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„Public viewing“ in Bayreuth
Bayreuth ist endlich dort angekommen, wo Richard Wagner nie hin wollte. Eine Wagnermeile als Freß- und Sauf-Meile. Katharina Wagner und ihr Vater setzen jetzt also auf Popularisierung und multimediale Vermarktung der Wanerschen Festspielidee.
Der Fußball und die Bayreuther Richard Wagner-Festspiele könnten bald etwas gemeinsam haben: „Public Viewing“. Der Begriff ist ein Scheinanglizismus, der das gemeinschaftliche Mitverfolgen vieler Zuschauer von live übertragenen, medialen Großereignissen auf Großbildleinwänden an öffentlichen Standorten bezeichnet. Seit der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 hat sich dieser Begriff im deutschen Sprachgebrauch eingebürgert. Im englischen Sprachraum wird dieser Begriff in diesem Sinne nicht benutzt. Und im amerikanischen Englisch bezeichnet er die öffentliche Aufbahrung eines Verstorbenen. So will es Katharina Wagner, Chefin der von ihr und ihrem Vater Wolfgang erst kürzlich gegründeten Bayreuther Festspiel-Medien GmbH, und die treibende Kraft hinter solcher neuartiger Vermarktung der Bayreuther Festspiele, wohl nicht verstanden wissen.
Bisher galt solche Anbiederung an die Massen auf der Strasse in Bayreuth als tabu. Es war eine Frage des Prestiges der Festspiele. Und schließlich muß das Bayreuther Publikum neun oder zehn Jahre warten, bis es eine Karte bekommt. Dieses Publikum möchte dann auch den Genuß für sich haben. Und was ist mit denen, die keine Karten haben? Ist es für die ein zumutbarer Genuß, Wagners Parsifal medial übersetzt ins unzureichend Zweidimensionale einer Grossbildleinwand zu erleben (bei Tageslicht, schließlich fangen die Vorstellungen in Bayreuth um 16 Uhr an) mit zudem noch sehr beschränktem Hörgenuss? Und überhaupt, 5 Stunden Wagner im Stehen, eine Zumutung!
Werden da etwa Klappstühle aufgestellt, wie im Festspielhaus? Ohne Eintritt? Und was ist mit den menschlichen Bedürfnissen? Oder soll das Bayreuther „Public Viewing“ gastronomisch begleitet werden? Eine Wagnermeile als Freß- und Sauf-Meile? Der Festspielsprecher kann noch so sehr betonen, so ließe sich der Traum von Festspielgründer Richard Wagner erfüllen, der die Festspiele allen Freunden seiner Kunst zugänglich machen wollte: Nein, dem muß man entschieden widersprechen.
Wagners Utopie des „Kunstwerks der Zukunft“ und demokratischer Festspiele war eine andere. Ihm ging es nicht um billige, gar kostenlose Unterhaltung auf der Strasse, sondern um exklusive Kunstanstrengung unter bestmöglichen Produktionsbedingungen für ein Publikum, das sich anstrengt. Eben dafür schuf er das Festspielhaus. Katharina Wagner und ihr Vater setzen jetzt also auf Popularisierung und multimediale Vermarktung der Wanerschen Festspielidee. Geplant sei ja auch, DVDs herauszugeben. Die können dann ja gleich auf der Strasse verkauft werden. Und was ist mit Wagner-Buttens, Wagnerkulis, Wagner-T-Shirts. Darauf haben wir doch schon lange gewartet. Und was ist mit Wagner-Regenschirmen. Beim Public Viewing könnte es ja schließlich regnen? Man wolle "die Vermittlung der Aufführungen auf die Höhe der Zeit bringen", sagte Festspielsprecher Emmerich gestern. "Die Festspielidee würde sich damit weiter demokratisieren". Was für ein Gedanke von Demokratie steckt denn dahinter, wenn man ein Zweiklassen-Festspielpublikum befördert?
Man sehe darin auch die Möglichkeit, ein jüngeres Publikum zu erreichen. Und wenn es gar nicht kommt? Oder wenn ihm gar nicht gefällt, was es da auf der Großbildleinwand sieht? Dann geht es eben wieder. Macht ja nichts. Für die Stadt Bayreuth wäre "Public viewing" in jedem Fall eine zusätzliche Attraktion. Sicher, dann hat Bayreuth – das sich ja schon künstlerisch mehr und mehr vom anspruchsvollen und exklusiven Gedanken festspielwürdiger Aufführungen verabschiedet hat – inzwischen sieht und hört man überall sonst auf der Welt besseren Wagner als in Bayreuth – dann hat es auch massenmedial endlich erreicht, was bei Love-Parades, was bei Papstbesuchen, in Freilichtkinos, bei Politikerreden und in unzähligen Fußballstadien längst gang und gäbe ist. Hurrah! Bayreuth ist endlich dort angekommen, wo Richard Wagner nie hin wollte.
Kommentar in SWR2, Journal am 28..02.2008