Musik-Theater & mehr
Photos: DDS (Ravello, Gumpa Cosimo, Netta, Amalfi, Villa Rufolo, Villa Cimbrone)
Konkurrenzloses Panorama der schönsten Küste Europas
Zurecht erklärt Dieter Richter“ „Die Amalfiküste ist eines der großen Wunder Italiens.“ Er weiß um diese Schönheit wie kein anderer, kennt die Landschaft südlich von Neapel, hat sogar ein Anwesen dort und er ist mit der Landschaft, der Geschichte, der Kunst und der Küche, den Bräuchen und den Sehenswürdigkeiten der Region bestens vertraut. Im neusten Band seiner kulturgeschichtlichen Publikationen um Neapel, den Vesuv und den dortigen Süden schlägt er wieder einmal einen großen Bogen von der Antike bis zur Gegenwart, holt weit aus und spart nicht mit Superlativen.
„1997 wurde die Amalfiküste in die Liste des Welterbes der UNESCO aufgenommen. Sie umfasst dreizehn kleine Kommunen, die sich von Positano im Westen über Praiano, Furore, Conca, Amal?, Atrani, Ravello, Scala, Minori, Maiori, Cetara und Tramonti bis Vietri über die Südseite der Halbinsel von Sorrent erstrecken. Keine von ihnen gleicht der anderen. Und beharrlich pocht jede auf ihre Individualität. Tatsächlich hat die jeweilige Lage zwischen Meer und Gebirge, haben Klima, Geschichte, Arbeit, lokale Traditionen und die Teilhabe am Tourismus eine beispiellose Vielfalt auf engstem Raum entstehen lassen. Fast jede dieser Kommunen ist zudem von einem Kranz kleinerer Ortschaften oder Weiler umgeben, die zusammen mit Gehöften und modernen Siedlungen jenes einzigartige Panorama bilden, in das die Spuren der großen europäischen Geschichte eingeschrieben sind.“
Im Schatten und im Fahrwasser des untergehenden römischen Imperiums wurde, so erfährt man, die Küste der Sirenen zur mächtigen Seerepublik von Amalfi, älter als Venedig und vermittelnd zwischen Orient und Okzident. Folgenreicher Handel (Einfuhr von Pfeffer, Zimt, Muskat, Safran und Kaffee), die Kreuzzüge mit ihrer reichen Beute, aber auch viele für die Modernisierung Europas wichtige Errungenschaften nahmen von Amalfi aus ihren Weg, was heute weitgehend vergessen ist. Die Stadt Amalfi, so Richter, hatte die erste medizinische Hochschule Europas. Auch hatte sie Reliquien und zahlreiche Heilige, allen voran den Hl. Andreas, dessen Grab sich in der Krypta des Doms noch heute befindet.
Richter singt ein Lied auf die ehemaligen Papiermühlen, deren es heute nur noch eine gibt, die Mühlen, die Nutzung der Wasserkraft, die einst so berühmten Maccheroni-Fabriken („die besten Maccheroni des Königreichs“) und vor allem auf die Amalfi-Zitronen-Kultur. Die „Sfusato amalfitana“ ist vielleicht die beste Zitrone der Welt und kann „wie frisches Obst gegessen werden, samt Schale.“
Die amalfitanische Zitronenkultur (die übrigens von den Arabern begründet wurde) hat bis heute überlebt. „Das - wirtschaftlich gesehen - Goldene Zeitalter der Amalfi-Zitrone war das 19. und frühe 20. Jahrhundert. Die Früchte wurden von lokalen Händlern nach Neapel und Livorno verschifft und erreichten von dort nicht nur die kontinentalen Märkte, sondern auch die Auktionshäuser in Großbritannien und den Vereinigten Staaten.”
Die globale Konkurrenz mit einem großflächig betriebenen Anbau hat dem längst ein Ende bereitet, allerdings hat, nach einer jüngeren Periode der Stagnation, die Neubesinnung auf eine spezialisierte Kennzeichnung und Vermarktung der Früchte ihre wirtschaftliche Bedeutung wieder in den Blick gerückt. Motor der Entwicklung ist ein 2002 gegründetes Konsortium in Minori. Es umfasst 275 landwirtschaftliche Betriebe, darunter zahlreiche kleine Unternehmen.” Denn die Früchte „werden fast ausnahmslos auf jenen schmalen Terrassen angebaut, die manchmal in Höhenlagen hinaufreichen, wo bereits die Kastanienwälder beginnen. Dort werden sie noch immer von Hand gepfückt und in Flechtkörben ins Tal getragen - ein Vorgang, an dem sich seit Jahrhunderten so gut wie nichts geändert hat. Das Konsortium gewinnt auf diese Weise auf einer Fläche von insgesamt rund 200 Hektar jährlich circa 250 Tonnen der Früchte. Etwa siebzig Prozent kommen frisch in den Handel, davon gehen rund dreißig Prozent als Exportware ins Ausland. Das ist quasi ein Nichts verglichen mit den großen Handelsbilanzen,“ allerdings präsentiert sich die Amalfi-Zitrone als ein besonderes Produkt „Die Sorte sfusato amalfitano trägt seit 2001 als „Limone Costa d’Amalfi“ das Qualitätssiegel einer geschützten Ursprungsbezeichnung.“
Im Handel ist sie so etwas wie „die Prinzessin unter den Zitronen - besser: der Prinz, ist doch ihr grammatikalisches Geschlecht in den romanischen Sprachen männlich. Ihrem aktuellen Ruf komme darüber hinaus zugute, „dass der unter dem Namen Limoncello vertriebene Zitronenlikör seit etwa dreißig Jahren auch außerhalb Kampaniens bekannt geworden ist und sich weiterhin zunehmender Beliebtheit erfreut. Fast ein Viertel (zwanzig Prozent) der vom genannten Konsortium gewonnenen Früchte wird daher manuell zu Limoncello verarbeitet, der ebenfalls ein lokales EU-Qualitätssiegel trägt.“
Mindestens ebenso wichtig wie die internationale Aura der Früchte sei allerdings die Tatsache, dass die Zitrone an der Amalfiküste seit einiger Zeit nicht nur in der lokalen Gastronomie zunehmend an Bedeutung gewinne, sondern auch zu einem Symbol lokalen Selbstbewusstseins geworden sei. „Es ist nichts weniger als das Resultat einer kulturellen Begegnung von Süden und Norden, in der das „Land, wo die Zitronen blüh‘n“ sich in eben jenem Lob von fremder Zunge wiedererkennt.“ Die Abgrenzung, aber auch die Begegnung von Süden und Norden ist eines der Lieblingsthemen Richters.
Ein wesentliches Kapitel des Buches widmet sich der allmählichen Entdeckung der Amalfiküste als romantische Landschaft. Sie gehörte ursprünglich nicht zum Kanon der „Grand Tour“. „Kein Wunder, dass das „einst hochberühmte Amalfi“, wie es die geographischen Handbücher gern nannten, in den Jahrhunderten der frühen Neuzeit von europäischen Reisenden kaum besucht worden war. 1550 stattete dort der britische Aristokrat Thomas Hoby auf seiner »Kavalierstour“ dem Herzog Piccolomini einen Besuch ab und wunderte sich über den Tafelluxus, den er bei ihm vorfand. 1632 verschlug es den französischen Abenteurer und Freigeist Jean-Jaques Bouchard in die Stadt, wo er das Wunder des »Manna“ aus den Reliquien des heiligen Andreas als einen simplen Trick zu entlarven glaubte. Der erste namhafte Amalfi-Grandtourist des bildungsbürgerlichen Zeitalters (und noch immer eine Ausnahme) war Donatien Alphonse Marquis de Sade, der 1776 den Dom aufsuchte, weil man ihm von römischen Antiken berichtet hatte, die dort zu sehen seien.“
Die Amalfi-Küste erstreckt sich von der Stadt Salerno bis nach Sorrento und bietet atemberaubende Ausblicke auf das Tyrrhenische Meer. Sie ist berühmt für ihre steilen Klippen, kleinen Buchten und malerischen Dörfer, die sich entlang der Küste verteilen. Bevor die Strada Statale 163, die von 1832 bis 1850 gebaut wurde, die "Amalfitana", eine atemberaubende italienische Küstenstraße, die immerhin 50 km lang ist, war früher, die Anreise nur per Schiff oder per Pferd erreichbar.
„Einsame, gleichsam leere Landschaften gerieten jetzt in den Blick - das Meer und seine Küsten, die Berge, das dunkle Szenario von Wäldern, Schluchten und Grotten. "Die Landschaft wurde zum inneren Erlebnisraum, zum Spiegel des eigenen, autonomen Ich und seiner wechselnden Gefühle. Hinzu kamen das neu erwachte Interesse am Mittelalter und seiner Kunst und Architektur, ferner die Suche nach dem angeblich unverbildeten Leben des Volkes an den Rändern der Zivilisation. Und natürlich war da die Lust, neue, noch nicht ausgetretene Wege zu gehen. Innerhalb von wenigen Jahrzehnten wurden Amalfi und seine Umgebung auf diese Weise zum Inbegriff des Naturschönen, zu einem Haupt-Ort romantischer Landschaftswahrnehmung und Italienbegeisterung.“
Eindrucksvoll ist auch Dieter Richters Schilderung, wie es zu alten Zeiten war: „Wer von Sorrent kam, konnte zu Fuß oder zu Pferd über das Altopiano, die Hochebene, wandern und in die Bucht von Scaricatoio (heute Colli San Pietro) westlich von Positano absteigen (ein Weg von etwa drei Stunden) und sich dort nach Amalfi einschiffen. Noch länger und anstrengender, jedoch als Bergtour reizvoll war der Weg aus Castelammare über die Monti Lattari, entweder über Pagani und den Chiunzi-Pass (fünfeinhalb Stunden) oder über Gragnano, Pimonte, Agerola und Furore (sieben Stunden).“
Die letztere Tour unternahm Carl Blechen 1829 mit dem Esel und fertigte dabei seine berühmten Skizzen der Ortschaften am Weg an.
Die erste (ihm bekannte) Frau von jenseits der Alpen, die Amalfi besuchte, so Richter, sei die 35-jährige irische Salonniere Lady Marguerite Blessington gewesen, die im Mai 1824 die Tour über die Berge gemacht habe, von Amalfi nach Castellammare, allerdings auf einer chaise-de-porteur, einem ‚Tragstuhl‘, wobei für jeden Reisenden ihre Equipe (sie war natürlich in Begleitung unterwegs) acht Träger angeheuert werden mussten, vier als Reservemannschaft.
„Die Stuhlträger verlangten nur von den Aufsitzenden, ein perfektes Gleichgewicht zu halten, indem sie in schnellem Trab die steilsten Bergpfade erklommen, Schluchten überquerten, in denen rauschende Wasser strömten, und Abstürze passierten, die einen schwindlig machten, wenn man nach unten sah; und das alles mit einer Geschwindigkeit und Trittsicherheit, die wahrhaft überraschend war ...
Schon die Fahrt die Küste entlang, von Salerno oder Vietri aus, war ein Abenteuer, nicht selten die einzige Gelegenheit während der gesamten Italienreise zu einer unmittelbaren Begegnung mit dem Meer...nach ungefähr drei Stunden erreichte man Amal?, wo man mangels einer Anlegemöglichkeit auf den kräftigen Schultern der Bootsleute an Land getragen wurde, wie auch in Capri, das ursprünglich keinen schiffbaren Hafen mit begehbarer Mole besaß.“ Carl Blechen hat diese Art des „Ausbootens“ am Golf von Neapel beobachtet und gezeichnet.
Karl Friedrich Schinkel, Carl Gustav Carus und andere Maler, Dichter und Intellektuelle waren beeindruckt von der romantischen Küste, die für sie einem Gemälde glich und auch für uns bis heute noch gleicht. Dieter Richter weiß darüber viel zu schreiben, auch über den „Grottentourismus, die Kloster-Hotels (säkuarisierte Konvente) wie den „Mythos Amalfi“.
Natürlich fehlen auch nicht die ausgiebigen Schilderungen der Reize des Moresken wie des Exotischen, der hängenden Gärten von Ravello mit seinen beiden legendären Villen, der „Ruffolo“ und der „Cimbrone“. Richter weiß nahezu alles über Geschichte, Entdeckung, Nutzung (heutige Vermarktung) und Rekultivierung der spektakulären Orte, über deren Besitzer und Besucher. Geschichten über Geschichten. Der bedeutendste Besucher der Villa Ruffolo war sicher Richard Wagner, der 1880 ins Gästebuch der Villa schrieb „Klingsors Zaubergarten ist gefunden“. Auf einer Plakette am Eingang zur Villa kann man es heute noch nachlesen.
Längst vom Massentourismus vereinnahmt, ist Ravello ein Hotspot des Fremdenverkehrs geworden, der die gesamte Amalfiküste, zumal Amalfi und Positano zu exponierten Anziehungspunkten machte. Vorbei sind die Zeiten der Künstlerträume. Vor ihrer massentouristischen, freizeitspassigen Kolonisierung war die Amalfiküste für Jahrzehnte eher ein Versammlungsort der Avantgardisten, auch der Exilanten in den 30er und 40er Jahren des 20. Jahrhunderts gewesen
Dieter Richter erwähnt aus gutem Grund einen besonderen Ort: „Der Friedhof in Positano ist der Ort, an dem viele dieser Geschichten zusammenließen, ein stiller Garten der Erinnerung. Ein Ort zugleich, der als Stadt der Toten die Stadt der Lebenden spiegelt: schmale, übereinander geschichtete Terrassen senkrecht in die Tiefe abstürzend, und von jedem Grab der schönste Blick aufs Meer. Hier gibt es, anders als auf anderen italienischen Friedhöfen, keine Trennung nach Glaube oder Herkunft, Einheimische und Fremde sind Nachbarn geblieben.“
Aber der Autor weiß auch von der (besonders in den warmen Monaten) völlig überlasteten, ja verstopften Costiera Amalfitana ein Lied zu singen. „von der Flut der Touristen ... alles ist überfüllt - und es wird von Jahr zu Jahr schlimmer.“ In der Tat ist die Costiera Amalfitana längst eine vom Tourismus extrem belastete, eine überlastete, ja gefährdete Landschaft. „Auf der vor fast zweihundert Jahren dem Felsen abgerungenen Verbindungsstraße am Meer entlang, der SS 163, der "Amalfitana", einst vielleicht wirklich der ‚schönsten Straße der Welt‘, wälzen sich nicht selten schier endlose Autokolonnen.“ ‘
Die Costiera Amalfitana, 1997 von der UNESCO als eines der ersten Gesamtensembles aus Natur und Kultur in das Welterbe der Menschheit eingereiht, erfreue sich seit Jahren und leide zugleich an einer stetigen und rapiden wachsenden Besucherzahl.
Richters grandioses Buch endet mit einem profunden Lob der regionalen Küche und einem Blick auf die Gegenwart des Vergangenen, um die sich gottlob eine Institution besonders verdient mache: Das 1975 gegründete Centro di Cultura e Storia Amalfitana, das sich der Erforschung der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Regionalgeschichte widme und regelmäßig Ausstellungen zu europäischen Künstlern organisiere, die an der Costiera tätig waren. Dieses Zentrum halte durch Publikationen und Kongresse die Geschichte der Grand Tour lebendig. Dieter Richters Wort in Gottes Ohr.
Er hat mit seinem Buch über die Costiera Amalfitana das konkurrenzlose Panorama einer Landschaft vorgelegt, ein gelehrtes, aber auch unterhaltsames, schön gebundenes (schmales) Buch, das an Informationen reich ist wie an Namen und Fakten, an Insiderwissen, aber auch an touristischen Warnungen. Ein ausführlicher Anmerkungsapparat mit Literaturhinweisen (sowie ausgewählte Abbildungen) machen das Buch wertvoll, es ist zweifellos eine Liebeserklärung!