The Rake´s Progress Leipzig 2014

Grandioses Pandämonium der Freizeit-, Spaß- und Wohlstandgesellschaft

Strawinsky. The Rakes´s Progress an der Oper Leipzig, Premiere 05.04. 2014

Photos: Oper Leipzig / Tom Schulze

1951 wurde am Teatro La Fenice Igor Strawinskys dreiaktige Oper “The Rake´s Progress” (Die Karriere eines Wüstlings) uraufgeführt. An der Oper Leipzig wurde in einer Koproduktion mit dem Teatro La Fenice, wo das Stück ab dem 27. Juni gezeigt wird, eine Neuinsze-nierung herausgebracht, von einem ausschließlich italienischen Produktionsteam um Regisseur Damiano Michieletto, in Italien längst ein arrivierter Theaterman, der in Leipzig sein Deutschlanddebüt gibt. Schon im Vorfeld der Premiere sind Photos in den Medien veröffent-lich worden, mit außerordentlich schrillen und unkonventionellen Inszenierungsphotos, die für Aufsehen und Gesprächsstoff sorgten.


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Die Inszenierung ist schrill, sie ist bunt, sie sprengt alle konventionellen Erwartungen. Aber das Schrille ist kein Selbstzweck, sondern  Mittel eines außerordentlich ernsthaften, konsequenten und überzeugenden, ja bewegenden  Inszenierungskonzepts. Damiano Michieletto hat die Geschichte des Taugenichts vom Lande, der in London die sieben Todsünden durchlebt, seine Seele an den Teufel verkauft und zum Wüstling wird, schließlich in Wahnsinn endet, als so einleuchtende wie eindringliche Parabel auf den Zynismus unserer heutigen Wohlstands- und Freizeitkultur auf die Bühne gebracht. Neonschriftzüge der sieben Todsünden in lateinischen Lettern illuminieren vom Bühnehimmel herab die Szene und machen klar: hier zählen nur Geld, Luxus, Status-ymbole und Spaß!


Damianno Michieletto hat sich von seinem Bühnenbildner Paolo Fantin eine starke bildnerische Metapher auf die Bühne des Leipziger Oper stellen lassen: einen riesigen, mit Gold gefüllten Swimmingpool, in dem er eine zügellose Sexorgie ausgeflippter Leute zeigt, die Carla Teti kostümlich frech, grellbunt und flippig, grotesk ausgestattet hat. Über diese schamlosen, kopulierenden und badenden Ikonen der Spaßgesellschaft wird so ziemlich alles, was man den Stränden der Adriaküste an aufblasbarem Schwimm- und Planschgerät zu fin-den ist, ausgeschüttet, einschließlich aufblasbarer Sexpuppen. Michieletto und sein Team entfachen ein grelles Pandämonium der Wohlstandsgesellschaft zur Versinnbildlichung dieses grausamen, moralisch-erbaulichen Märchens. Und die Reise Tom Rakewells ins Verderben endet so erschütternd, wie sie schrill beginnt, denn vor den Augen der Zuschauer verwandelt sich der goldgefüllte Pool in eine mit Unrat besudelte Schlammpfütze tief unten, in eine erbarmungswürdige Unterwelt der Armut und Dreckigkeit. Das sind Bilder, die man nicht vergisst. Und sie sprechen für sich. Wer dieses Inszenierungskonzept nicht versteht, dem ist nicht zu helfen! Die Inszenierung ist grandios!


Die  sängerische Besetzung ist hervorragend. Der amerikanische Tenor Norman Reinhardt, bis 2012 Ensemblemitglied der Oper Leipzig,, ist geradezu eine Idealbesetzung für die Hauptfigur Tom Rakewell. Stimmlich bestdisponiert, zeigt er auch darstellerisch schonungslosen Einsatz. Auch die schwedische Sopranistin Marika Schönberg als selbstlos sich aufopfernde Liebende läßt kaum einen Wunsch offen. Sehr eindrucksvoll ist die schwedische Mezzosopranistin Karin Lovelius, Ensemblemitglied der Oper Leipzig, als Türkenbab, die sie als groteskes pinkfarbenes Schleckermaul,  als fettes Riesenweib mit Mutterwitz gibt. Einmal keine Travestienummer. 


     

Der finnische BaritonTuomas Pursio als teuflischer Nick Shadow – auch er Ensemblemitglied der Leipziger Oper-  ist ein überzeugender Teufel. Aber auch die übrige Besetzung ist fabelhaft. Das gilt auch für den Chor des Hauses. Ein Glücksfall auch sängerisch, diese Produktion.


Aber auch Orchester und Dirigent haben aus dem Graben heraus zum Außergewöhnlichen dieser Produktion beigetragen. Das Gewand-hausorchester hat einen glasklaren Strawinsky hingelegt, mit wunderbaren Instrumentalsoli. Anthony Bramall ist vom Pult aus die anspie-lungsreiche Musik energisch, straff, transparent und augenzwinkernd angegangen. Das Werk liegt offenbar  seinem britischen Tempera-ment. Die Oper ist ja eine ironische Liebeserklärung an die Oper des 18. Jahrhunderts, vom Standpunkt des zwanzigsten aus. Und die ironischen Brechungen, die Verweise auf Musik von Händel über Mozart bis zu Verdi werden nicht plakativ, sondern diskret zu Gehör gebracht. Ein großes Vergnügen, das zu hören, gerade im Kontrast zum Bühnengeschehen. Das ergänzt sich gut. Für mich ist diese Pro-duktion eine Sternstunde des Musiktheaters. Man muss diese Produktion gesehen haben. Das Leipziger Premierenpublikum war außer Rand und Band vor Begeisterung. Ganz sicher bis zum Ausklang der Saison eine Kultaufführung am Opernhaus Leipzig.


Beitrag in MDR Figaro