Herheims Manon in Dresden

Photo: Semperoper Dresden / Matthias Creutziger


Ein Traum von Freiheit


Stefan Herheims grandiose Inszenierung von Puccinis "Manon Lescaut"

                   

Semperoper Dresden, Premiere 2. März 2013


 

Es war nicht nur die mit Spannung erwartete Inszenierung, die Stefan Herheim am Opernhaus Graz im vergangenen Oktober herausgebracht hatte. Die Semperoper kooperiert mit diesem Theater. Auf noch etwas war man gespannt: Diese Produk-tion war die erste Opernneueinstudierung Christian Thielemanns an der Semper-oper, wo er bisher ja nur bereits existierende Produktionen nachdirigierte.


Christian Thielemann wollte überraschen mit seiner ersten eigenen Neueinstudie-rung an der Semperoper Dresden Dresden. Kein Wagner, kein Strauss, kein Pfitzner. Er hat sich Puccinis "Manon Lescaut" vorgenommen. Das italienische Repertoire sei ihm wichtig neben Wagner, ließ er verlautbaren. Und er will  natürlich mit dieser musikalischen Neuproduktion demonstrieren, dass er sein Repertoire ausweitet. Was ihn an Puccinis Manon interessiert, ist vor allem der hörbare Einfluss Wagners auf dieses Werk, wie er vorab in einem Interview erklärte.


Puccinis „Manon“ wurde ja tatsächlich gelegentlich als „italienischer Tristan“ bezeichnet. Es gibt in dieser Oper eine Fülle von parsifalesken und tristanischen Klängen und Harmonien. Genau die haben es Thielemann angetan. Er dirigiert Puccini gewissermassen aus Wagnerperspektive. Mit einer reichen Palette von Klangfarben, die die Sächsische Staatskapelle überwältigend spielt. Nur läßt Thielemann die Oper mit einer ans Brutale grenzenden Lautstärke, zuweilen effekthascherischer Vordergründigkeit und recht unsensiblem Gespür für Italianità spielen.


Die Oper "Manon" - noch keines der großen Meisterwerke Puccinis, wie man im-mer wieder liest - lebt mehr als andere Werke des Komponisten von zwei erstklassi-gen Sänger­darstellern. Alle großen Tenöre und Sopranistinnen haben die Parade-stücke dieser Oper denn auch dem Opernpublikum ins Ohr eingebrannt. Was man in Dresden hört, ist für ein Haus wie die Semperoper allerdings enttäuschend. Vor allem der junge italobrasilianische Tenor Thiago Arancam ist der Partie des Des Grieux in keiner Weise gewachsen: Eine kleine, dünne, eher heisere, denn strah-lende Stimme. Norma Fantini singt die Partie der Manon solide, aber keineswegs mit jenem "Canto espressivo", mit dem viele ihrer Vorgängerinnen diese Partie herzzerreißend aufglühen und -blühen ließen. Immerhin sind alle übrigen Partien einschließlich der Comprimarii glaubwürdig besetzt. 


Was diese "Manon" trotz sängerischer Defizite und dirigentischer Eigen­willigkeit dennoch zum Ereignis werden läßt, ist Stefan Herheims Insze­nierung. Sie drückt der Produktion den Stempel des Außergewöhnlichen auf. Herheim hat wieder ein-mal ein theatralisches Großspektakel der Extraklasse zustande gebracht, dessen bühnentechnische Perfektion und suggestive Bildgewalt schier überwältigt. Seine Bühnenbildnerin Heike Scheele und seine Kostümbildnerin Gesine Völlm haben wieder einmal bewiesen, dass sie zu den Besten und Phantasievollsten ihres Fachs gehören. Freilich, die Grundidee Herheims, das Stück ganz aus der mit Zeitsprüng-en agierenden, psychologisch-surrealistischen Perspektive eines einzigen bühnen-beherrschenden Symbols heraus zu inszenieren  und die ganze Oper um die  Frei-heitsstatue von New York herum spielen zu lassen, ist schon gewagt. Er hat denn auch – für Herheim-Produktionen ungewöhnlich – unüberhörbare Buhs vom (konservativen Dresdner) Publikum erhalten, wenn auch nicht so viele, wie dem Sänger des Des Grieux entgegenschallten, als er vor den Vorhang trat.


Stefan Herheims Inszenierungen behalten sich ja immer das Recht vor, nicht ein-deutig zu sein in ihrer inneren Logik. Gutes Recht aller Kunst. Man kann sein szenisches Assoziations-Theater mithin mögen oder nicht. Zwingend sind seine Lesarten nie. Faszinierend sind sie allemal. In seiner "Manon"-Inszenierung erzählt Herheim parallel zu der auf Prevost berühmter Romanvorlage basierenden Ge-schichte des dem Kloster entrissenen lebens- und liebestollen Mädchens aus dem achtzehnten Jahrhundert, das nach Amerika deportiert wird, ins Land der vielbe-schworenen Freiheit, noch eine andere Geschichte. Die der Erbauung der Freiheits-statue in einer französischen Werkstatt. Diese Lady Liberty wurde ja 7 Jahre vor der Uraufführung der Oper "Manon" von Le Havre aus nach New York verschifft, von demselben Hafen,  aus dem auch Manon nach Amerika deportiert wird. Herheim projiziert nun rokokohafte Opernhandlung und Puccinizeit virtuos ineinander.


In einem ständig bewegten und immer wieder neu sich formierenden Bühnenbild aus kolossalen Teilen der Lady Liberty und Werkshallenarchitektur wagt Herheim mit Zeitsprüngen und psychologischen Kommentaren ein Spiel über die Sehnsucht der Bühnenfiguren Puccinis nach Freiheit. Das Scharnier, das alles einleuchtend zusammenhält, ist die Person des Kompo­nisten Puccini, die Herheim höchstper-sönlich auftreten und immer wieder in die Handlung eingreifen läßt als Mischung aus Charlie Chaplin und Beckett, mit Melone auf dem Kopf und Zigarette im Mundwinkel, wie man ihn von Photographien her kennt.


Eine berührende Hommage an Puccini und sein fragiles Opern-Geschöpf Manon. Auch wenn vielleicht nicht jeder Zuschauer in dieser Inszenierung das Stück ver-stehen mag: Dem Zauber dieses Theaterabends mit seiner alle Register ziehenden Ausstattungs- und Maschinenperfektion kann sich wohl niemand entziehen.


 


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