Mensch Wagner

Fotos: ©Nationalarchiv der Richard-Wagner-Stiftung, Bayreuth


„Mensch Wagner“
Sonderausstellung im Richard -Wagner-Museum Bayreuth
14. Juli bis 6. Oktober 2024



Richard Wagner war Komponist, Dichter, Dramatiker, Schriftsteller, Kunstphilosoph, Regisseur, Dirigent, Egomane, Schwerenöter, Antisemit, Linksradikaler, Klimaschützer, Tierfreund und was noch alles. Die schier unüberschaubar umfangreiche, ja uferlose Wagnerliteratur spiegelt es wider.


Doch der Mensch Wagner, wie er sich im alltäglichen Leben gerierte, diese Seite des „Meisters“ wurde in der (Selbst-) Stilisierung Wagners ausgespart. Lediglich ihm nahestehende Zeitgenossen haben darüber berichtet. Der Komponist und Wagnerfreund Peter Cornelius brachte es einmal in einem Brief an seine Schwester (28.10.1862) auf den Punkt: „Sein ganzes Leben ist ein Hieb über die Schnur.“ Emma Herwegh, die Gattin des Schriftstellers, linksradikalen Journalisten und Revolutionärs George Herwegh, der mit Wagner befreundet war, bezeichnete Wagner als Karikatur von Mann. Sie urteilte schonungslos über ihn: „Diese Taschenausgabe von einem Manne, dieser Foliant von Eitelkeit, Herzlosigkeit und Egoismus.“ Schließlich nannte der wagneraffine Schriftsteller Thomas Mann Wagner den „schnupfenden sächsischen Gnom mit dem Bombentalent und dem schlechten Charakter.“ „Ein sehr begabter Mensch, aber auch etwas Friseur und Scharlatan“, so meinte Gottfried Keller (der zum Schweizer Freundeskreis des Komponisten gehörte) über R. Wagner. Er selbst bekannte übrigens seiner ersten Frau Minna: „Ich bin auch ein ekliger Mensch, ein graues u. schwarzes Blatt in Deinem Lebensbuche.“ Cosima gestand er am 20. Dezember 1882 „Noblesse, Anstand, die habe ich nicht.“


Die hedonistische Existenz des kleinen Mannes mit dem großen Hut oder dem Samtbarett sowie dem Schnupftuch als Bonvivant, Gourmet, Reisender und Trinker, Hausherr, Großbürger und „Königsfreund“ ist sicher nicht der wichtigste biographische Aspekt im Leben Wagners, aber vielleicht ein bezeichnender. Zumal Wagner meistens auf Pump lebte und jedermann schamlos um Geld anpumpte. Womöglich gewinnt man aber über das das luxuriöse Lebens-, Ess- und Trinkverhalten Wagners, seine kulinarischen Vorlieben und Neigungen, sein Bedürfnis nach Schönheit, feinster Wäsche, nach Weib, Haus und Hof einen bezeichnenden Blick auf diesen widersprüchlichen, sinnlichen wie vergeistigten, bodenständigen wie abgehobenen Januskopf, der trotz der immensen Quellen und Selbstdarstellungen in Biografien, Tagebüchern sowie Berichten von Zeitgenossen, schwer zu fassen ist. Die Bayreuther Ausstellung plädiert dafür.


Wer die vielen Erinnerungen und Beobachtungen der Familie, von Freunden wie Feinden, kritischen wie unkritischen Äußerungen seiner Zeitgenossen, die außerordentlich zahlreichen Briefe Wagners, seine autobiographischen Texte und vor allem die eminent aufschlussreichen Tagebücher seiner Gattin Cosima kennt, der freilich entdeckt einen Wagner jenseits des üblichen Wagnerbildes, jenseits von Verklärung und Hagiographie. Aber wer kennt sie schon? Wer kennt den „wahren“ Wagner?


Die Bayreuther Ausstellung riskiert einen Blick hinter Wagners Kulissen zu schauen, deren Scheinarchitekturen potemkinschen Dörfern gleichen, die den Blick auf den wahren Wagner trüben. „Wie sich also einem Menschen nähern, der sich einer oft banalen Lebenswirklichkeit durch Stilisierung, Ästhetisierung und Selbstinszenierung zu entziehen suchte und der nach seinem Tod zum übermenschlichen und zeitlosen Denkmal wurde?“


Man sollte nicht vergessen: Richard Wagner, der geniale Komponist, kam aus kleinen Verhältnissen, um am Ende mit Fürsten, Kaisern und Königen zu verkehren. Sein gesteigertes Bedürfnis nach luxuriösen kulinarischen wie ästhetischen (auch erotischen) Genüssen (worüber die Ausstellung aufklärt) ist sicher ein Gutteil Kompensation seines Herkommens.


Wanderungen und oft lange Reisen, die Wagner zu Fuß, mit der Kutsche und später mit der Eisenbahn zurückgelegte, zeigen die Veränderungen der Mobilität durch die Frühindustrialisierung und stehen damit exemplarisch für die Umbrüche, welche die industrielle Revolution des 19. Jahrhunderts in Wirtschaft und Gesellschaft zur Folge hatte. Wie hat Richard Wagner die Moderne und deren Zeitgeist wahrgenommen und erlebt? Darüber klärt die Ausstellung auf.


Wagner ist geradezu das Paradebeispiel des Künstlers an sich, eines Künstlers im Frühkapitalismus und in der bürgerlichen Gesellschaft des 19. Jahrhunderts. Als Hintergrund wird das auf Texttafeln veranschaulicht und erläutert, Wagner wird ganz als Kind seiner Zeit und Produkt seiner Lebensumstände gezeigt. Nicht ohne Grund diagnostizierte Thomas Mann, Wagner sei der „vollständigster Ausdruck“ des 19. Jahrhunderts gewesen.
Wagner hatte nicht nur eine Vorliebe für Wein, Weib und Gesang, für exklusive Textilien, die er sich vor allem von der teuersten Wiener Hof-Modistin Bertha Goldwag anfertigen ließ (sie ist ebenfalls Thema der Ausstellung), für pittoreske Naturschönheiten und spektakuläre Immobilien.


Kunst war für Wagner so etwas wie Hilfe zur Identitätsfindung, ihre Voraussetzung im Leben waren gesteigerte Sinnlichkeit (jedweder Art) als notwendiger Luxus zur Über-Lebens-Bewältigung. Das Bayreuther-Richard-Wagner-Museum versucht in seiner diesjährigen Sommerausstellung einen Blick auf diese Über-Lebens-Bewältigung des „anderen“ Wagner zu werfen und dem Besucher Bayreuths und seiner Festspiele fern aller Mythisierungen eines „hypertrophen Wagnerkults“.


Kein Denkmal ist zu besichtigen, sondern der „menschlich-allzu menschliche“ (Friedrich Nietzsche) Bodensatz eines zum sächsischen Übermenschen stilisierten deutschen Künstlers in seinen banalen und alltäglichen Niederungen, oder, um mit Thomas Mann zu reden, in den „Wonnen der Alltäglichkeit. “Zu denen gehörten die ganz normalen (soweit man bei Wagner von „normal“ reden kann) Lebensumstände eines Künstlers, dessen Broterwerb als Dirigent sich zu Beginn des 19. Jahrhunderts gerade erst als anerkannter Beruf zu etablieren begann? Was verdiente Richard Wagner eigentlich, was konnte er sich leisten und welche Dimensionen hatten seine Schulden? Eine Bilanz seines Lebens klärt auf und rechnet um in Euro.


Natürlich gibt es allerhand Devotionalien, Ikonen und Persönlich-Privates aus Wagners Leben zu besichtigen, etwa ein Reisewasserglas, diverse historische Fotos, ein Strohhut Wagners, eine Brieftasche mit autobiographischen Notizen eine Karikatur von Ernst Benedikt Kiez, ein Gedicht mit Selbstporträt Richard Wagners, das Samtbarett darf natürlich nicht fehlen und allerhand Alltagsgegenstände. Es sind Reliquien und Preziosen aus dem reichen Museumsbestand.


Die sehenswerte Ausstellung fügt lose und verstreute Puzzleteile neu zusammen, um dem Menschen Wagner ein Profil zu geben. Durch Kinderstube und Schule, Küche und Garderobe, Bibliothek und Arbeitszimmer führt die Suche nach dem Richard Wagner, der nicht als ,,Meister“ geboren wurde. Man zeigt ein vielschichtiges, oft widersprüchliches Bild von dem Menschen, der sich hinter dem „Mythos Wagner“ verbirgt.


Rezensionen auch in "Das Orchester" und "Der Opernfreund"