Bayreuth Utopie und Niedergang

Elfenbeinminiatur und Liebigs Fleischetrakt-Sammelbild. Im Beseitz des Autors

Die Bayreuther Festspiele: Utopie und Niedergang

 

Vortrag beim Wagnerverband Berlin 28.10.2024                

 

 

Meine Damen und Herren, ich möchte Ihnen heute Abend die Bayreuther Festspiel­geschichte als Geschichte einer Utopie und ihres Niedergans in sieben Kapiteln darstellen.

 

Das erste Kapitel beginnt 1876 mit den ersten Bayreuther Festspielen.   Sie sollten von Anfang an „die Utopie einer totalen Alternative“ sein – wie es Oswald Georg Bauer einmal formulierte. Eine Alternative zum vorherrschenden, kommerziell orientierten Theaterbetrieb – jenseits der Metro­polen! Sie sollten dem, was wir heute Entertainmentindustrie nennen, diametral ent­gegenstehen. Wie auch dem Eventtourismus. Wagner verabscheute die Routine und die Kon­ventionen des europä­ischen Repertoiretheaters seiner Zeit. Sein Theater sollte ein Fest sein, wie bei den Alten Griechen. Das Fest­spielhaus sollte ein provisorisches Theater sein, „so einfach wie möglich, vielleicht bloß aus Holz, und nur auf künstlerische Zweckmäßigkeit des Innern berechnet“, so Wagner. Wagners Festspielhaus mit seinem amphithea­tralisch an­steigendem Zuschau­er­raum, der inspiriert wurde durch die antiken griechischen Theaterbauten, so wie das Wagnersche Musik­drama sich ideell am Drama des Sophokles und Aischylos orientierte, war ein demo­kratischer Ge­genentwurf zum vorherr­schenden aristokra­tischen Logentheater. Das unsicht­bare Orchester sollte in einen, von einem Schalldeckel über­wölbten „mystischen Ab­grund“ verbannt werden, um nicht vom Geschehen auf der Bühne abzulenken.

 

Die ersten Festspiele wurden 1876 mit der ersten kompletten Aufführung des „Nibelungenrings“ gegeben. Aus der Schweiz schrieb der wegen seiner Teilnahme an der Dresdner Revolution ins Exil geflüchtete Wagner im Jahre 1851 an seinen Dresdner Freund Theodor Uhlig einen Brief, in dem es heißt: „Mit dieser neuen Konzeption trete ich gänzlich aus allem Bezug zu unserem heutigen Theater und Publikum heraus. An eine Aufführung kann ich erst nach der Revolu­tion denken, erst die Revolution kann mir die Künstler und Zuhörer zuführen. Mit dem Werk gebe ich den Menschen der Revolution dann die Bedeutung dieser Revolution, nach ihrem edelsten Sinne, zu erkennen. Dieses Publikum wird mich verstehen; das jetzige kann es nicht.“

 

Die Alternative, die Wagner mit der Verwirklichung eigener Festspiele vor­schwebte, umfasste denn auch ein alternatives Publikum, den Menschen der Revolution, dem er die Bedeutung dieser Revolution, nach ihrem edelsten Sinne, zu erkennen geben wollte! Zwar blieb die von Wagner ersehnte gesell­schaftliche Revolution aus. Aber an der Idee seiner Festspiele und der Revolution des Musik­theaters zur mustergültigen Auf­führung seines Œuvres hielt Wagner fest.

 

Als ihm die Stadt Baden-Baden angeboten hatte, ein Festspielhaus für ihn zu bauen, schrieb Wagner den Stadtvätern des berühmten Kurbades, er wolle nicht „für badereisende Fau­lenzer“ Theater machen. Sein Theater sollte etwas ganz und gar Anderes sein. Und das sind die Bayreuther Festspiele bis heute. Die Anfahrt nach Bayreuth gleicht einer Pilgerreise. Die exponierte Lage des Festspielhauses auf einem Hügel, Fanfarenbläser vor Aktbeginn, ein­stündige Pausen, in denen das Publikum in den Park des Festspielhügels entlassen wird, das Verstreichen der Zeit vom Nachmittag bis in die Nacht. All das ist ungewöhnlich. Die Bayreuther Festspiele waren von Anfang an ein Ritual im Dienst eines Werks.

 

Der Tagesrhythmus des Festspielbesuchers in Bayreuth bemisst sich ganz und nur nach Wagner. Die Stadt war jedenfalls zu Wagners Zeiten, manche empfinden es noch heute so, ein Provinznest ohne gesteigerte gesellschaftliche oder kulinarische An­ziehungskraft. Bei diesen Festspielen gilt es ausschließlich der „Sache Wagner“. Das überwiegende Publikum reiste – vor allem in der Vergangenheit des 20,´. Jahrhunderts (einmal abgesehen vom Premierenpublikum) in Jeans und Alltagskleidung an, ein - verglichen etwa mit Salzburg – überwiegend inhaltlich, künstlerisch, nicht am gesellschaftlichen Event interessiertes Publikum.

Das ist heute anders.

 

Bayreuth ist -  von den Premieren abgesehen - kein glamouröser Ort. Die Eintrittskarten zu den Bayreuther Festspielen waren früher für fast jeden erschwinglich, wenn man überhaupt in den Genuss kam. Heute bekommt man sie an der Abendkasse. Nach 1945 war Bayreuth Jahrzentelang zehnfach überbucht. Heute ist das nicht mehr so.

 

Wagners Theater sollte den „sozialen Bewegungen“ – wie Wagner schrieb- ihr „schönes und hohes Ziel zuweisen, das Ziel edler Menschlichkeit“. Es ging Wagner bei seinen Festspielen nicht um ein gesellschaftliches Ereignis, sondern um ein künstlerisches. Franz Liszt hatte es ausge­sprochen: „Zum ersten Mal wird ein Theater für eine Idee und für ein Werk aufgeführt“.

 

Wagner hatte 1872 einen „Patronatsverein“ ins Leben geru­fen, mit dem Ziel des Verkaufes von Patronats­scheinen. Damit sollte die Anschub­finanzierung der ersten Bay­reuther Fest­spiele gesichert werden und es sollte soviel Geld zusammenkommen, dass der Eintritt für jedermann frei sei. Das erwies sich als schöne Illusion.

 

Schon der Bau des Festspielhauses war gefährdet - und drohte zu scheitern. Der Patro­natsverein brachte nicht genug Geld zusammen. Man schien vor dem Ende zu stehen. Ein Bitt­gesuch an den deutschen Kaiser wurde von Reichskanzler Bismarck erfolgreich verhindert. Der Bau des Festspielhauses musste 1873 schließlich einge­stellt werden. Das Unter­nehmen stand vor dem Ruin. Wer half, war wieder einmal, wie schon früher im Leben Wagners, König Ludwig von Bayern. Er gewährte einen großzügigen Kredit von 100.000 Talern, den die Familie übrigens nach Wagners Tod zurückzahlte.

 

Wagner hatte die besten Sänger seiner Zeit verpflichtet, hervorragende Bühnen­bildner und Techniker. Der renommierte Dirigent Hans Richter wurde engagiert (auch wenn Wagner sein Dirigat im Nachhinein zu langsam fand). Am 13. August 1876 war es soweit. Der Vorhang hob sich zu den ersten Bayreuther Festspielen. Die „erste Welt­umseglung im Reich der Kunst“, wie Fried­rich Nietzsche die technisch aufwendige Produktion nannte. Eine bis dato nie da gewesene An­forderung an Bühnenbildner (Max und Gotthold Brückner) und Maschinisten. Zum Raffiniertesten der Bühnen­technik gehörten zweifellos die Schwimmapparate der Rheintöchter. Leider beeinträchtigten viele technische Pannen die ersten Festspiele. Bei­spiels­weise funktionierte der in England hergestellte, nur unvollständig gelieferte feuerspeiende Drachen bei der Premiere nicht.

 

Der „Ring“-Zyklus wurde dreimal wiederholt. Das Echo war zwiespältig, die Presse­reaktionen waren überwiegend ablehnend. Ein Wiener Kritiker beispielsweise sprach von einer „Affenschande“ für das deut­sche Volk. Aber selbst der damals sehr populäre Schriftsteller Paul Lindau, ein erklärter Wagner-Verächter, gab zu: „Wagner hat erreicht, was noch kein Künstler vor ihm auch nur anzustreben sich vermessen hätte. Bayreuth ist unzweifelhaft die stärkste individuelle Leistung, die zu denken ist.“

 

Vor allem aber waren die ersten Bayreuther Festspiele ein ge­waltiges finan­zielles Defizit. Wagner zweifelte grundsätzlich an seiner Fest­spielidee. Ganz davon abgesehen, dass er die vordergründig historisierende szenische Umsetzung für so missraten hielt, dass er nach der Erfindung des „unsichtbaren Orchesters“ auch noch das „unsichtbare Theater“ erfinden wollte.

 

Wagner zweifelte aber auch an den Deutschen und ihrem Verständnis für seine „Zukunfts­musik“. An eine Wiederholung der Festspiele war nicht zu denken. Erst nach einer Pause von sechs Jahren fanden die zweiten Festspiele statt. In dieser Zeit schrieb Wagner seinen „Parsifal“, der am 26. Juli. 1882 zunächst für die Mitglieder des Patronatsvereins, dann 15 Mal für die allgemeine Öffentlich­keit aufgeführt wurde. Im Gegensatz zu den ersten Festspielen mit dem „Ring“, waren die „Parsifal“-Vor­stel­lungen nahezu ohne Fehl und Tadel. Eine nie da gewesene Sensation der Bühnentechnik war die auf lange Leinwandrollen gemalte „Wandel­dekoration“ während der Verwandlungs­musi­ken im ersten und dritten Akt. Fast alle der vielen angereisten Kritiker und Kom­ponisten aus aller Welt waren zutiefst beeindruckt, auch von der Musik.

 

Wagner hatte also endlich jene öffentliche Reputation erlangt, die er zeitlebens ersehnt hatte. Die Kritikerreaktionen waren insgesamt positiv. Man würdigte Wagners „Parsifal“ als Höhe­punkt seines Schaffens. Auch finanziell waren die Festspiele ein Erfolg. Dank König Ludwig, der die Kosten für Orchester und Chor übernommen hatte, waren die Ausga­ben auf ein Minimum geschrumpft. Es blieb ein einträglicher Nettogewinn von 135 000 Mark übrig.

(Eine Mark der Wagnerzeit war nach heutigem Umrechnungskurs etwa 8-mal so viel wert. Quelle: Deutsche Bundesbank)

 

Wagner schrieb Ludwig II. in einem Brief, er plane, noch ein Jahrzehnt hindurch seine anderen Opern auf die Bühne zu bringen, bis sein Sohn Siegfried in dem Alter wäre, sei­ne Nachfolge anzutreten. An seinen Freund, den Impresario des reisenden Wagnertheaters, Angelo Neumann, schrieb er allerdings, niemand anderen könne er sich denken, in seine Fußstapfen zu treten. Überhaupt sah Wagner für die Zukunft seiner Festspiele schwarz. Und gab Cosima zu bedenken, dass seine Kunst "vielleicht ein großer Frevel" sei. Dass seine Ehefrau, die ihn um 47 Jahre überleben sollte, nach sei­nem Tod die Bayreuther Festspiele fortsetzen würde, hatte er weder für möglich gehalten, noch je für wünschens­wert erachtet. Am 13. Februar 1883 starb Wagner in Venedig. Damit begann ein neues Kapitel der Bayreuther Fest­spiel­geschichte.

 

Eines möchte ich aber noch anmerken: Wagner hat in einem Brief an Ludwig II. vom 18. No­vem­ber 1882 die zehn Opern und Musikdramen vom „Fliegenden Hol­länder“ bis zum „Par­sifal“ als sein „fest­spielwürdiges“ Werk bezeichnet. Ich glaube, er hat diesen bis heute für Bayreuth gültigen Werk-Kanon aber wohl nicht im Sinne eines unumstößlichen Dogmas gemeint.

 

Wo, muss man sich doch heute fragen, wo wenn nicht in Bayreuth sollte man denn den „gan­zen“ Wagner aufführen? Also auch die frühen Opern – und die viel zu wenig beachteten, zum teil sehr faszinierenden unvollendeten Werke Wagners, die einen ungewohnt „europä­ischen“ Wagner offenbaren. Ich darf daran erinnern, was der der 22-jährige Student Wagner seinem Leipziger Studienfreund Theodor Apel bekannte: „Hinweg aus Deutschland gehöre ich!“  Und Wagners Leben war ja tatsächlich geprägt von einer europäischen Reisedimension. Er lebte den größten Teil seines Lebens im europäischen Ausland. Und auch sein Werk ist durch und durch europäisch. Wenn auch zum Teil germanisch kostümiert. Aber Wolfgang Schadewald hat ja deutlich gemacht, dass mehr Griechentum als Germanentum in Wagners Musikdramen steckt . (Ich habe das in meiner Biographie Wagners als eines Europäers im Einzelnen ausgeführt.) Nietzsche hatte – wie so vieles andere, auch diese Seite Wagners als Erster erkannt. „Wagner“, so schrieb er „ist unter Deutschen bloß ein Missverständnis“.  

 

Zum zweiten Kapitel der Festspielgeschichte: Nach Wagners Tod übernahm Cosima (und Alleinerbin) - entgegen Wagners Wunsch - die Leitung des Bayreuther Familienun­ternehmens. Sie hatte sich inzwischen zur schwarzen Witwe, Herrin des Hügels und Hüterin des Grals stilisiert, trotz demonstrativer Trauer beeindruckte sie voller energischer Tatkraft. Die Festspiele des Todes­jahres wurden zum Requiem für Richard Wagner. „Parsifal“ und nichts anderes stand auf dem Programm.

 

Cosima sah den „Parsifal“ gewissermaßen als Vermächtnis des „Meisters“ an. Sie initiierte den folgenreichen Meisterkult um Wagner. Das Bühnen­weihfestspiel wurde zum Quasi-Gottes­dienst erhoben und das Festspielhaus zum Tempel. Sie hielt es auch in den folgenden Jahren so, bis sie 1886 - in eigener Regie - den „Tristan“ herausbrachte. Im Wesentlichen kopierte sie die Inszenierung der Münchner Uraufführung von 1865. Cosima demonstrierte schon bei ihrer ersten Inszenierung pe­dan­tische Buch­stabentreue gegenüber Wagners Regiean­weisung­en, was für ihren Bayreuther Regiestil überhaupt kennzeichnend wurde. Sie hielt sich an naturalistischen Draperien des 19. Jahr­hunderts, bestand auf Verharmlosung alles Ero­tischen und pathetische Distanz in der Personenregie. Das stand übrigens in totalem Widerspruch zu Wagners Tempe­rament und der von ihm gewünschten darstellerischen Drastik und Theatralik. Zu schweigen von seiner ausgeprägten Affinität für alles Erotische, auf der Bühne wie im Leben.

 

Cosimas „Tristan“-Inszenierung wurde dennoch ein großer Erfolg. Sie hatte damit als Leiterin der Festspiele sozusagen die Nagelprobe bestanden. Doch die Besu­cher­­zahlen waren besorg­niserregend. Sie lagen im Schnitt bei 960 verkauf­ten Karten pro Vorstellung. Das Festspiel­haus hat aber fast 2000 Plätze! Das Überleben der Festspiele stand auf dem Spiel. Man pau­sierte zwei Jahre. Mit der Bayreuther Erstaufführung der „Meistersinger“ 1888 erreichte Cosima für die Festspiele den großen Durchbruch. Die Festspiele des Jahres 1889 wurden musikalisch die strahlendsten in ihrer Ära. Felix Mottl – ihr Lieblingsdirigent - dirigierte den „Tristan“, Hans Richter die „Meister­singer“ und Hermann Levi – den Cosima wegen seines Judentums und seiner schnellen Tempi (die Wager aber schätzte) nicht mochte - den „Parsifal“. Die langsamen Tempi blieben lange Zeit Bayreuther Stil. Siegfried Wagner sprach nicht ohne Grund später von der Bayreuther „Zeitlupenheiligkeit.“  Bayreuth war das gesellschaftliche Ereig­nis schlechthin geworden, und es zog die modeorientierten Publikums­massen, die Neureichen und den europäischen Hochadel an, also alle diejenigen, die Wagner eigentlich ausschließen wollte.

 

Bayreuth war nicht nur schick und ein musikalisches Pilgerzentrum geworden; die Anwesenheit des frischgekrönten Kaisers Wilhelms des Zweiten, adelte die Bayreuther Festspiele zu einem Ereignis von nationaler Bedeutung. In einem Brief an Wilhelm Prinz von Preu­ßen hatte Philip von Eulenburg am 6. Februar 1888 betont, "dass Bayreuth im Som­mer und Ber­lin im Winter die Pflegestätte der deutsch-na­tionalen Musik sein muss. Darauf arbeiten Eure Königliche Hoheit hin, und darin werde ich allezeit nach Kräften sekun­dieren."

 

­Bereits am 18. September desselben Jahres hatte Eulenburg nach einem Besuch bei Cosima Wagner in sein Tagebuch notiert: "Ich stehe auf dem Standpunkt, dass ich das deutsche Element Wag­ner­scher Musik, ver­körpert in den feststehenden Festspielen zu Bayreuth, für eine Kräf­tigung des nationalen Bewusstseins halte. Deshalb ist es nicht nur politisch wichtig, die Festspiele zu erhalten, son­dern sie zu fördern be­deutet auch eine deutsche Kultur-Aufgabe." Die prophetischen Worte des Philosophen und Kulturkritikers Friedrich Nietzsche hatten sich erfüllt: "Die Deutschen ha­ben sich einen Wagner zurecht gemacht, den sie verehren kön­nen." Wagner war zu diesem Zeitpunkt bereits von rechter Seite vereinnahmt und verfälscht worden. Man hatte ihn seiner anarchischen, frühsozialistischen, antibürgerlichen, rebellischen Züge weitgehend beraubt und zu einem nationalen Komponisten stilisiert, der politisch gebraucht werden konnte. 

 

Die Uraufführungsinszenierung des „Parsifal“, die Cosima bis zu ihrem Tod 1930 im Festspiel­programm hielt, betrachtete sie als heiliges Werk eines antisemi­tischen Chri­sten­tums, dem sie missionarisch dienen zu müssen glaubte, wie sie Dem Dirigenten Felix Mottl gegenüber in einem Brief vom 16. August 1887 bekannte: „Auf unserem Hügel ist nun die feste Burg, da ha­ben wir unseren teuren Heiland frei von allem Unwürdigen, wel­ches eine traurige Menschheit ihm aufgebürdet. In diesem Gottes-Haus sind alle berufen, die nur wahrhaftig und not­gedrungen sind.“ Dieser Brief Cosimas ist das Dokument einer Religions­gründung in Bayreuth, einer Religion, als de­ren Hohe­prie­ste­rin sich Cosima empfand. Nietzsche Kommentar: Ob nicht alle großen Künstler bisher durch anbetende Weiber verdorben worden sind?“ (Colli/Montinari Bd. 13, S. 16.)

 

Die Wagnersche Hauszeitschrift, der „Bay­reuther Blätter“, ursprünglich gedacht als Infor­ma­tions­organ für die Mitglieder der Wagner-Patronats-Vereine, verkamen unter Cosimas Leitung zu einer erzkonservativen, natio­na­listischen, ja antisemi­tischen „Deut­schen Zeit­schrift im Geiste Richard Wagners“. Man muss hinzufügen: im vermeintlichen Geiste Richard Wagners. Wagner wurde von Cosima bzw. unter ihrer Aufsicht von den Autoren der Bayreuther Blätter zum Religions­gründer einer germanischen, anti­se­mi­tischen, völki­schen Ideologie idolisiert. Die Autoren des Bayreuther Kreises waren geistige Wegbereiter des später aufkommenden Na­tionalsozialismus. Bayreuth wurde zum Zentrum einer rechtsnationalen Ideologie. Was die Familie Krupp für die Rüstungs­industrie des deutschen Staates, war Bayreuth – unter Cosima - für die deutsche Kulturindustrie ge­wor­den.

 

Das Publikum, aber auch die Künstler wurden immer internationaler. Bayreuth war inzwischen eine Welt­attraktion geworden. Das immerhin war Cosimas Verdienst. Aber sie hatte – man muss es in aller Entschiedenheit sagen - indem sie Wagner, sein Werk und seien Festspiele in den Dienst rechtsnationaler Interessen stellte. Damit hatte sie die Grundlagen geschaffen für den späteren national­sozialisti­schen Wagnermissbrauch. Hanjo Kesting hat das in einem seiner Wagneraufsätze sehr scharf formuliert: Bayreuth „war für viele Jahrzehnte ein Zentrum nationaler Selbstbeglückung, eine Brutstätte imperialer deutscher Träume. Es hat den reaktionären Kräften in Deutschland für ihr welthistorisches Spiel mit dem Feuer die kulturelle Legitimation geliefert.“ 

 

An der rechten Vereinnahmung Bayreuths hatte auch Cosimas Sohn Siegfried, der ab 1906 offiziell die Festspiele leitete und nur vier Monate nach seiner Mutter verstarb, nichts ändern können. Immerhin, er hat bedeutende technische Neuerungen eingeführt: Rundhorizont, Scheinwerferbeleuchtung, Lichtregie. Und nach den Schließungsjahren infolge des ersten Weltkriegs hatte er – gegen den Willen konservativer Wagnerianer - international be­deutende Dirigenten wie Arturo Toscanini engagiert. Der hatte mit seinem neuen „Tristan“ ohne Frage einen Höhepunkt der gesamten Festspielgeschichte vor 1945 gesetzt.   

 

Die Situation der Festspiele hatte sich damals allerdings gewandelt. Bayreuth war in den Jahren vor dem ersten Weltkrieg ein Pilgerzentrum für das kunst­beflissene Groß­bürgertum, den europäischen Adel, die Kulturschaffenden und für sen­sationshungrige Gäste aus ganz Europa und Übersee. Im Jahre 1913, als das Schutzrecht für „Parsifal“ auslief, also das, was wir heute Urheber­rechtsschutz nennen, entfachte sich auf geradezu hysterische Weise eine nationa­listische, ja rassistische Diskussion um Bayreuth und das vermeintliche „Deutschtum“, das mit den Bayreuther Festspielen identifiziert wurde, seit die Autoren der Bayreuther Hauszeitschrift, der „Bayreuther Blätter“, das Wagnererbe den Kräften der Konservativen Revolution ausgeliefert hatten. Bayreuth und die Musik Wagners wurden besetzt mit Begriffen wie „Herrenvolk“ und „Germanen­tum“, „deutsch“ und „weihe­voll“. Kommitees zum „Parsifal-Schutz“ versuchten, mit Unterstützung bedeutender Komponisten und Dirigenten den Deutschen Reichstag zu einer Er­weite­rung des „Parsifal“-Schutzes zu bewegen.  Es war vergeblich! Der "Parsifal" wurde fortan in aller Welt gespielt.

 

In den letzten Jahren vor dem Ersten Weltkrieg ließen sich weite Kreise der Musikwelt von der ideolo­gischen Stimmung der Konservativen und Nationalisten gleichschalten. Autoren wie bei­spielsweise Leopold von Schröder, der 1911 ein Buch über „Die Vollendung des arischen Mysteriums in Bay­reuth“ veröffentlichte, boten den nationalistischen Wagnerianern Futter und bereiteten auf breiter Front eine rechtsnationale Wagnervereinnahmung vor, deren Dra­chen­saat einige Jahre später aufs Furchtbarste aufgehen sollte.

 

Meine Damen und Herren, nach dem Ersten Weltkrieg gab es die alten Wagnerianer nicht mehr. Aus der wirtschaftlichen Not und der katastrophalen Inflation, die dem Krieg folgten, gingen die Bayreuther Festspiele bankrott hervor. Um Wahnfried und seine Familie zu erhalten, begab sich Siegfried permanent auf Konzertreisen. Aller­dings auch wegen der Erpressung durch einen homosexuellen Prostituierten. Siegfried war, wie wissen, selbst homo­sexuell. Was bis heute in Bayreuth nur unter vorgehaltener Hand zugegeben wird.

 

Erst 1921 konnte man wieder daran denken, die Festspiele aufleben zu lassen. In diesem Jahr gründeten die Wagner-Vereine zur Unter­stützung Bayreuths eine „Deutsche Festspielstiftung Bayreuth“. Auch Spendenaufrufe mit na­tionalem Appell und Konzert- und Sponsoren-Werbereisen in den USA sorgten dafür, dass man 1924 die Bayreuther Festspiele wiedereröffnen konnte - und zwar mit den „Mei­ster­singern“. Diese Wiedereröffnung der Bayreuther Festspiele 1924 mit den „Meistersingern von Nürn­berg“ geriet zu einer Demonstration völkisch-nationaler Besucher­gruppen, die bei der Schluss-Ansprache des Hans Sachs auf­stan­den und nach dessen letztem Takt das Deutschlandlied an­stimmten.


Mit Cosimas Tod – meine Damen und Herren - 1930 ging eine Ära zu Ende.

 

Es war auch das Ende des sogenannten Bayreuther Stils. Die Diri­genten Richter, Fischer, Mottel und Seidl dirigierten nicht mehr. Es war das Ende der Langsamkeit in Bayreuth. Nur Hans Knappertsbusch und James Levine knüpften viele Jahre später allerdings daran an. Dirigenten wurden nach Cosimas Leitungsära zunehmend unter marketingstrategischen Gesichtspunkten engagiert, nicht mehr nur unter dem Gesichtspunkt des „Eingeweihtseins“ und der „Zuge­hörigkeit“ zur Gemeinde.

 

Es begann ein neues, das dritte und das dunkelste Kapitel der Festspielgeschichte. Siegfried Wagner hatte 1915 die gebürtige Engländerin Winifred Williams geheiratet. Gemäß seinem Testament übernahm sie nach Siegfrieds Tod die Leitung der Festspiele. Winifred, die zwar testa­mentarisch alle Macht in Bayreuth in Händen hielt, wie schon vor ihr Cosima, verfügte allerdings weder über Kenntnisse aus „des Meisters erster Hand“, noch über fach­liche Kompetenz. Sie war gezwungen, sich einen Berater zur Seite zu nehmen. Ihre Wahl fiel auf den Berliner General­intendanten, Regisseur und Dirigenten Heinz Tietjen, der als Theater­mann eine unan­tastbare Autorität war, übrigens auch ein guter Dirigent, als Zeitgenosse und Persönlichkeit jedoch den Ruf eines politisch geschickt lavierenden, menschlich schillernden Intriganten genoss.

 

Meine Damen und Herren, Winifred Wagner fußte auf Cosimas Wagner­verfälschung und -missbrauch oder sagen wir Wagnerinstru­menta­lisie­rung. Sie erhoffte sich in Adolf Hitler gewis­sermaßen einen Lohengrin, eine Art Retter und Beschützer Bayreuths. Erstmals kam Hitler am 30. September 1923 nach Bayreuth. Bereits am näch­sten Tag be­suchte er den Kulturphilosophen und Schriftsteller Houston Stewart Chamberlain, der mit einer der Töchter Cosimas verheiratet war und einer der schlimmsten ideologischen Brunnen­vergifter des damaligen Deutschlands. Durch dessen Vermittlung wurde ihm be­reits am darauffolgenden Tag Audienz bei Winifred Wagner gewährt. Cham­berlain war entzückt von Hitler. Er hielt ihn für die Hoffnung Deutsch­lands. Auch Winifred war begeistert von Adolf Hitler. Aber das schon seit 1923, denn sie hatte ihren ersten persönlichen Kontakt mit ihm, fünf Tage nach dem Putschversuch Hitlers am 9. November 1923.

 

Mit Hitlers Machtübernahme 1933 erfüllte sich Winifreds per­sönlicher Wunsch. Sie machte sich ganz bewusst zum Steigbügelhalter für Hitler und den Na­tional­so­zialismus. Die Allianz Bayreuth - Hitler war geschlossen. Der Historiker Ernst Hanisch hatte recht, als er schrieb:  "Es war die Sehnsucht vieler Bayreuther. Wie die Groß­wirt­schaft Hitler finanziell unterstützte, so half ihm Bayreuth ideolo­gisch: indem es ihn bürgerlich respektabel machte.“

 

Hitler revanchierte sich. Er stellte die Bayreuther Festspiele unter seinen persön­li­chen Schutz und sorgte für be­trächtliche Unterstützungs­maßnahmen. Seit 1933 erhielt Bayreuth für jede Neuinsze­nierung zu­sätzlich 50.000 - 100.000 Mark, das Reichs­pro­pagan­da­ministerium kaufte jährlich etwa ein Drittel aller Kar­ten.

 

Alljähr­lich während der Festspielzeit weilte Adolf Hitler, von 1933 bis 1939 jeden Sommer in Bayreuth. Ab 1936 wohnte er sogar als Winifreds privater Gast in der Villa Wahnfried. Neben der rein taktischen Überlegung, durch den Schul­te­r­schluss mit­ Bay­reuth bürgerliche Repu­tation zu erlangen, war Hitler zwei­fellos beseelt von einer inbrünstigen Wagner-Schwär­merei. Aber er hatte wie Zeitgenossen und Historiker berichten - gegenüber Wagner wohl nur eine äußerst selektive Wahrnehmung an den Tag gelegt.

 

Hitler sah in Wagner vor allem den bombastisch tönenden Ver­herrlicher eines Teu­tonentums, den erhebenden In­stru­mentator des altgerma­nischen Mythos, den musikthea­tralischen Illustrator der mittel­alterli­chen Sage. Genau besehen war das natürlich ein Miss­verständnis Wagners! Aber durch die Wagnerverehrung Hitlers, die übrigens keineswegs von der Masse der National­sozialisten geteilt wurde, blieb Bayreuth vor der Gleichschaltung bewahrt, der ansonsten nahezu alle Kultur­einrichtungen ausgeliefert waren. Winifred konnte künstlerisch und personell nach Belieben schalten und walten, unangefochten von ignoranten Nazi-Bürokraten und Kunst­banausen-Beamten. Hitlers persönliche Zuneigung zu Winifred rettete ihre künstlerische Entschei­dungsfreiheit, also auch die Freiheit in der Wahl der Sänger, Dirigenten und Bühnenbildner. Kein Wunder, dass das sängerische wie dirigentische Niveau der Bay­reuther Festspiele bis zur Schließung 1944 hochkarätig war.

 

Zwar säumten damals Hakenkreuzfahnen, NS-Statisten und –Truppen die Bayreuther Auffahrt zum Grünen Hügel, aber auf der Festspielbühne verbot Winifred jedes Parteiabzeichen, jedes Hakenkreuz, auch das Singen des Horst-Wessel-Liedes, der heimlichen Nationalhymne der Nationalsozialisten, die ansonsten landauf, landab in den Opernhäusern und Konzertsälen ge­sungen wurde. Selbst ein Herbert von Karajan scheute ja davor nicht zurück.

 

Winifred gelang es mit Hilfe Hitlers, die Festspiele vor dem Bankrott zu be­wah­ren und auf künstlerisch erstaunlich hohem Niveau zu halten. Und da ließ sie sich auch nicht reinreden. Um nur ein paar Namen zu nennen: An Dirigenten verfügte man über Wilhelm Furtwängler, Richard Strauss, Clemens Krauss, Hermann Abend­roth, Karl Elmendorff und Heinz Tietjen. Immerhin! Auch wenn beispiels­weise Otto Klemperer, Bruno Walter und Leo Blech niemals in Bayreuth diri­gieren durften. Schon zu Siegfrieds Zeiten nicht. Auch über große Sänger verfügte man noch, trotz des Verlusts vieler großer jüdischer Künstler, allen voran Frieda Leider. Franz Völker, Maria Müller, Margarethe Klose, Max Lorenz, Rudolf Bockelmann, Ivar Andresen, Helge Rosvaenge, um nur einige zu nennen, sie prägten das Festspielniveau jener Zeit.

 

Dennoch war die Kartennachfrage im Dritten Reich besorgniserregend, trotz des Engagements von NS-Behörden und –Organisationen. Wagner war der persön­liche Spleen des Führers, der alles tat, Wagner zum nationalsozialistischen Komponisten per se erklären zu lassen, und viele Intellektuelle – die es hätten besser wissen müssen - halfen ihm schändlicherweise dabei.

 

Das allge­meine Interesse an Wagner ließ allerdings nach. Hitlers Lieblings­komponist übrigens, den er tagein, tagaus vom Platten­spieler hörte, hieß Franz Lehar und nicht Richard Wagner. Die „Lustige Witwe“ war sein absolutes Lieblingsstück. Es wurden, das möchte ich betonen - übrigens mehr Operetten und Verdiopern - gespielt im Dritten Reich als Wagner. Die Theaterstatistiken belegen es. Operetten ließen sich ja auch leichter als Durchhaltemusiken missbrauchen.  

 

 

Meine Damen und Herren, man kann gegen Winfred Wagner vieles ins Felde führen. Sie war eine Verblendete (Nazisse), ganz ohne Frage. Sie hat Bayreuth konsequent in den Dienst Hitlers gestellt. Aber sie hatte auch Verdienste. Sie hat Bayreuth vor dem Konkurs gerettet, sie hat mithilfe des wendigen Heinz Tietjen und des übrigens anti-nationalsozialistisch gesonnenen Bühnenbildners Emil Pretorius - Bay­reuth endgültig aus dem Geist und der Bühnenästhetik des neunzehnten Jahrhunderts befreit und ins zwanzigste hinein­gestoßen. Winifred hat übrigens schon 1931 öffentlich erklärt, dass Wagners Partituren verschiedene Inter­preta­tionen zuließen. Ein Sakrileg im Bayreuth bis dato.

 

Winifred öffnete das Fest­spiel­haus in nie dagewesener Weise für die internationale Presse, und die Archive für eine objektivere Wagnerforschung, die Cosima noch rigoros unterbunden hatte zugunsten reiner Beweihräucherung und Hagiographie. Schließlich hat Winifred unter persön­lichem Einsatz jüdische und homo­sexuelle Künstler und Freunde vor dem sicheren Tod gerettet. Prominen­testes Beispiel war der Wag­nertenor Max Lorenz.

 

Was nicht darüber hinweg­täuschen kann und soll, welches furchtbare Schicksal vielen anderen Künstlern zuteil wurde. Aber Winifred versuchte, so lange sie konnte, ihre Mitarbeiter zu schützen. Dabei hatte sie selbst unter den Parteibürokraten nicht nur Freunde. Zum Schluss verlor sie aufgrund ihrer Eigenwilligkeit, Hartnäckigkeit und Unbeugsamkeit sogar Hitlers Gunst.

 

Nach 1945 bekannte sich Winifred als eine der Wenigen voll und ganz zu dem, was sie im Dritten Reich getan hatte. Ich sage das nicht, um Winifred zu verteidigen. Nichts liegt mir ferner. Aber, wie Brigitte Hamann in ihrer großartigen Winifred-Biographie demonstrierte, darf man Personen jener Zeit aus heutiger Sicht nicht schwarz-weiss zeichnen. Die Realität hatte auxh damal viele Graustufen.

 

Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir noch ein paar grundsätzliche Bemerkungen: Der nationalsozialistische Wagner-Kult war ver­ordnet von oben. Wagners Musik diente in Hitlers Drittem Reich vornehmlich als Untermalung von Wochen­schauen, Parteifilmen und als Be­gleit­mu­si­ken von Parteitagen und ähnlichen Veranstaltungen. Wagners Musik war vor allem „ästhe­tisches Herr­schafts­mittel in der Thea­tralik des deutschen Fa­schismus“ (wie Andrea Mork schrieb). Der Wagner-Kult des Dritten Reiches war skrupellose propagan­distische Verein­nah­mung. Cosima hat das vorbereitet. Winifred hat es realisiert.

 

Baupolizeiliche Mängelrügen veranlassten 1936 Überlegungen zur Sanierung des Fest­spielhauses. Sie arteten in ein monströses Vorhaben aus, mit dessen Planung Hitler persönlich den Architekten Rudolf Mewes beauftragte. Auf dem Festspielhügel sollte eine Art Wagner-Akropolis entstehen. Gottlob ver­hin­derte der Kriegsausbruch die Realisierung des Vorhabens.

 

1937 gab Wieland Wagner, der eine der beiden Söhne Siegfrieds, mit einer „Par­sifal“ - Neuproduktion sein wenig spektakuläres De­büt als Bühnenbildner. Wieland – den die Histo­rikerin Brigitte Hamann als „Obernazi von Bay­reuth“ entlarvte, was er Zeit seines Lebens zu erfolgreich zu verheimlichen suchte, Wieland wurde von Hitler persönlich zum Bayreuther Thron­erben auserko­ren. – Was er ja dann auch werden sollte, gemeinsam mit seinem Bruder Wolfgang.  

 

Nach Kriegsausbruch 1939 sah es die Festspielchefin Winifred als selbst­ver­ständlich an, keine Festspiele mehr abzuhalten. Sie bereitete sich darauf vor, das Festspielhaus zu schließen. Hitler inter­venierte und bestand darauf, dass die Festspiele weiterhin stattfänden. Und so schuf er 1940 die soge­nann­ten „Kriegsfestsspiele", zu denen nicht mehr die Öffentlichkeit Zu­gang hatte, son­dern nur Personen, die „des Führers Gäste“ genannt wurden. „Des Führers Gäste“, das waren Ange­hörige des Militärs und Arbeiter der Kriegsindustrie, die als Belohnung für patriotischen Dienst kos­tenlos nach Bayreuth gebracht wurden. Die Verwaltung dieser Kriegsfestspiele wurde der nationalsozia­listischen Massenorganisation „Kraft durch Freu­de“ unterstellt. Die Festspiele gerieten zu einer grotesken Propaganda­veranstaltung: größ­tenteils kulturell ungebildeter und unin­te­ressierter Parteioffiziellen, erschöpfter Arbeiter, die keineswegs alle für Wagner brannten: Aber auch verwundete Soldaten bevölkerten das Festspielhaus. Der Grüne Hügel soll zeitweise einer Krankenstation gegli­chen haben. Diese „Festspielgäste“ wurden in Gruppen im „Reichsmusikzug“ nach Bayreuth transportiert, marschierten vom Bahnhof aus in Kasernen, wo sie untergebracht und verpflegt und über die deutsche Mission des „Meistersinger“ belehrt wurden. Danach reisten sie wieder ab. Ein gespenstisches Ritual.

 

Aufgrund der kriegsbedingten Besetzungsprobleme wurde 1944 schließlich das Verdikt Winifrieds durchbrochen, indem der Chor der „Meister­singer“-Aufführung mit Mit­gliedern der „Viking“-Division von Hitlers berüchtigter Spezialtruppe aufgefüllt wurde. Mit diesen SS-Truppen, die auf der Bühne sangen, sank Bay­reuth auf seinen moralischen Nullpunkt!

 

Hitler selbst besuchte Bayreuth nur einmal während des Krieges, im August 1940, nach der Eroberung Frankreichs, als er sich auf dem Rückweg nach Berlin befand. Er machte in Bayreuth halt und sah sich – Ironie der Ereignisse - die "Götterdämmerung" an.  

 

1944 gab es die letzten Kriegsfestspiele, die letzte Stunde des na­tio­nal­sozialisti­schen Bay­reuth-Kapitels hatte geschlagen. Nur noch die „Meistersinger von Nürnberg“ standen auf dem Programm. Die letzte der zwölf Aufführungen des Jahres fand am 9. August statt. Es war überhaupt die letzte Opernaufführung im Dritten Reich.

 

Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir noch eine abschließende Bemerkung zu diesem Kapitel:, dass der Name Richard Wagner nach 1945 häufig in einem Atemzug mit dem National­so­zialismus genannt wurde, ist nur zu ver­ständlich. Fast 12 Jahre lang wurde ja mit großem Aufwand die Iden­tifikation des na­tio­nalsozialistischen Deutschland mit dem Werk Wagners propa­giert, auch wenn es dabei, genau betrach­tet, um einen missbrauchten Wagner "auf der Stufe der Ver­hun­zung" ging, um mit Thomas Mann zu reden.

 

Der israelische Historiker Jakob Katz gab in seinem Buch „Wagner. Vorbote des Antise­mitismus“ zu bedenken: „Die Beachtung der chronologischen Reihen­folge in der Darstellung und Deutung der Ereignisse ist die erste Pflicht des Historikers, die auch in diesem Fall unter Überwindung der verständlichen Widerstände streng einzuhalten ist“.  Ein anderer, ein britischer Gelehrter, der  Historiker Peter Gay, bringt das Problem der verzerrten deutschen Wagner­wahrnehmung nach 1945 auf den Punkt, wenn er davor warnt, dass dem deutschen Historiker die Suche nach unheilvollen Ursachen deutscher Geschichte im 20. Jahrhundert zur „Zwangsvorstellung (wird), so dass er die ganze Vergangenheit nur noch als ein Vorspiel zu Hitler sieht und jeden angeblich deutschen Charakterzug als einen Baustein zu jenem schrecklichen Gebäude, dem Dritten Reich." Der Historiker Jakob Katz hat vollkommen recht: „Die Deutung Wagners - ich zitiere- „aufgrund der Gesinnung und der Taten von Nachfahren, die sich mit Wagner identifizierten, ist ein unerlaubtes Verfahren. Die von Hitlers Wagner-Verein­nahmung rückblickende Interpretation Wagners sei Fehlinterpretation, denn es handele sich (...) „um eine Rückdatierung, ein Hineinlesen der Fortsetzung und Abwandlung Wagnerscher Ideen durch Chamberlain und Hitler in die Äußerungen Wagners selbst".


Der Wagnerbiograph Martin Gregor-Dellin hat dieses Problem zutreffend auf den Punkt gebracht, als er beim Internationalen Wagnerkolloquium 1983 in Leipzig sagte: „Das gestörte Ver­hältnis der Deutschen zu Wagner ist das gestörte Verhältnis zu ihrer Geschichte“. Daran hat sich bis heute nichts geändert.

Wir kommen zum vierten Kapitel der Festspielgeschichte: Bayreuth blieb natürlich von Luftan­griffen der Amerikaner nicht verschont, wenn sie auch erst kurz vor Kriegsende die fränkische Stadt beträchtlich zerstörten. Die Villa Wahnfried wurde schwer beschädigt. Winifred hatte vorsorglich und rechtzeitig wertvolle Ge­gen­stände, Richard Wagners Bibliothek, Gemälde, und Archiv­material in Sicherheit bringen lassen. Schließlich brach die öffentliche Ordnung im bombardierten Bay­reuth zusammen. Im Festspielhaus wurde eingebrochen, Kostüme wurden gestohlen, es wurde berichtet, kilometer­weise hätte man deutsche Flüchtlinge im einen oder anderen Wagnerkostüm gesehen.

 

Am 14. April 1945 nahm eine ameri­kanische Panzerkolonne die Stadt ein. Die Kapitulation stand bevor, das Kriegsende und das Ende der dunkelsten Epoche der Bayreuther Festspiele. Ob sie je wieder würden aufgenommen und fortgesetzt werden können, stand damals in den Sternen. Vorerst war daran jedenfalls nicht zu denken. Das Festspielhaus war seit dem 10. August 1944 geschlossen. Nach dem Krieg hatte die ameri­ka­nische Militärregierung das Festspielhaus, die Villa Wahnfried und den gesamten Besitz Winifred Wag­ners als einer der promi­nenten Unter­stützerinnen des national­sozialistischen Regimes be­schlag­nahmt. Das Fest­spielhaus wurde für Gottesdienste, Aufführungen von Schau­spielen, Operetten und Shows zur Unterhaltung der Truppen benutzt. Erst 1949 über­gab man alles zu treuen Händen an die Stadt Bayreuth. Die Stadt nutzte das Festspielhaus dann zeitweise als Auffanglager für geflüchtete Sudeten­deutsche, nutzte es aber auch als Theater, für Konzerte, Varietés und italienische Opernaufführungen. Doch sehr bald beschloss man, die Wagnerfestspiele wieder aufzunehmen.

 

Nach dem Zusammenbruch des Deutschen Reiches, nach Kriegsende und Spruch­­kammer-Verurteilung Winifred Wagners – sie galt als belastet im Sinne der Förderung und Nutzniesserschaft des Dritten Rei­ches, womit ihr jedwede weitere Festspielleitung untersagte wurde - musste ein Gene­ra­tio­nen- und ein Füh­rungs­wechsel in Bayreuth stattfinden. In einer eidesstattlichen Erklärung, die am 21. Januar 1949 aktenkundig gemacht wurde, verpflichtete sich Winifred, die Gat­tin Siegfried Wagners und ehemalige Festspielleiterin bis 1944, sich künf­tig jedweder Mitwirkung an Organisation, Verwaltung und Leitung der Bay­­reuther Bühnenfestspiele zu enthalten, und setzte ihre beiden Söh­ne Wieland und Wolfgang zur Fortführung bzw. Wiederaufnahme des Festspielbetriebs ein. Der Weg war frei für einen Neuanfang.

 

 

Das fünfte Kapitel der Bayreuther Festspielgeschichte hate geschlagen: Am 30. Juli 1951 hob sich – zum ersten Mal seit 1944 – wieder der Vorhang im Bayreuther Festspielhaus, zur „Parsifal“-Er­öf­f­nungs­­premiere der ersten Neu-Bay­reu­ther Festspiele nach dem Zweiten Weltkrieg. Hans Knapperts­busch debütierte am Bay­reu­ther Pult. Der Wagner-Enkel Wieland war für Regie und Bühnen­bild verantwortlich. Nach der Währungsreform 1949 war Geld zum Engagement der Künstler, für Bühnenbild und Kostüme knapp. Ganz zu schweigen von den Ressentiments gegen die politische Vergangen­heit Bay­reuths wie gegen die Brüder Wieland und Wolfgang. Dennoch schafften die Wagner-Enkel es, schon im Herbst 1950 das Startkapital von etwa anderthalb Millio­nen Mark zusammen­zubekommen.

 

Für den Neu­anfang 1951 war den ungleichen Brüdern Wieland und Wolfgang eines ganz klar: man durfte nicht an die alten Traditionen anknüpfen. Man musste künstlerisch neue Wege gehen und mit der Vergangenheit demonstrativ brechen. Damit wurden prinzipiell alle Dirigenten, Sänger und Altgediente des Dritten Reiches an der Mitwirkung in Bayreuth ausgeschlossen. Ausnahmen bestätigten die Regel.

 

Es muss damals für die Konservativen unter den Wagnerianern eine Welt zu­sam­mengebrochen sein, denn man spielte auf nahezu leerer Büh­ne, fast ohne Requisiten und ohne jeden Bezug zu historischer Konkretheit und Realität. Der „Parsifal“ war der Auftakt einer neuen Epoche der Bayreuther Festspiele. Neue Sänger, neue Di­ri­genten und gänzlich neue Regie­kon­zeptionen zogen ein ins Bayreuther Festspielhaus.

 

­Der Bayreuther Neuanfang war im In- und Ausland als ein theater­geschicht­liches Ereignis al­ler­ersten Ranges ge­feiert worden. Die Quintessenz der neuen Bühnenästhetik Wielands – die sich von allem Historismus und Naturalismus losgesagt hatte - ließ dem Zuschauer freies Spiel seiner Phantasie. Und offenbarte einen gänzlich „neuen“, entschlackten Wagner auf der Bühne.

 

Wagner war plötzlich scheinbar unpolitisch und ganz menschlich geworden. Schlag­worte von der „Entrümpelung“ und „Entmythologisierung“ machten die Runde. Es war eine sze­nische Revolution der Wagnerbühne, die Wieland Wagner ini­tiierte, vielleicht die folgen­reich­ste der Wagner-Inszenierungs­geschichte nach den ab­strak­ten, ihrer Zeit weit vorauseilen­den Vorstößen des Schweizer Bühnenbildners Adolphe Appia in den Zwan­ziger­jahren. –

Wieland Wagner spielte meist auf einer kreisförmigen Spielfläche, einer „Weltenscheibe“, sie wurde ironisch auch „Wielands Kochplatte genannt. Auf dieser, das Universum symbolisierenden Bühne transformierte er die Charaktere der dramatischen Pers­onen Wagners zu Symbolträgern von archaischer Größe. Die Bühne wurde zum „geistigen Raum“. Wieland Wagners tiefen­psychologisch-abstrakte Inszenierungen bauten in Sachen Körpersprache auf dem Ausdrucks­tanz bzw. dem freien Tanz des Impressionismus auf und benutzten archetypische Körperhaltungen, um aus dem Zeit-Raum-Kontinuum heraus­zutreten und für den dionysischen Untergrund des Wagnerschen Theaters adäquate Ausdrucksformen zu gewinnen.  Dabei knüpfte Wieland nicht nur an die Kunst Pablo Picassos, Piet Mondrians und Henry Moores an, sondern auch an die Tradition des Brechtschen Anti-Illusionismus an, was dem bürgerlichen Publikum der Wirtschaftswunderzeit der Bundesrepublik zuweilen heftig missfiel.  

 

Diri­gen­ten, die bisher nicht in Bayreuth zu erleben waren, wurden an den grünen Hügel geholt: der belastete Herbert von Karajan, der nur eine Saison dirigierte, bildete die Ausnahme. Ansonsten waren es unbelastete Persön­lichkeiten wie Wolfgang Sawallisch, Lovro von Matacic, Hans Knappertsbusch, Lorin Maazel, Thomas Schippers, Joseph Keilberth, André Cluytens, um nur einige zu nennen und ungehörte, junge Sänger wurden ver­pflichtet. Ein Sängerteam, das seines­gleichen suchte und in Bayreuth bis heute nicht wieder erreicht wurde: George London, Hans Hotter, Martha Mödl, Astrid Varnay, Gustav Neidlinger, Josef Greindl, Wolfgang Windgassen, Marti Talvela und viele andere mehr, die Crème de la crème des damaligen Wagnergesangs. Ein Modell-Ensemble, das jahrzehntelang Maßstab wurde. Neubayreuth wurde die führende Wagnerbühne der Welt.

 

Damals gelang Wieland Wagner (sein Bruder Wolfgang hielt ihm den Rücken frei, indem er sich ums Finanzielle und Organisatorische kümmerte) mit seiner Revolution des Inszenierungsstils, mit erstklassigen Sängern und Dirigenten noch einmal die Verwirklichung dessen, was Richard Wagner ursprünglich vorschwebte: modellhafte, mustergültige, maßstabsetzende Produktionen.

 

Wieland Wagner hatte übrigens mit seiner Familie das Kriegsende am Boden­see ver­bracht, wo er  der Entnazifizierung zu entgehen suchte (die französischen Alliierten waren weniger streng als die amerikanischen) und sich auf all das stürzte, was im Dritten Reich verboten war: auf die Tie­­fen­psychologie Siegmund Freuds, die Symbolforschung der C.G. Jung-Schule, auf My­then­forschung und auf die – frei­lich im internationale Rahmen schon gar nicht mehr so avantgardistische -  Moderne der Malerei, etwa Pablo Picassos, Piet Mondrians und Henry Moores. Nicht zu reden von der Wiener Schule um Alfred Roller.

 

Neubayreuth kam der Idee von Wagners „Utopie der Alternative“ sehr nahe. Indem es mit ganz neuen Mitteln bewies, dass Wagners Ideendramen zeitlos sind. Und dass sie im­mer wieder neu gedeutet werden können. Ja wohl auch müssen. Man erinnere sich an Wag­ners programmatische Aufforderung „Kinder! macht Neues! Neues! und abermals Neues! – hängt Ihr Euch an´s Alte, so holt Euch der Teufel der Inproduktivität, und Ihr seid die trau­rigsten Künstler!“ Dieser Brief an Franz Liszt vom 8. September 1852 ist nach wie vor ein­zulösendes Motto der Bayreuther Festspiele. Auch wenn „neu“ nicht immer gleicht „gut“ heißt.

 

 

Bayreuth war nach 1951 nicht nur künstlerisch wie der Phönix aus der Asche wiedererstanden, sondern auch gesellschaftlich. Gerade das konservative Pu­blikum der Ade­nauer­ära brauchte nach dem Zusammenbruch, nach der Entwertung aller „deutschen“ Werte wieder Identifikations- und Repräsen­tationsorte. Man „war ja wieder wer“ im Wirt­schaftswunder-Deutschland. Bayreuth wurde also wieder zu einer nationalen Institution. Zumindest die Eröffnungs­premieren wurden so benutzt. In ihnen ließ sich, multimedial begleitet, die Prominenz aus Politik, Wirtschaft und Showbiz feiern. Der Bayerische Rundfunk übertrug die Premieren in alle Welt. (Daran hat sich bis heute nichts geän­dert.)  Auch wenn es nach dem Eröffnungsabend alles andere als glamou­rös oder versnobt zugeht in Bayreuth. Bayreuth ist nicht Salzburg.

Und damit zu Kapitel Sechs der Bayreuther Festspielgeschichte. Als Wieland Wagner 1966 - kaum 50 Jahre alt – starb, fiel seinem Bruder Wolfgang das allei­­nige Erbe der Fest­spiel­leitung zu. Er inszenierte zwar auch selbst, das waren aber keine weg­wei­sen­den, sondern eher schlichte, solide, brav „werktreue“ Insze­nierungen. Seit 1969 überließ Wolfgang Wag­ner die Bay­reuther Bühne allerdings auch anderen Regisseuren, etwa August Everding und Götz Fried­rich. Letzterer sorgte mit seinem aktuali­sierten, gesellschaftskritischen „Tann­häuser“ im Jahre 1972 für Aufregung. Peu à peu gelang es Wolfgang Wagner, Bayreuth zum Spiegel des europäischen Operntheaters zu machen. Darunter war viel Mittel­prächtiges, allerdings mit steigender Tendenz, je älter Wolfgang Wagner wurde. Mit Patrice Chéreaus Jahrhundert­ring, Werner Herzogs cineastisch-märchenhaftem Lohengrin, Heiner Müllers suggestiv abstraktem Tristan, Klaus Guths psychologisierendem Holländer und Stefan Herheims sensationellem Parsifal - um nur einige Produktionen herauszugreifen – hat Wolfgang Wagner seinem Publikum immerhin einige Sternstunden beschert, Sternstunden des Musiktheaters.

 

Wolfgang Wagner hat den von Wieland definierten Begriff der „Werkstatt Bay­reuths“ dahingehend konkretisiert, dass eine Inszenierung 5 Jahre im Spielplan verblieb, an ihr aber jedes Jahr weitergearbeitet wurde. Work in Progress. Das ist im Prinzip noch heute so. Sängerisch ent­wickelte Wolfgang Wagner die Strategie, junge, keineswegs arrivierte Sänger in Bay­reuth auszuprobieren und zu entwickeln, auch wenn deren Größe gelegentlich zweifelhaft und nur von kurzer Dauer war. Birgit Nilsson – eine der nun wirklich ausserordentlichsten Wagnersängerinnen des 20. Jahrhunderts – hat mir, als ich sie in ihrem Bauern­haus in Süd-Schweden wenige Jahre vor ihrem Tod besuchte, gesagt „Als ich noch in Bayreuth sang, sangen nur die Besten der Besten in Bayreuth. Heute kann ja jeder dort singen!“ Das war in den Neuzigerjahren. Was würde sie wohl sagen, wenn sie hörte, wer heute so in Bayreuth singt?  

 

Wolfgang gelang es immer wieder, Ausnahmeregisseure – wie Patrice Chéreau, Werner Herzog, Harry Kupfer oder Heiner Müller zu engagieren, und Ausnahmedirigenten wie Pierre Boulez, Giuseppe Sinopoli, Daniel Barenboim oder Georg Solti. Doch überwiegend herrschte in Bayreuth spätestens seit den Achtzigerjahren Grundsolidität, um nicht zu sagen Mittelmaß. Die wirklich aufre­genden Wagnerproduktionen fanden andernorts in der Welt statt. Zumal seit die künstlerisch wenig inspirierte und wenig – man muss eigentlich sagen – völlig unkünstlerische Gudrun Wagner zur heimlichen Intendantin avancierte.  Ich will nicht in Abrede stellen, dass sie durchaus über Bauernschläue verfügte, gewitzt war und zupackend organisieren konnte.  Wolfgang Wager hatte Gudrun Mack, eine seiner Sekretärinnen, 1976 geheiratet, und sich nach 33 Jahren von seiner ersten Frau scheiden lassen.

 

Durch die Heirat Gudrun Macks verfeindeten sich die Familien-mitglieder des Wieland- und Wolfgang-Clans mehr und mehr. Wolfgang feuerte Eva, seine Tochter aus erster Ehe, die er nach Wielands Tod als Mitarbeiterin ins Bayreuther Festspielunternehmen geholt hatte. Seinem aufmüpfigen Sohn Gottfried er­teilte er sogar Hausverbot. Der Bruch Wolfgang Wagners mit allen anderen Mitglie­dern der Wagnerfamilie und sein bedingungsloser Alleinherr­schaftsanspruch als Chef der Bayreuther Festspiele war ein für allemal zemen­tiert. 1987 wurde Wolfgang Wagner – der Festspielleiter auf Lebenszeit war – auch alleiniger Gesellschafter der Festspiel-GmbH.

 

Das Bayreuth Wolfgang Wagners wurde übrigens seit 1976 durch Familienangehörige der Wagner­sippe zunehmend attackiert. Seither gehörte es geradezu zum alljährlichen Ritual der Fest­spieleröffnung, dass sich mindestens eines der von Wolfgang ausgegrenzten oder verstoßenen Fami­lien­mitglieder provokativ oder skandalös, jedenfalls medien­wirksam zu Wort meldet. Die familiären Schlammschlachten der Wagners (die es heute nicht mehr gibt) hatten Ritualcharakter angenommen.

 

Bei allen Bedenken gegen die jahrelang kaum mehr dialog- und kompro­missbereite Haltung und den patriarchalischen Leitungsstil des kauzigen Fest­spielchefs Wolf­gang und seiner Schattenimpresaria: Er war als Theater-Manager, als väterlicher Impresario, als unkom-komplizierter Gesprächspartner, als Leiter der Festspiele ein nicht zu ersetzendes Unikat! Trotz seiner fränkischen Knor­zigkeit, selbstherrlichkeit und Hartnäckigkeit .

 

Mehr als fünf Jahrzehnte leitete er das Bay­reuther Unternehmen. Kein anderer Theaterdirektor saß je so lange im Chefsessel. Seit Wielands Tod führt er das Bayreuther Unternehmen in Alleinverantwortung. Wolfgang hat aus dem baufälligen Nachkriegs­fest­spielhaus ein technisch hochmodern ausgerüs­te­tes, bei­spielhaft restauriertes Opernhaus gemacht. Dass es jüngst erneut restauriert werden mußte, steht auf einem anderen Blatt. Die Bayreuther Festspiele sind unter seiner Ägide eines der materiell erfolgreichsten Fest­spiel­unternehmen der Welt geworden, mit den vergleichbar billigsten Fest­spiel­preisen (in der Vergangenheit, muss man hinzufügen), was ihm unter anderem nur gelang, weil seine Künstler niedrigste Ga­gen akzeptierten. 

 

 

Seine wichtigste Lebensleistung war sicherlich die Gründung der „Richard Wagner Stif­tung“ zur Erhaltung der Festspiele. Die ansonsten durch Familien­auseinandersetzungen und finanzielle Ungesichertheit gefährdet gewesen wären.  Stiftungsmitglieder sind die Bundes­republik Deutschland, der Frei­staat Bayern, die Stadt Bayreuth, die mäzenatische „Gesell­schaft der Freunde von Bayreuth“, die Bayerische Landesstiftung, die Oberfrankenstiftung, der Bezirk Oberfranken und Mit­glieder der Familie Wagner. Wertvolle Archivalien, Doku­mente und Autographe, aber auch Wagners Wohnhaus, die Villa Wahnfried und das Fest­spiel­haus wurden der Stiftung übereignet. Sie vermietet das Festspielhaus seither an den Festspielleiter. Damit wurde das Familienunternehmen Bayreuths end­gültig abgeschafft. Die Festspiele wurden quasi zum Staatsbetrieb. 

 

Die Finanzierung der Festspiele teilten sich schon ab 1953 öffentliche Zuschuss­geber und die „Gesellschaft der Freunde von Bayreuth“, nach einem festen Schlüssel. So wurden je ein Drittel des Haushaltsdefizites von der Bundes­republik Deutschland und dem Freistaat Bayern übernommen. Das letzte Drittel teilten sich die Stadt Bayreuth, der Bezirk Oberfranken und die Gesellschaft der Freunde, die Mäzenaten­vereinigung, die seit 1990 die Finanzierung technischer und baulicher Investitio­nen der Festspiele trugen.

 

Wolfgang Wagner gelang es, den Anteil öffentlicher Subventionen im Gesamtetat – in seinem letzten Jahr 2008 waren das ca. 8 Millionen - stets unter 40% zu halten. Dabei waren – dank eines weitausgreifenden Kultur-Sponsorings die Eintrittspreise in Bayreuth deutlich niedriger als bei vergleichbaren Musik­festivals. Auch die Pflege von etwa 140 Richard-Wagner-Verbänden mit cirka 30.000 Mitgliedern darf als marketingstrategische Meisterleistung gelten. Denn durch eine Kontingentierung von Karten an die Wagner-Verbände bzw. deren Richard-Wagner-Stipendienstiftung konnte Wolfgang Wagner eine hohe interne wie auch externe Bindung an die Festspiele aufbauen. Ein vergleichsweise großes Karten­kontingent ging an Mitglieder des Deutschen Gewerkschafts­bundes, für die jährlich zwei geschlossene Vorstellungen statt­fanden; ferner wurden zuschuss­gebende Institutionen und das Jugend-Festspieltreffen berücksichtigt. Diese Kontin­gente verringerten zwar das freie Angebot von ursprünglich 57.750 Karten pro Saison (bei 1.925 Plätzen und 30 Vorstellungen), aber sie sicherten 100%ige Auslastung und tragen damit zur konstanten Überbuchung bei. Für die Ära Wolfgang Wagner galt: Wer eine Eintrittskarte für Bayreuth bestellte, hatte bis zu 10 Jahren zu warten. Davon träumten andere Festivals nur.  Heute ist die Situation nicht mehr so rosig. Aber das gehört ins siebte, letzte Kapitel der Bayreuther Fest­spiel­ge­schichte

 

 

Es begann im Juli 1998, als Wolfgang Wagner das Verfahren zur Findung seines Nach­folgers eröffnete. Das wurde allerdings zu einer geradezu quälend absurden Soap opera. Am 29 März 2001 entschied sich der Stiftungsrat für Eva Wagner-Pasquier als Nachfolgerin. Daraufhin beendete Wolfgang Wagner gekränkt die Nach­folgefindung, denn er und seine Frau Gudrun wollten die gemeinsame Tochter Katharina um jeden Preis als Nachfolgerin sehen.

 

Plötzlich und unerwartet starb dann am 28. No­vember 2007 Gudrun Wagner. Damit war der Weg frei für eine An­nä­herung zwischen der seinerzeit verstoßenen Eva Wagner-Pasquier (die an anderen Theatern und beim Festival d´Aix-en-Provence ihren Weg gemacht hatte, wenn auch nicht, wie oft behauptet, in erster Reihe) und Katharina Wagner, die als Regisseurin, über deren Begabung die Meinungen allerdings auseinander gehen, geschickt und hartnäckig lanciert von ihrem Vater, sich nun zu einer gemeinsamen Leitung der Festspiele bewarben.

Wolfgang Wagner erklärte daraufhin am 29. April 2008 erwartungemäß seinen Rücktritt mit Ab­schluss der Fest­spiele. Derr Stiftungs­rat wählte dann am 1. September 2008 Eva Wagner-Pasquier und Katharina Wagner zu gleichbe­rechtigten Leiterinnen der Bayreuther Festspiele. Es war nach Meinung Vieler eine abgekartete Sache. Inzwischen ist Katharina Wagner alleinige Herrin des Hügels, ihre Schwester Eva hat sie erfolgreich weggebissen, auch Ihren Musikdirektor, den keineswgs unumstrittenen Dirigenten Christian Thielemann hat sie geschasst.

 

Eine neue Zeitrechnung der Bayreuther Festspiele brach nach Wolfgang Wagner an. Denn auch die Rechtsform der Bayreuther Festspiele GmbH, die 1986 gegründet wurde, hat sich zum Komplizierteren hin verändert. Wolfgang Wagner war ja bis zu seinem Abgang alleiniger Gesellschafter der Fest­spiel-GmbH. Seit September 2009 ist die Bayreuther Festspiele GmbH in den Besitz von vier Gesellschaftern übergegangen: Das sind die Gesellschaft der Freunde von Bayreuth e. V., die Bun­desrepublik Deutschland, der Freistaat Bayern und die Stadt Bayreuth. Sie halten seitdem je 25% der Anteile. Ein Verwaltungsrat berät und überwacht die Geschäftsführung und beschließt den Wirtschaftsplan der Bayreuther Festspiele. Damit waren die Festspiele endgültig ein öffentlich verantwortetes und kontrolliertes Staatstheater geworden, das sich wie jedes andere auch gegenüber der Öffentlichkeit, die es zu wesentlichen Teilen mit Steuergeldern bezuschusst, verantworten muss. Und alle Gutsherren- bzw. Gutsherrinnen-Attitüden verbieten sich von selbst.  

 

Meine Damen und Herren: Zwar stellen die Bayreuther Festspiele nach wie vor die einmalige Situation dar, dass das Werk eines Komponisten, bzw. der von ihm selbst als festspielwürdig erachtete Teil seines Werkes, in einem singulären Theatergebäude gegeben wird. Was diesem Festival – im Gegensatz zu vielen anderen – Einmaligkeit und Unverwechselbarkeit sichert.  

 

 

Die Bayreuther Festspiele entfernten sich seit Wolfgangs Tod allerdings zusehends von ihren ursprünglichen Intentionen. Zunächst hatten Katherina und Eva Wagner vor allem kos­me­tische Veränderungen vorge­nommen, sie haben für die betuchte Klientel Silver-, Gol­den- und Walhalla-Lounges ein­gerichtet. Die Platzan­weise­rinnen trugen plötzlich Brombeer - oder Fliederfarben. Einerseits wollten die Schwestern gesell­schaft­lichen Eventcharakter wie in Salzburg. Andererseits biederten sie sich dem Massenpublikum an, per Internet-Livestream oder Public-Viewing auf dem Volksfestplatz, inklusive Würstchenbuden und Bierzelten. Sie waren also genau dort angekommen, wo Wagner nie hinwollte!

 

Zu schweigen von den Kinderopern, wie sie jedes deutsche Stadttheater seit Jahrzehnten pflegt. Schließlich haben die beiden Wagner-Urenkelinnen die seit einem halben Jahrhundert treue Mä­zenatengesellschaft der „Freunde und Förderer“, in dem sie eine zweite gegründet haben, das „Team der Aktiven Freunde und Förderer“ kurz Taff - und spielten sie gegeneinander aus. Das ist nicht sehr klug in Zeiten der Finanzkrisen und des Kulturabbaus. Inzwischen gaben die Freunde der Bayreuther Festspiele bekannt, künftig womöglich weniger für die Festspiele zahlen zu können. Für das laufende Jahr werde allerdings noch der volle Betrag gezahlt, so heisst es. Das sind etwa drei Millionen Euro, die der Förderverein im Jahr an die Festspiel GmbH gibt.

 

 

Kulturstaatsministerin Claudia Roth meinte daraufhin gegenüber dem BR: "Wenn die Gesellschaft der Freunde von Bayreuth bei der Finanzierung deutlich weniger beisteuern kann, dann müssen jetzt alle, die Teil dieses ganzen Komplexes sind, zusammen handeln. Das kann nicht nur der Bund, sondern da muss Bayern eine ganz entscheidende Rolle spielen."

 

Übrigens: 55 Prozent des Haushalts, der zuletzt bei 28 Millionen Euro lag, erwirtschaften die Festspiele selbst, das sind 15 Millionen aus Ticketerlösen. 10 Prozent kommen vom Förderverein der Gesellschaft der Freunde von Bayreuth, 35 Prozent aus öffentlichen Geldern - von Bund, Freistaat Bayern und der Stadt Bayreuth

 

 

Kulturstaatsministerin Claudia Roth will zukünftig übrigens nicht nur Wagner im Festspielhaus sehen: Sie drängt darauf, die Bayreuther Festspiele "jünger und diverser" zu machen und regte an, dafür auch den Spielplan zu erweitern. Konkret nannte sie "Hänsel und Gretel" von Engelbert Humperdinck, weil dieser Komponist wie viele andere auch zu den Wagner-Bewunderern und -Mirabeitern gehört habe. Die phantasievolle Kulturstaatsministerin hat für ihre Schnapsidee viel Spott und Häme geerntet.  

 

Was die Repertoire-Erweiterung angeht, so darf ich daran erinnern, dass die Satzung der Bayreuther Festspiele vorschreibt, dass ausschließlich die letzten zehn Opern Wagner aufgeführt werden dürfen. Für eine Repertoireerweiterung müsste die Satzung geändert werden, das heißt alle Mitglieder der Bayreuther Festspiele GmbH müssten zustimmen: Das sind die Gesellschaft der Freunde von Bayreuth e. V., die Bun­desrepublik Deutschland, der Freistaat Bayern und die Stadt Bayreuth. Bayern wird sich klipp und klar dagegen entscheiden, so hat Bayerns Kunstminister Blume verlautbaren lassen. Damit dürfte sich eine Repertoireerweiterung erledigt haben

 

Allerdings hat Claudia Roth nicht ganz unrecht, wenn sie feststellt, dass das Publikum im Festspielhaus "kein Abbild unserer vielfältigen, bunten Gesells­chaft" sei. Besonders junge Menschen seien in Bayreuth unterrepräsentiert. Das hat allerdings auch mit einer aus dem Ruder gelaufenen Bildungspolitik zu tun. Schweigendazu seitens der Kulturstaatsministerin. Bayreuth müsse sich zukünftig stärker ums Publikum bemühen. Es gehe um die "Zukunfts­fähigkeit" der Festspiele, betont Kulturstaatssekretärin Claudia Roth, also darum, "die Rahmen­bedingungen für künstlerisch attraktive Inszenierungen zu schaffen

 

Künstlerisch attraktive Inszenierungen?

 

Da muss man sich doch fragen: Warum dürfen eigentlich in Bayreuth oft unerfahrene, ja unbedarfte Regisseure, die keine tiefere Affinität zur Oper im Allgemeinen, zu Wagner im Besonderen zu haben scheinen, die eigentlich nur ihre Befind­lichkeit, allenfalls Kommentare, aber nicht das Werk auf die Bühne bringen, sich in Bayreuth versuchen. Bayreuth ist kein Versuchs­labor für Anfänger, kein Spielplatz zum Auspro­bieren. Früher ging man als Anfänger in die Provinz.  

 

Eine Ausnahme möchte ich allerdings ausdrücklich erwähnen:  

Frank Castorf, der in die Jahre gekommene Ex-Intendant der Berliner Volks­bühne, er hat auf dem Grünen Hügel noch einmal das gemacht, was er schon immer machte – posttheatralisches (Agitprop-)Theater,  mit dem «Ring» als Anlass. In aufwändigste, entsprechend teure Bühnenbilder gepackt – und doch über Wagner hinweg und an Wagner vorbei. Ich möchte allerdings eine Lanze für ihn brechen: Seine postsozialistische Lesart, die in einer US-amerikanische, texanische Tankstelle begann, über die Ölfelder von Baku zu einem Mount Rushmore der anderen Art führte, angesiedelt, in einer massiven Felswand, aus der die Köpfe der vier Erzheiligen des Sozialismus herausgemeißelt war: Marx, Lenin, Stalin und Mao. Und auf der Rückseite dieses Politmonuments, das auf einer Drehbühne stand befand sich ein hochsymbolischer Ort der DDR und des Kalten Kriegs: Berlin Alexanderplatz. Man kann zurecht kritisieren: Was hat das alles mit Wagner zu tun? Natürlich als Staffage nichts. Aber Castorf hat, indem er den Zusammenbruch der Systeme, den Kampf Kapitalismus contra Marxis­mus thematisierte, festgemacht am Beispiel des Kampfes ums Erdöl, den vielen langweiligen und weithin unpolitischen Bayreuther Ringen einen Ring entge­gengesetzt, der endlich einmal wieder Wagners „Ring“ als erklärtes Revolutionsstück ernstnahm. 


Zur Erinnerung: Für Castorf hatten sich die Festspielleiterinnen allerdings erst im allerletzten Moment entschieden – nachdem Tom Tykwer, Thomas Oster­meier und Wim Wenders abgesagt hatten. Es war der vielleicht letzte spekta­kuläre coup de théâtre, den das „Nach-Wolfgang‘sche“ Bayreuth landete.

 

Es ist nicht zu überlesen und zu überhören, dass die Öffentlichkeit sich mehr und mehr um die künstlerische Gefährdung des Fortbestandes der Festspiele sorgt. Viele Kenner und Beobachter der Bayreuther Festspiele bekennen inzwischen, dass es womöglich ein großer Fehler war, aufs dynastische Erbfol­ge­prinzip der Festspielleitung gesetzt zu haben, Die Abwanderung eines großen Teils der treuen Wagnerianer, ich meine der echten Wagnerenthusiasten, spricht für sich. Längst ist Bayreuth nicht mehr das Maß aller Dinge in Sachen Wagner. Zwar singen dort jetzt reisende Stars der Wagnerszene, die Kartenpreise sind gewaltig gestiegen, sie reichen jetzt von elf bis 459 Euro, die meisten Karten kosten um die 200 Euro. Bayreuth ist inzwischen zu einem Ort für Opern-Events geworden. Das neue Bayreuther Publikum kommt ein, zwei Mal, dann zieht es zu anderen Events weiter.

 

 

Meine Damen und Herren, die Bayreuther Festspiele legitimieren sich nur dadurch, dass sie etwas Einmaliges sind. Und das sollte doch nicht nur das Festspielhaus samt authentischer Umgebung und Villa Wahnfried sein! Bay­reuth sollte dem Publikum etwas bieten, was es nicht überall geboten bekommt, musikalisch, sängerisch, regielich. So wollte es Richard Wagner. Dazu müsste es aber ein inhaltliches Konzept der Festspiele geben. So etwas wie ein Grundsatz-Programm. Eine Vision. Einen Plan, ein künstlerisches Credo. Doch genau das vermisst man bei der heutigen Festspielleitung.  Sie jagt Regie-Moden oder Moderegisseuren nach.

 

Wagner hat musikalisch-theatralische Utopien, Träume, Alpt­räume und Visionen geschaffen, die so vielfältig und vieldeutig sind, wie nur Weniges in der neue­ren Kulturgeschichte. Gerade des­halb ist Wagners Werk nach wie vor so aktuell. Und gerade deshalb enthält es noch immer so viel „Zukunftsmusik“. Und jede regieliche Aktualisierung ist meist eine Verkleinerung Wagners. Sollte nicht Bayreuth als ältestes und traditionsreichstes deutsches Opern­festi­val mehr denn je eine Alternative zum vorherrschenden Regietheater, aber auch zum gängigen Festivalbetrieb sein? Wie wär‘s denn beispielsweise mal mit „histo­­risch info­rmierter Aufführungs-praxis“, im Musikalischen, Sängerischen und Szenischen? Die Frage darf man stellen, denn da besteht großer Handlungsbedarf und Potential.  

 

Wenn das heutige Bayreuth den Weg weitergeht, den es in den letzten Jahren beschritten hat, könnte es sein, dass ihm in absehbarer Zeit das Publikum fehlt. Längst weiß der Opern- und Festivaltourist, zumal der Wagnerinteressierte, wo er zu welchem Preis welche Qualität be­kommt. Und wo er Besseres, Interessan­teres als in Bayreuth bekommt für sein Geld.

Bayreuth soll für alle da sein, wird immer wieder gesagt. Gewiss. Bayreuth soll bunter werden, diverser und jünger. Schön und gut. Katherina Wagner will ein jüngeres Publikum zu den altehrwürdigen Festspielen locken. Sie will am Puls der Zeit sein. Doch das heutige Bayreuth, das von ihr seit 2015 im Alleingang geleitet wird, befindet sich - man muss es leider so sagen - auf steiler Talfahrt nach unten, auch wenn inzwischen drei Dirigentinnen, am Grünen Hügel dirigieren. Aber Geschlechtsz­ugehörigkeit ist kein Qualitätsbeweis. Sowenig wie Regie-Spektakel es sind.


Ich erspare mir und Ihnen meinen Kommentar zu den letzten und den kommenden Produktionen am Grünen Hügel. Den ich übrigens seit 5 Jahren nicht mehr betreten habe und auch nicht mehr betreten werde nach über 40 Jahren Bayreuthbesuchs. Freilich beobachte ich Bayreuth nach wie vor aus sichererFerne.


Wer will denn, Hand aufs Herz, einen „Parsifal“ im Barbieland, wer will in diesem Werk belanglose Bildchen in soge­nannter „augmented reality“ sehen, mittels 3-D-Brillen, die allerdings nicht jeder Zuschauer bekommt. Wer will den „Ring“ als abstruses Familiendrama im Netflix-Serien-Format sehen?  Was den diesjährigen neuen „Tristan“ des ausgebuhten isländischen Regisseurs Thorleifur Örn Arnarsson angeht, so spottete die Presse ziemlich einhellig über einen Rumpelkeller in den Resten eines verrotteten Schiffsbauches, von einem „Tristan“ im Trödelladen. Von Semyon Bychkovs langatmigem Dirigat ganz abgesehen.  


Zum 150. Jubiläum der Festspiele will Katharina Wagner übrigens den „Rienzi“ erstmal auf die Festspielbühne bringen. Und die nächsten „Meister­singer“ soll der Musicalexperte Matthias Davids vom Landestheater Linz besorgen, weil das Werk ja so musicalhaft ist ...

Wie auch immer: Katharina Wagners Vertrag als Festspielchefin in Bayreuth ist nun bis 2030 verlängert worden. Gleichzeitig ist die Position eines "General Mana­gers" ausgeschrieben worden. Mit der neuen Personalie könnten Marketing, Einwerbung von Drittmitteln, organisatorische Weiterentwicklung und alle anderen nichtkünstlerischen Angelegenheiten gezielter angepackt werden. Das erhoffen sich jedenfalls Bayerns Kunstminister Markus Blume und auch Kulturstaatsministerin Claudia Roth. Sie Man hofft auf "Good Governance".


Zu dem Gesamterlebnis der Bayreuther Festspiele so betonen die Politiker, gehöre das historisch und architektonisch einzigartige Festspielgebäude, dessen wieder einmal notwendige Sanierung die Kulturstaatsministerin gesichert sieht. „Der Bund wird dafür Mittel in der Höhe von bis zu 84,7 Millionen Euro bereitstellen, die andere Hälfte wird durch das Land Bayern geleistet.“

 

Der neue Bayrische Kunstminister Markus Blume ist der Meinung: „Für die Bay­reuther Festspiele als herausragendes nationales Kulturgut brauchen wir künst­lerisch und strukturell die beste Aufstellung – und diese haben wir jetzt! ... Mit Katharina Wagner...  und durch die strukturelle Weiterentwicklung haben wir die Weichen dafür gestellt, so dass die Festspiele weiterhin weltweit Maßstäbe in der zeitgemäßen Auseinandersetzung mit dem Werk Richard Wagners setzen können. Sie hat Bayreuth spannende neue Impulse gegeben – und auch ihr Blick in die Zukunft der Festspiele hat überzeugt. Bayreuth und Wagner: Das gehört zusammen und bleibt zusammen. So die Politik. Sein Wort in Gottes Ohr.


Schon Richard Wagner hat immer wieder bemängelt, dass Politiker selten etwas von Kunst verstanden. Er hat sich maßlos über die Kunst­unverständigen, die Philister und die deutschen Politiker geärgert. Seine kritischen Äußerungen über die Deutschen und das manifeste Misstrauen gegenüber der deutschen Staatsmacht und dem preußischen Machtstaat sind bekannt. Ganz zu schweigen von Friedrich Nietzsche. Er bezeichnete in der „Fröhlichen Wissenschaft“ Politik als „Prostitution des Geistes“. Im „Antichrist“ geißelte er „das erbärmliche Zeitgeschwätz der Politik.“ In seinem Nachlass sprach er vom „nationalen Schwindel“ der Politiker ...


Dass Wagner und „die Wagners“ auch im heutigen Deutschland wedn noch immer die Projektionsfläche verschiedenster identifikatorischer Bedürfnisse von Politikern, Prominenten und Publikum entsprechend benutzt zur Befriedigung von Sehnsüchten wie zur Selbstdarstellung und zu politischer Propaganda. Ein „deutsches Missverständnis“, vor dem schon Friedrich Nietzsche warnte, als er ausrief: „Die Deutschen haben sich einen Wagner zurechtgemacht, den sie verehren können“.


Und er war es, der vor der „Diktatur des Zeitgemäßen“ warnte. Eben diese aber scheint im heutigen Bayreuth Programm zu sein. Bayreuth ist heute -ich sage es noch einmal - leider nur noch ein Zeitgeist-Event. Eine Spielwiese sich ideologisch als verblendet erweisenden Regietheaters, das Wagners Stücke auf der Bühne regelmäßig bis zur Sinnlosigkeit verhackstückt, um sich dabei an einem ,deutschen‘ Mythos‘ abzuarbeiten. Es ist halt wo, wie Martin Gregor-Dellin schon vor vielen Jahren betonte: „Das gestörte Verhältnis der Deutschen zu Richard Wagner ist das gestörte Verhältnis zu ihrer Geschichte.“

 

Die Ferne von jeder „Utopie einer totalen Alternative“ um noch einmal an mein Eingangszitat Oswald Georg Bauers zu erinnern, diese austauschbare zeitgei­stige Regie­theater-Mittel­mäßigkeit ist nicht nur eine große Gefahr für die Zukunft der Bay­reuther Fest­spiele, es ist vor allem das größte Missver­ständnis dessen, und der weitest entfernte Punkt von dem, was Richard Wagner mit seiner Festspielidee ursprünglich vorschwebte. Man darf dafür wohl das Wort Niedergang verwenden.

 

Ich danke für ihre Aufmerksamkeit.