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René Jacobs macht aus Mozarts Singspiel ein sensationelles Audiodrama: "so werktreu wie nötig und zugleich "so heutig wie möglich"
René Jacobs verblüfft mit seiner eindrucksvollen Bearbeitung des Singspiels
Akademie für Alte Musik Berlin. René Jacobs
Harmonia Mundi 2214-15 2 CDs
Wohl niemand vor René Jacobs hat sich so gründlich (historisch) informiert an Mozarts aufklärerisches, europäisch-orientalischen "Sing-spiel" erangemacht. Es wird bei Jacobs zum faszinierenden Hördrama, dessen Sprechdialoge vom geradezu fulminanten Hammer-klavierspieler Andreas Küppers präludiert, kommentiert, in Melodramen verwandelt werden. Jacobs stützt sich dabei auf Mozarts brief-liche Äußerungen an seinen Vater nach einer Aufführung 1882: „Ich hab es für gut befunden, wieder an das clavier zu gehen, und zu dirigieren, um das ein wenig in schlummer gesunkene orchestre wieder aufzuwecken“.
Das Klavier wird bei Jacobs zum Stichwort- und Impulsgeber eines beispiellos fesselnden "Audiotheaters", so werktreu wie nötig und zugleich "so heutig wie möglich", was vor allem die Bearbeitung der (mit Ausnahme der bedeutungslosen Szene des Schiffers Klaas am Anfang des dritten Aktes, die fast immer gestrichen wird) kompletten Sprechdialoge angeht. Nicht zu reden von unterlegten Geräuschen (die Peitsche Osmins, Vogelgesang, Glocken) und eingefügten Musiken (etwa Michael Haydns für eine Neuproduktion der „Entführung“ in Salzburg komponierte Marcia turchese als Ersatz für den im Autograph Mozarts fehlenden Auftrittsmarsch der Janitscharen, aber auch Sentenzen aus Mozarts Klaviersonaten, beispielsweise dem „alla turca“ aus der A-Dur-Sonate und aus der Maurerischen Trauermusik). René Jacobs hat all dies im Booklet akribisch erläutert und einleuchtend begründet. Oberstes Kriterium seiner Bearbeitung ist „Liebe dem Stück gegenüber“, dem er zu Recht Aktualität bescheinigt, „weil es ein Klischeedenken an den Pranger stellt“.
Orchestral wagt Jacobs mit der rasant, ja fulminant aufspielenden Akademie für Alte Musik, die um „türkische“ Instrumente erweitert wurde, viel. Für manchen vielleicht zu viel. Aber Mozarts Bekenntnis " Ich glaube, man wird dabei nicht schlafen können", trägt die bis ins kleinste Detail ausgefeilte Interpretation von Jacobs in jedem Fall Rechnung. Sängerisch ist sie durchwachsen. Hat man einmal Fritz Wunderlichs Belmonte bei Eugen Jochum gehört, kann man Maximilian Schmitts Tenor nicht anders als schlicht, seinen Gesang immerhin als akkurat bewerten. Julian Prégardians Pedrillo überzeugt weit mehr. Auch Mari Eriksmoen singt eine köstlich zwitschernde Blonde. Dimitry Ivaschenkos Osmin ist der beste Sänger der Aufnahme, ein schwarzer, bärbeißig-reibeiserner, kein balsamischer Bassbösewicht bester Qualität. Dagegen enttäuscht Robin Johannsen als nur virtuos-silbrige Konstanze, der es an rundem Wohlklang und an Wärme fehlt. Auch der österreichische Schauspieler Cornelius Obonya als Bassa Selim ist ein gewöhnungsbedürftiger Manierist, der mit rauchiger Stimme den humanen Renegaten mit burgtheaterhaft rollendem „r“ und unnatürlich wirkendem, südländischem Akzent beinahe karikiert. Dennoch, unterm Strich ist diese achte und vorerst wohl letzte der Mozart-Gesamtaufnahmen von René Jacobs eine Sensation.
Artikel u.a. in "Das Orchester"