zerhacken. Ort der Handlung ist Niemandsland zwischen verkohlten Baumstämmen und Erdlöchern, in denen die Übriggebliebenen hausen, Knappen und Ritter sind Rüpel in Gasmasken.  

Der Gral senkt sich vom Bühnenhimmel als großer Sack herab, aus dem Schalen, Becher, Leuchter und diverse Heilsrequisiten aller nur denkbaren Religionen fallen. Jeder nimmt sich, was er braucht, denn alle sehnen sich nach Transzendenz und nach dem "Heil". Mit Transparenten in vielen Sprachen demonstrieren die Gralsritter ihre Gottsuche, "Wo ist Gott?" - "Erlöse mich!" liest man. Parsifal wird das Wort „Erlösung“ auf die Brust gebrannt. Doch weit und breit keine Erlösung in Sicht.

Klingsor agiert mit Flammenwerfer, die korpulente, wenig ansehnliche Kundry wechselt auf offener Szene im Nackttrikot Jeans und T-Shirt gegen ein buntes Sommerkleid von Woolworth. Sie entblößt bei der Herzeloide-Erzählung eine Brust und lässt Parsifal nuckeln, schlägt ihn aber, als er auch die zweite haben will. In der Verführungs- oder Kussszene (Von Verführung kann nicht wirklich die Rede sein) kopuliert sie derart ausgiebig mit Parsifal, dass sie im dritten Akt verständlicher-weise schwanger ist. 

Die Blumenmädchen sind geschundene, alte, faltige, bleiche Mädchen, bandagierte Vampire in Pelzmänteln.  Eines von ihnen wird von Parsifal gleich abgestochen. Aber Parsifal meuchelt auch Klingsor mit dem als Speer-Ersatz aus dem Beton der Brücke gebrochenen Eisenrohr.

Nicht genug des Blutvergießens, schneidet sich Kundry am Ende des zweiten Aktes auch noch die Zunge ab. Sie hat ja eh nichts mehr zu singen. Im dritten Akt lallt sie nur noch ihr "Dienen". Gemeinsam mit Parsifal sucht sie den erblindeten Gurne-manz auf. Nach passionsspielhaft frömmelnder Fußwaschung und -Abtrocknung mit roter "Verführungsperücke" mummt sie auf einem Einkaufswagen Parsifal als Rauschgoldengel, behängt mit Devotionalien aller Religionen samt Richard-Wagner-Büste.  

Zum Karfreitagszauber öffnen sich die Türen des Parketts. Kinder, indisch gewan-det, tragen brennende Kerzen. Aber auch sie illuminieren Zuschauer wie Büh-nenakteure kaum. Der faule Zauber wird zum weihrauchgeschwängerten Ramsch-Angebot leerer Erlösungsversprechen in einer Welt der Hoffnungslosigkeit und Hässlichkeit. 

 
Am Ende muss natürlich auch Parsifal dem Publikum (zumindest) seinen nackten Hintern zeigen und wird von den Gralsrittern in der Zink-Wanne weggetragen, in der schon Amfortas im ersten Akt hereingetragen wurde. Wohin nur?  Zurück bleibt die hochschwangere Kundry, man fürchtete den ganzen dritten Akt um eine Sturz-geburt. Gottlob blieb sie mitzuerleben dem Zuschauer erspart. Kundry mampft (was auch immer) aus der Konservendose, das Stück ist zu Ende und alle Fragen bleiben offen.


Bieito hat sich den entscheidenden Fragen des Stücks verweigert, hat wieder einmal kräftig gegen den Text inszeniert, seinen Blut und Brutalitäts-Obsessionen gefrönt und das großartig mirakulöse Stück eher ver-, denn entwirrt.  Von plausibler Personen-psychologie keine Spur. 

Leider hat auch der mittelmäßige Kapellmeister Manfred Honeck das Stück mit breiten Tempi und spannungsloser Lesart nicht der Uninteressantheit entreißen können, in die es der Regisseur gestürzt hat. Dabei spielte das Staatsorchester Stuttgart sehr klangschön und diszipliniert. Auch sängerisch war der Abend von gemischten Eindrücken der Mittelmäßigkeit bestimmt. Das heldenbaritonale Glanzlicht steckte der farbige, bodygebildete (halbnackt auftretende) Amerikaner Gregg Baker als Amfortas auf. Stimmlich wie körperlich allerdings das ganze Gegenteil einer Leidensfigur.  Andrew Richards hingegen sang einen Parsifal, wie er ihn spielte: mit Dauergrinsen. Stephen Millings Gurnemanz war akzeptabel, nicht mehr und nicht weniger. Christiane Ivens Kundry mühte sich redlich um die Töne ihrer Partie. Immerhin. Aber ihre unappetitliche Erscheinung nahm ihr alle Glaubwürdigkeit der Partie. 

Dennoch jubelte ein Großteil des Stuttgarter Publikums, seit der Ära Zehelein auf "unkonventionelle", unschöne und (musikalsch/sängerische) mittelmäßige Sichtweisen abonniert, und feierte den Dirigenten und die Mitwirkenden. Doch die Buh-Proteste gegen die Regie waren unüberhörbar. Es gibt selbst in Stuttgart noch einige kritische Zuschauer/Zuhörer. Recht haben sie: Dieser Parsifal war eine obszöne, brutale - aber nichtssagende Zumutung! Und er war einfach langweilig. Das ist das Schlimmste!