"Parsifal" Peter Konwitschny München 1995

Photos: Wilfried Hösl


Mann gegen Frau

Eine Parabel auf die destruktive Frauenfeindlichkeit des neunzehnten Jahrhunderts


Eröffnung der Münchner Opernfestspiele  mit Wagners  "Parsifal" 1995

R: Peter Konwitschny, ML Peter Schneider

Mit Spannung wurde die Eröffnungspremiere der diesjährigen Münchner Opernfestspiele erwartet. Es ist die erste Wagner-Inszenierung des Regisseurs Peter Konwitschny, der damit sein Debüt an der Bayerischen Staatsoper gab. Wie zu erwarten war, hat Peter Konwitschny, enfent terrible unter den jungen Regisseuren der ehemaligen DDR, mittlerweile international renommierter Opernregisseur, eine Deutung vorgelegt, die schon im Vorfeld der Premiere für Aufregung und  hitzige Debatten sorgte. Konwitschny hat Wagners vielfach mystifizier-tes Weltabschiedswerk gründlich entweihräuchert und es einmal nicht als pseudosakrales Bühnenweihfestspiel über Triebverzicht und Sinnenabtötung, nicht als als Drama der Fleischeslust und ihrer Erlösung durch Keuschheit inszeniert, sondern als Parabel auf die destruk-tive Frauenfeindlichkeit des neunzehnten Jahrhunderts, auf sexuelle und religiöse Verklemmungen. Als neurotische Männerphantasie vom Ende des 19. Jahrhunderts. Eine von allem Erlösungsbrimborium befreite, alles Unbehagen am "Parsifal" herausstellende, ein radikal menschliche Lesart. Für Peter Konwitschny ist der "Parsifal", mit seinen eigenen Worten:



"Eine Parabel über die abendländische Kultur, mit ihrem Männerdenken und mit ihrer Körperfeindlichkeit. Das ganze Stück handelt über die entsetzliche Situation, daß die Entfremdung eben so groß geworden ist, daß es eben nicht mehr miteinander geht, es geht natürlich auch nicht ohne einander. Aber die Frau ist Kundry und die wollen auch alle haben, wenn sie es sich auch nicht getrauen, es auszu-sprechen. Außer Amfortas. Und deshalb ist das ja der sympathischste Mann im Stück. Es ist aber ganz wichtig, daß man weiß, daß hier Verschlüsselungen eine große Rolle spielen. Das ist bei allen heiklen Themen unter Menschen ein wichtiger Punkt. Und ich würde mich jetzt ziemlich darüber streiten, ob Wagner nicht das meinte, was ich auch hier aus dem Stück lese, denn sonst könnte ich´s nicht aus dem Stück lesen. Und da ist eben in der Musik, also verschlüsselt, nonverbal, da steht eben das für meine Begriffe alles ziemlich klar drin. Es wird viel mehr zwischen den Zeilen gesprochen, als in den Zeilen." (Konwitschny)

 

Die Entfremdung zwischen Mann und Frau, zwischen Natur und Mensch, will Konwitschny vor allem mit einer Baum-Metapher, die im sein Bühenbildner Johannes Leiacker schuf, verdeutlichen: einer Caspar-David-Friedrich-Eiche, die im Laufe der drei Akte immer mehr zerstört wird. Daß sie mit Papier umwickelt ist, läßt einen zwangsläufig an das von Christo verhüllte Berliner Reichstagsgebäude denken. Der verhüllte bzw. enthüllte Gral allerdings kommt in Konwitschnys Inszenierung ganz ohne Brokatdeckchen und Tuch aus: die papier-weiß strahlende Eiche, die aus einer Gralsgruft emporwächst, die sich während der ersten Verwandlungsmusik unter ihren Wurzeln auftut, diese Eiche erweist sich als veritabler Madonnenschrein, den Amfortas öffnet wie einen gotischen Flügelalter. Darin Kundry als symbol-schwangere Muttergottes mit rotem Herz auf der Brust und weißer Taube in Händen. Ein Knabe und ein Mädchen verteilen Lebkuchen-herzen an die Gralsbrüder, die eher einem Obdachlosenheim als einem exklusiven Orden entsprungen zu sein scheinen. Im ersten Akt rutscht die spätere Gottesmutter Kundry auf einem hölzernen Gaul sitzend, wie eine clowneske Beckett-Figur mit feministischem Elan auf die Bühne. Parsifal schwingt sich wie ein Tarzan mit einem Blumentopf auf dem Haupte an einer Liane ins Bild. Aus der Blumenmäd-chenszene des zweiten Aktes macht  Konwitschny eine komisch-parodistische Miederwaren-Revue mit Kissenschlacht. Im dritten Akt wird schließlich der Zeigefinger der Regie ganz auf das Wort Liebe gerichtet. Kundry darf sich in penetranter Fürsorglichkeit wie eine allliebende Mater dolorosa allen anwesenden Männern umarmend und herzend zuwenden.


Bei der mystischen Formel "Erlösung dem Erlöser" wird sie selbst, die den Hl. Speer zu den Gralsbrüdern trägt, zur Erlöserin stilisiert. Daß sie dennoch am Ende tot auf der Bühne zurückbleibt, ist nur eines der vielen regielichen Rätseln dieser Inszenierung. Der Unge-reimtheiten sind viele in dieser an Wagners Intentionen grandios vorbeizielenden Deutung! Der Inszenierungsansatz Konwitschnys ist ohne jede Frage hochinteressant und kurzweilig, es gelingen ihm auch faszinierenden Szenen, die von enormer Bild-Wirkung sind, doch am Ende läßt dieser "Parsifal" mehr Fragen offen, als er zu beantworten weiß. Wofür der Regisseur vom konservativen Münchner Publi-kum schon nach dem ersten Akt mit beispiellosen Buhsalven, Unmutsäußerungen mit Trillerpfeifen und lautstarken Protesten bedacht wurde.


Die musikalische Qualität der Aufführung lag hingegen in souveränen Kapellmeisterhänden. Peter Schneider befriedigte mit einem klang-schön gespielten, nicht sonderlich feierlichen, aber dennoch breit genommenen, "Parsifal" weitgehend die Erwartungen des Publikums. Das Solistenensemble allerings ließ Wünsche offen! Vor allem das Debüt des recht tapsig und massig wirkenden amerikanischen Tenors John Keyes in der Titelpartie enttäuschte sehr: es war ein Wagnertenor baritonaler Naturburschenhaftighkeit, der mehr auf Material und Kraft setzte, als auf Artikulierung, Textverständlichkeit und Gesangskultur. Aber auch Marjana Lipovsek, die ihr Debüt als Kundry gab, zeigte sich mit dieser Partie deutlich überfordert, auch wenn sie versuchte, mit mütterlicher Noblesse darüberhinwegzutäuschen, daß es ihr inzwischen an sicherer Höhe, an Dramatik und vor allem an Erotik mangelt. Vokales Glanzlicht der Aufführung war der mit klangschöner, warmer Stimme aufwartende Kurt Moll als Gurnemanz, nach wie vor eine unantastbare Autorität vorblidlichen Wagnergesangs.


Beitrag für SDR "Musikalmanach" am 7.7.1995