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Photos: © Karl Forster, Komische Oper Berlin
"Es geht mir nicht darum, unsere Zeit über Händel zu stülpen, sondern Händel über unsere Zeit zu stülpen"! (Stefan Herheim)
Barockes Welttheater als Theaterwelt & Welt als Theater
Händels "Xerxes" an der Komischen Oper Berlin, Premiere13.05.2012
Stefan Herheim triumphiert mit Händels "Xerxes" an der Komischen Oper Berlin. So viel Szenenapplaus gab es nie zuvor an der Komischen Oper, jedenfalls in den 10 Jahren der In-tendantur Andreas Homokis, die mit dieser Produktion grandios zu Ende ging. Stefan Her-heim hat mit Händels "Xerxes" einen Coup de Théâtre gelandet, der geradezu spektakulär genannt werden darf. Ein großer Erfolg der Komischen Oper Berlin fast am Ende dieser Spielzeit. Wohl die herausragende Aufführung des Jahres in Berlin, der Hauptstadt mit den drei problematischen Opernhäusern.
So hat man Barocke Oper in Berlin noch nicht gesehen. Und schon gar nicht ein so komplett nachgebautes barockes Opernhaus auf einer Opernbühne. Herheim lässt das Stück in der Zeit seiner Entstehung als Theater auf dem Theater spielen. Eine komplette, barocke Kulissen-bühne samt Nebenbühnen und hölzerner Bühnenmaschinerie auf der Drehbühne. Barockes Schauvergnügen pur. Es ist allerdings keine "historische Aufführungspraxis" im Szenischen, die Herheim zeigt, sondern ein Spiel mit barocken Konventionen, mit der Ästhetik und der Allegorik des Barocktheaters. Er selbst spricht von einer "barocken Muppetshow" und meint barockes Welttheater als Theaterwelt. Es ist nicht das Londoner King´s Theatre am Haymar-ket, in dem Händels wenig erfolgreicher "Xerxes" uraufgeführt und schon nach 5 Vorstel-lungen abgesetzt wurde, um für zwei Jahrhunderte vergessen zu werden.
Es geht Herheim um die Möglichkeit menschlichen Spielens an sich, die er in einer barocken Theaterwelt auslotet. Er hat damit das ganze Gegenteil des sogenannten "Regietheaters" le-gitimiert und als "richtig" bewiesen: "Es geht mir nicht darum, unsere Zeit über Händel zu stülpen, sondern Händel über unsere Zeit zu stülpen"! Großartig, wie das funktioniert. Am Ende zwar erst wirklich begreiflich, beim Auftritt des Schlußchores als Masse heutiger Menschen, die an die Rampe tritt und dem Zuschauer sagt: Ja, genau Ihr da unten seid gemeint! Kein neuer Einfall, aber immer noch ein treffliches Mittel des Theaters. Herheims "Xerxes"-Inszenierung spielt mit dem barocken System von Opera Seria und Opera buffa als dem Versuch, die Leere und Ohnmacht des menschlichen Daseins zu überspielen. Sein Theater ist zwar ein realistischer Raum, aber doch nur eine Kulissenwelt. Ein Theater der Grenzüberschreitungen, das Herheim mit diesem Stück der erotischen Grenzüberschrei-tungen gelingt: Das allgemein Menschliche wird zum Thema dieser Verwechslungs- und Verwirrungs-Oper, deren Titelfigur zwischen "Blödheit und Kühnheit" schwankt. Das Bur-lesk-Komische und das Heroische geben sich ein Stelldichein. Tiere und Menschen. Alle Extreme von Emotionen und von Erotik (inklusive Pflanzen- und Tierliebe) werden so lust- wie prachtvoll vorgeführt in dieser schwachen Handlung, die sich um den Perserkönig Xer-xes rankt, der der eben dabei ist, den Griechen als Eroberer einzuheizen, aber nur Romilda im Kopf hat, die eigentlich sein Bruder Arsamenes ehelichen möchte. Was wiederum Amastris nicht paßt, da sie eifersüchtig auf Xerxes ist. Ein Spiel mit Verkleidungen und geschlecht-lichem Rollenwechsel, das Herheim als Spiegelbild des Daseins inszeniert.
Herheim gelingt mit seinem furiosen "Xerxes" ein Opernabend der herrlichen, barocken Bildhaftigkeit, dessen Motto heißen könnte: "Das Leben ist ein Theater, in dem man sich zwar manche Rollen aussucht - ob man diese nun in einer Komödie oder in einer Tragödie spielt, liegt allerdings ausserhalb unserer Bestimmbarkeit." (A. Meier-Dörzenbach). Diese Aufführung muß man gesehen haben! Auch gesanglich ist sie weitgehend überzeugend.
Das spielfreudige Ensemble, allen voran Stella Doufexis in der Titelrolle, zieht alle zur Ver-fügung stehenden Register (es gäbe freilich Steigerungsformen). Karolina Gumos (Arsa-menes), Katarina Bradic (Amastris), Brigitte Geller (Romilda), Julia Giebel (Atalanta), Dimitry Ivashchenko (Ariodates) und Hagen Matzeit (Elviro) sind mit Sing- und Spiellust bei der Sache. Konrad Junghänel, Experte für Alte Musik, gelingt es, dem Orchester der Komi-schen Oper, nicht gerade geschult in Sachen "historische Aufführungspraxis", so etwas wie barocken Sound beizubringen. Erstaunlich, wie es ihm gelingt.
Besonderes Kompliment an die Hersteller der gemalten Kulissen, an Bühnenbildnerin Heike Scheele und Kostümbildnerin Gesine Völlm, die Xerxes und die Seinen in prachtvolle (wenn auch nicht historisch ganz korrekte) Barockgewänder gesteckt hat. Eine Bild- und Kostümorgie. Einziger Wermutstropfen: Der Ironie, der Parodie, der Travestie wird manch-mal zuviel Ehre erwiesen in dieser Inszenierung. Es gibt Momente, in denen sie in Blödelei und Klamauk abdriftet.
Aber seis´drum: Herheims Theater auf dem Theater, sein doppelbödiger, barocker Blick hinter die Kulissen von Barocktheater, sein Spiel mit Illusion und Desillusionierung ist großes, vergnügliches, unbedingt sehenswertes Theater als Fest.