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Venedig, eine Liebeserklärung
„Wenn ich ein andres Wort für Musik suche, so finde ich immer nur das Wort Venedig.“
(Friedrich Nietzsche)
Ein schöner Traum. Aber bei meinem letzten Venedig-Besuch habe ich erkannt: Manchmal streckt in Träumen und Erinnerungen mehr Wahrheit und Schönheit als in der gegenwärtigen Realität. Der Traum von Venedig wird inzwischen tagtäglich von geschmacklosem Massentourismus und schnödem Kommerzdenken Lügen gestraft! Es ist sehr traurig, aber wahr,
Nietzsche, einer der vielen großen Venedig-Liebenden, besuchte die Lagunenstadt insgesamt fünf Mal. Ich war bestimmt hundert Mal in der unvergleichlichen Stadt. In den letzten dreißig Jahren mindestens vier Mal jährlich. Heute erreicht man die Serenissima denn auch leichter, schneller und preiswerter als zu Nietzsches Zeiten. Glücklicherweise. Und doch habe ich jedes Mal Herzklopfen beim Anflug auf Venedig. Wenn ich den Fuß auf venezianischen Boden setze, überkommt mich immer wieder ein Glücksgefühl.
Ich gehe in die erste beste Kaffeebar, trinke einen Caffè, einen Wein oder einen Grappa. Dann bin ich wieder "da". Es ist wie ein Zuhause ankommen. Natürlich gehe ich nicht in die erste beste Bar, sondern in eines „meiner“ Lokale. Alles folgt einem eingespielten, altbewährten Ritus der Wege und Örtlichkeiten. Solange ich diesen Ritus immer wieder zelebrieren kann, ist mein Leben noch in Ordnung.
Natürlich gab es in den vielen Jahren immer wieder Momente, wo der dumme, zerstörerische Massentourismus mich derart desillusionierte, ja anwiderte, dass ich beschloss, nie wider den Fuß auf Venedig zu setzen. Doch dieses Gefühl hielt nie lange vor. Die magische Anziehungskraft Venedigs war immer stärker und ist es bis heute.
„Der Ritus ist heilig. Das Zeremonielle macht die Kunst,“ bekannte einst Horst Krüger. Ich meine, der Ritus macht auch das Leben, wenn man, wie Montaigne der Meinung ist: „Mein Handwerk und meine Kunst ist, zu leben.“ Wenn man das Leben nicht einfach nur spaßig und besinnungslos in sich hineinschlürft und nur so dahinlebt.
Viele haben über Venedig, die „schönste Stadt der Welt“ geschrieben, haben ihren Herzens-ergießungen freien Lauf gelassen oder die Großartigkeiten der Kunst, Geschichte und Wasser-Landschaft gewürdigt. Gewiss, da gäbe es viel zu sagen. Natürlich habe auch ich mir die Wunder dieser Stadt angeschaut. Natürlich bewundere auch ich die Gemälde Bellinis, Tintorettos und Tiepolos, die Kirchen und Paläste.
(Im Palazzo Vendramin, dem Sterbeort Richard Wageners, hatte ich die Ehre, im Liszt-Jahr einen Vortrag über die reisenden Europäer "Wagner und Liszt" zu halten und im Offenbachjahr über die Antagonisten "Wagner und Offenbach".)
Aber auch die Plätze und engen Gassen Venedigs, die Gondeln, die alten Kaffehäuser und das Teatro La Fenice, in dem ich viele unvergessliche Premieren erleben durfte. Aber all das macht für mich noch nicht das Außergewöhnliche der tausendjährigen Stadt aus.
Es ist das unverwechselbare Flair, das spezielle Fluidum, das Licht (von dem die Maler aller Zeiten fasziniert waren), die traditionelle Küche bzw. Gastronomie und die Lebenskultur, die Venedig so einzigartig machen. Venedig ist eine Lebensweise, ist ein Lebensgefühl.
Man spürte es, wenn man auf dem Markusplatz oder an der Fondamenta Zattere bei einem Glas Wein in der Sonne sitzt und einfach nur vor sich hin döst, (in sich hinein) schaut und beobachtet. Man braucht keinen Museumsbesuch. Venedig ist eine Satdt zum Schauen. Ganz Venedig ist doch ein Freiluft-Museum, aber keineswegs museal. Jeder Platz atmet Geschichte, Literatur, Musik und erinnert an mehr oder weniger berühmte Namen wie Heinrich Schütz, Claudio Monteverdi, Giacomo Casanova, Johann Wolfgang von Goethe, Richard Wagner, Thomas Mann oder Rainer Maria Rilke. Die Liste ließe sich endlos fortsetzen...
Venedig ist ein besonderer Knotenpunkt, ja Treffunkt der internationalen Welt. Wo sonst lernt man so außergewöhnliche Mensch kennen wie in Venedig. Ich habe einige meiner besten Freunde in Venedig kennengelernt, etwa die Pariser Pianistin Florence Delaage oder den bayerischen Schriftsteller Herbert Rosendorfer. Mit beiden traf ich mich oft in Venedig. Sie wären mir in Berlin ( der meistüberschätzten Hauptastadt Europas) niemals über den Weg gelaufen.
Herbert Rosendorfer, der einmal bei einer seiner Preisverleihungen öffentlich erklärte, ohne mich wäre sein Buch „Der Meister“ von 2011 nicht entstanden, was mich außerordentlich ehrte, schrieb in dem Roman: „Zwei alte Herren treffen sich nach einem halben Jahrhundert in Venedig. Man begegnet sich in der Trattoria alla Madonna unweit des Rialto und erkennt sich sofort wieder. Die Beiden treiben nichts Besonderes in Venedig. Sie gehen auf und ab, gehen Essen und Trinken. Im Ristorante Beccafico am Campo Santo Stefano " und zum Schluss der 159-seitigen Erzählung in einer Bar am Fondamente Nove, wo die Schiffe nach Murano und zum Flughafen anlegen.
Herbert und ich haben uns immer in Venedig getroffen. Venedig war eine seiner erklärten Lieblingsstädte. Das war einer, und nicht der unwesentlichste unserer Berührungspunkte. Herbert kannte jedes Museum, jede Gasse, jede Kirche. Er hat einen sehr persönlichen venezianischen Kirchenführer geschrieben. Vor allem die dunklen, verwinkelten Gassen hatten es ihm angetan. Und die vielen verschiedenen Türen und Hauseingänge der Stadt! Die schiefste Tür Venedigs (San Polo 965/a) spielt in seiner mir gewidmeten Erzählung "Gulden" (in "Die Kaktusfrau" bei Kiepenheuer und Witsch) eine zentrale Rolle, wie auch eine seiner Lieblingskirchen, "San Zanipolo", einer Klosterkirche der Dominikaner. Sie ist der größte und bedeutendste Sakralbau der venezianischen Gotik des 14. und 15. Jahrhunderts. Wir haben sie mehrfach gemeinsam besichtigt.
So wie Herbert Rosendorfer auch die Kehrseite der schönen Serenissima kannte, offenbart er in seinen Erzählungen immer wieder die Abgründe der Normalität des gewöhnlichen Menschen. Seine Vorliebe fürs Skurrile, seine zuweilen bösartige Ironie, sein Sprachwitz haben das Format eines E.T.A. Hoffmann und eines Jean Paul. Wer nur seine schriftstellerischen Arbeiten kennt, würde nie vermuten, dass der Autor solcher Phantastereien eine so feine, leise, zurückhaltende, bürgerlich-solide Erscheinung war, zeitlos elegant, ein Gentleman alter Schule und ein brillianter, gewitzer Intellektueller. Herbert war ein gelehrter Feuerkopf, aber weder Revoluzzer, noch Bildungshuber. Er verabscheute onanistische Elfenbeinturm-Klettereien. Dazu war er viel zu erdverbunden. Er liebte die Menschen, ihren Alltag und ihre nicht selten skurrilen Strategien des Überlebens in einer absurden Welt. Dazu zählte auch der Genuss des Weins.
Wie der Erzähler und Don Carlone (dessen reales Vorbild Carlo Gräwe mich mit Herbert zusammenbrachte) in seinem Roman "Der Meister", gingen auch wir in Venedig meist nur auf und ab, redeten miteinander und besuchten Trattorien, Restaurants, Weinstuben und Museen, letztere aber nur selten, und jeweils nur für maximal eine Stunde. "Nur ein Bild ... " Er wollte es so. Ich wollte es auch so.
Wir kehrten ein in der "Madonna" unweit der Rialtobrücke, ins 500 Jahre alte "Do Mori", aber auch ins "Algiubagiò" am Fondamente Nove, ins teure "Beccafico" am Campo Santo Stefano und die fabelhafte Tarnowska-Bar im Hotel "Ala" (wo ich heute meist wohne). Dort feierten wir sogar einmal unsere beiden Geburtstage ineinander. Sie lagen nur einen Tag auseinander. Wo auch immer Herbert weilte, ob in München, in Bozen, St. Eppan, Venedig oder Rom: Er war ein häufiger und gern gesehener Wirtshausbesucher. In den Gastwirtschaften der Welt hatte er die Stoffe, aus denen seine Erzählungen schöpfen, gefunden, und natürlich bei Gericht. Er war schließlich Amtsrichter. Nicht die Bibliotheken inspirierten ihn. Die lieferten nur das gelehrte Kolorit. In Venedigs Lokalen ließ Herbert mich teilhaben an seinen Ideen, seinen Lebenserfahrungen, seiner warmen Menschlichkeit und seiner spontanen Fabulierlust. Wir haben unendlich viel besprochen in Venedig. Aber wir verstanden uns auch ohne Worte. Einmal - kurz nach unserem Kennenlernen - schrieb er mir sehr berührend:
"Wir kennen uns noch nicht sehr lange, aber ich habe das Gefühl, unsere Freundschaft stammt aus viel früherer Zeit her. Ich hatte im ersten Moment, damals in Venedig, die Gewissheit, in Dir einen Menschen gefunden zu haben, der mit mir gleich klingt. Das passiert mir nicht oft. Nebenbei: dass es grad in Venedig war, einer Stadt, die uns beiden viel bedeutet, ist eine gelungene Inszenierung des Weltgeistes."
Es bleibt noch, die Trattoria alla Madonna hervorzuheben, jenes altvenezianische Restaurant, das in einer der dunkelsten, schmutzigsten, engsten und ältesten Gassen Venedigs, aber mitten im Herz der Lagunenstadt, in San Polo, einen Steinwurf von der Rialto-Brücke und dem Rialto-Markt entfernt, die Trattoria alla Madonna. Aber sie ist so wenig einladend, diese Calle, dass sich niemand zufällig in sie verirrt. Lediglich zwischen halb zwölf und halb drei Uhr mittags und von sieben bis zehn Uhr abends drängen sich Menschenansammlungen vor einer unscheinbaren Tür dieser Gasse, an deren Eingang - von der Ruga Vecchia San Giovanni aus betrachtet, die auf den Fischmarkt führt - eine kleine grüne Laterne leuchtet einem den Weg. Was wollen die Menschen nur dort? Fisch und andere Meerestiere Essen, und zwar in einer der beständigsten, der unaufdringlichsten und zugleich authentischsten Wirtschaften Venedigs, hochgeschätzt seit vielen Jahren von venezianischen Einheimischen wie Reisenden aus aller Welt. Die Madonna ist trotz ihrer Popularität noch immer ein „Geheimtip“, denn die gewöhnlichen Touristen-Massen verirren sich – gottlob - nicht in das Lokal! Sie lassen sich in den zahllosen, schlechten und überteuerten Touristenlokalen übers Ohr hauen.
Die Massentouristen, die handybewaffnet, alles und jeden, vor allem aber sich selbst vor den unzähligen Kulissen der Stadt fotografieren, sind wie eine Pest. Sie zerstören Venedig, betrachten die Stadt nur als Freizeitspaß und treten die W´ürde, die Ehre und Geschichte dieser Kulturstadt mit Füßen. In respektloser Touristen-Straßen-Kleidung, oft gar in Strandsandalen, kurzen Hosen und labberigen T-Shirts verstopfen und degradierenn sie – nicht selten aus Bierflaschen trinkend - die Stadt.
„Barbaren“ werden sie von manchen Einwohnern Venedigs genannt. Mit gigantischen Kreuzfahrtschiffen kommen sie, mit dem Flugzeug, mit der Bahn oder per Auto. Die Tagestouristen sind in ihrer unbekümmerten, ahnungs- wie anspruchslosen und rücksichtslosen Ignoranz am Schlimmsten. Bis zu 50.000 kommen pro Tag, soviel wie Venedig Einwohner hat. Und täglich werden es weniger, wie der Wohnraum zugunsten von (oftmals illegalen) Touristenappartements und Privatunterkünften schrumpft. Und die Verantwortlichen, die Politiker, lassen die Zerstörung und den Ausverkauf ihrer Stadt geschehen, ohne dagegen vorzugehen. Sie verdienen Unsummen am Tourismus, aber er wird nicht zur Sanierung oder ... der Stadt benutzt. Die immensen Gelder verschwinden in dunklen Kanälen. Sowohl gegen die gigantischen, schwimmenden Meereshotels (die mit ihrer Wasserverdrängung und ihren Feinstaubabgasen viel Schaden anrichten) scheint bisher kein Kraut gewachsen zu sein. Immer wieder gab es Initiativen, Vorstöße, Beschlüsse, aber die Korruption verhinderte ein wirksames Durchgreifen. Es ist ein Jammer
Venedig ist heute eine Stadt, deren urbane Infrastruktur zugunsten der Touristen mehr und mehr zerstört wird. Jedes Mal, wenn ich wieder nach Venedig komme, sehe ich, wie weitere Alimentari-Läden, also Lebensmittelgeschäfte und Geschäfte fürs tägliche Notwendige verschwunden sind. Sogar die Hauptpost ist zugunsten des Benetton-Konzerns geopfert worden. Er installierte dort eine "shopping mall". Wohnraum für Einheimische wird immer rarer und teurer. Die wenigen in Venedig Arbeitenden (hauptsächlich in der Touristenbranche und der Gastronomie) sind gezwungen, aufs Festland zu ziehen. Das Leben in Venedig wird immer schwieriger. Die meisten Läden verkaufen inzwischen Modeartikel, Schuhe, Plastikkram, Billig-Schmuck, Andenkenkitsch oder falsches Muranoglas und Lederwaren zumeist chinesischer Provenienz. Von wenigen hochpreisigen Edelmarken, die in Venedig ihre Repräsentanzen haben und von handverlesenen Bodyguards beschütz werden einmal abgesehen. Aber sie zielen auf die gehobene Klientel, für die Geld kein Thema ist.
Die meisten der unzähligen Kneipen, Restaurants, Hotels und Appartements sind schlecht und völlig überteuert.
Dennoch zieht es mich immer wieder dorthin, denn es gibt noch ein anderes Venedig. Ein stilles, von ´Touristen wenig heimgesuchtes, poetisches Venedig, in dem man sich zurückversetzt fühlt in andere Zeiten, als Städte noch für Menschen gebaut wurden, in menschlichen Dimensionen, wo Austausch, Begegnung und Leben miteinander noch im Vordergrund standen. In den Stadtteilen Castello, Cannaregio und Dorsoduro gibt es ssi noch, diese stillen Orte.
Überreste des alten venezianischen Lebens sind die Bàcari. Wer das Venedig der Venezianer entdecken will, wer etwas von der alten venezianischen Lebenskultur aufspüren möchte, der muss jenseits des obligaten Besucherprogramms von Kirchen und Museen die "Tempel" besuchen, die die Venezianer dem Weingott Bacchus geweiht haben, eben die Bàcari.
Das älteste - eine venezianische Institution - ist die Cantina "Do Mori" nahe der Rialto-Brücke, unweit der „Trattoria alla Madonna“. Die Cantina "Do Mori" ist die Seele des Rialto. Und der Rialto ist das Herz Venedigs. Von der Decke hängen alte Kupferkessel, an den Wänden Kupferteller, alte Stiche, Weinkarten, historische Zeitungsausschnitte. Der elektrifizierte Heiligenschein einer Madonna leuchtet aus einem Holzkästchen. Das "Do Mori" ist an die 500 Jahre alt, es ist die älteste Weinstube Venetiens, nicht nur der Insel. Einheimische wie Touristen kehren hier ein, zwischendurch, auf einen Schwatz, auf ein Gläschen, eine Ruhepause. Mittags, in der Arbeitspause, am frühen Abend...
Die Bàcari zählen zu den typischen Einrichtungen Venedigs. Sie sind fest im Alltag der Einwohner Venedigs verwurzelt. Ähnlich wie die Kaffeebars für den morgendlichen Espresso. Unkomplizierte Orte der Kommunikation, genussorientierte soziale Zwischenstationen im Programm des Alltags. Hier kehrt man mit Kollegen ein, schimpft über den Dreck in der Lagune, tratscht über die Nachbarn, erfährt von Heiratsplänen, diskutiert Sportergebnisse und schließt Freundschaften. Oder man entspannt einfach nur, redet mit dem Tischnachbarn über Banales.... Und trinkt dazu ein Gläschen Wein, eine „Ombra“ eben. Meist bleibt es nicht bei einer.
Die auf den Weingott Bacchus getauften Lokale entwickelten sich zu den beliebtesten Orten der Venezianer, gleich welcher Schicht. Hier trafen sich die Gondolieri auf einen Schwatz, gingen arme und reiche Bürger, Arbeiter, Professoren und Beamte, Kleine Leute wie Adelige ein und aus, klassenübergreifend. Daran hat sich bis heute nichts geändert.
Ab elf Uhr vormittags ist es schicklich, den "Giro de ombre", den Ombre-Rundgang anzutreten. Man schlürft sich in das Herz der Stadt hinein,von Taverne zu Taverne. Es ist der Königsweg. "Andar per ombre" ist ein Ritus, ein Ritual der Selbstvergewisserung.
Die Bàcari zählen zu den typischen Einrichtungen Venedigs. Ein gutes Dutzend gibt es noch. Sie sind fest im Alltag der Einwohner Venedigs verwurzelt. Ähnlich wie die Kaffeebars, die für den morgendlichen Espresso sorgen, bei Alt und Jung, Arm und Reich. Unkomplizierte Orte der Kommunikation, genussorientierte soziale Zwischenstationen des Alltags. Hier kehrt man mit Kollegen ein, schimpft über den Dreck in der Lagune, tratscht über die Nachbarn, erfährt von Heiratsplänen, diskutiert Sportergebnisse und schließt Freundschaften. Oder man entspannt einfach nur, redet mit dem Tischnachbarn über Banales.... Und trinkt dazu ein Gläschen Wein, eine „Ombra“ eben. Meist bleibt es nicht bei einer.
Zum Wort „ombra“: „Andiamo a bere un’ombra“, gehen wir einen Wein trinken sagen die Venezianer. Schon immer war der Marktplatz ein beliebter Treffpunkt und nicht nur ein Handelsplatz für Obst, Gemüse, Fisch und Fleisch. Aber eine Unterhaltung, ein kleiner Schwatz unter der heißen Sonne macht auch irgendwann Durst und das wussten die Weinverkäufer, die mit ihren Karren über die “piazze” zogen. Sie bezogen meist im Schatten des Kirchturms, des “campanile” Stellung bzw. bewegten sich in dessen Schatten um die Qualität und die Temperatur ihres Tropfens nicht zu gefährden.
Man tritt in den Schatten (ombra), wenn man auf ein Glas in ein Bácaro einkehrt... Der Schatten fast 1/8 Liter. Eine Art Ritual. Man isst dazu "Cicchetti", kleine anregende Häppchen (Fingerfood würde man heute sagen), die an spanische Tapas erinnern, sorgfältig angerichtet und appetitlich anzusehen, wenn sie die Theken zieren: Kroketten mit Thunfisch, Käse, Schinken oder Erbsen, frittierte Reis- und Hackfleischbällchen, aber auch Sardellenrollen, Käsehäppchen und eingelegte Tintenfische, gefüllte Oliven und gegrillte Auberginen, Artischocken und Baccalà Mantecato (sämige, "butterig" geschlagene) Stockfisch-Crème), Wurst oder Schinken. Und natürlich "Sarde in saor", sauer eingelegte Sardinen mit Zwiebeln, Rosinen und Pinienkernen auf einem Stückchen Weißbrot. Man isst aus der Hand. Die Auswahl an Köstlichkeiten ist endlos in der Küche Venetiens. Man kann ihnen nicht widerstehen. Aber warum auch? Sie kitzeln den Gaumen, animieren und überbrücken die Zeit vor den Mahlzeiten, wenn der Hunger bereits den Magen empor kriecht und die Restaurants noch geschlossen haben.
Eine Ombra ist in der Regel kein Spitzenwein. Und doch ist das reichhaltige Angebot an frischen, leichten Tropfen, wie Pinot Bianco, Tocai, Chardonnay oder Merlot beachtlich im "Do Mori". Und nicht nur dort. Die schwereren, gehaltvollen Weine trinkt man an anderen Orten, beim Abendessen. Einer meiner ersten Wege in Venedig führt immer zum Do Mori beim Rialto-Markt.
Einer meiner ersten Wege in Venedig führt immer zum Do Mori beim Rialto-Markt. Der ist übrigens auch eine Wucht, in Sachen Angebot wie Präsentation, sowohl der Obst- und Gemüsemarkt wie der Fischmarkt. Solche Märkte gibt es nördlich der Alpen nicht. Venedig, die Stadt, die im Wasser gebaut ist, ist ohnehin unvergleichlich und einmalig.