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Photos: Lutz Edelhoff
OPERETTENGLÜCK IN ERFURT
Guy Montavons Operettendebüt: "Gräfin Mariza"
Sie gilt als Versuch Emmerich Kálmáns, den Welterfolg seiner "Csárdásfürstin" zu wiederholen: Die Operette " Gräfin Matiza", die 1924 am Theater an der Wien uraufgeführt wurde. Jetzt ist sie im Theater Erfurt reanimiert worden. Samstag 08.12. 2012 war Premiere. Dem Werk eilt kein besonders guter Ruf voraus. Dennoch hat der Hausherr des Erfurter Theaters sich ins Zeug gelegt für diese Kálman-Ope-rette und hat mit ihr als Regisseur sein Operettendebüt gegeben. Nicht ganz ungefährlich, denn so Mancher geht den Konventionen dieses Genres Operette auf den Leim.
Guy Montavon hat einen fulminanten Einstand gegeben, man möchte fast sagen, er ist für die Operette geboren, denn er hat mit Fein-gefühl und Theaterklugheit alles vermieden, was oftmals schlechte Operette auszeichnet bzw. schlechte Operettenproduktionen, denn die Operette an sich in ihrer utopischen und subversiven Aktualität ist ja besser als ihr Ruf. Sie wird nur meist falsch aufgeführt. Um so er-staunlicher, wie instinktsicher Guy Montavon alle Peinlichkeiten, denen man so oft begegnet, vermieden hat, wie er gerade in diesem Stück beispielsweise alle gulaschsaftige Folklore außen vor gelassen hat und - bei geschickter Kürzung - ein in sich rundes, sowohl anrüh-rendes und poetisches wie auch turbulentes, vitales Operettenspektakel inszeniert hat: Ein großes Schauvergnügen!
Montavon hat das Stück in seiner Entstehungszeit angesiedelt, also in den Zwanzigerjahren des 20. Jahrhunderts. Roswitha Thiel hat für ihn hinreißende, raffinierte Kostüme entworfen, die an Geschmack und Phantasie nichts zu wünschen übrig lassen. Und Hartmut Schörghofer hat ein Bühnenbild gebaut, das schlicht überwältigt in seiner stilvollen Pracht. Aber es ist eben keine bloße Ausstattungs-Revue. Die Handlung beginnt unterm Sternenhimmel, auf leerer Bühne, auf der nur ein Bahngleis liegt, und so endet sie auch, ganz unspektakulär. Aber dann plötzlich schiebt sich ein Salonwagen in den Vordergrund, die Türen werden geöffnet und Gräfin Mariza - eine Dame der ungarischen Aristokratie - tritt in großer Abendrobe aus ihrer Gesellschaft heraus, die sie zu ihrer Scheinverlobung geladen hat, um sich ihrer Mitgiftjäger zu entledigen.
Im zweiten Akt öffnet sich der Vorhang und man ist in einem wirklich atemberaubenden Jugendstil-Stadtpalais, das sich zum Theater verwandelt, um im dritten Akt bei offener Bühnen in den Himmel zu entschweben. Und in diesem traumhaften Spiel mit Illusion und Desillusionierung, Schein und Sein zeigt Montavon mit Ironie, Witz und Esprit die Liebesgeschichte zweier Adliger, die - ähnlich wie in der Lustigen Witwe - nicht zueinander kommen können, weil zu viel oder zu wenig Geld zwischen ihnen steht. Bevor dann völlig überraschend, die reiche Erbtante - wie eine dea ex machina - ganz groß Helga Ziaja in dieser Partie - alle Probleme löst und das Glück den beiden "Könisgkindern" doch noch lacht.
Auch die Besetzung ist ein Glücksfall, denn es wird überwiegend leise und zärtlich, auch wortverständlich gesungen. Vor allem von Steff-en Schantz, der einen lyrischen Gutsverwalter Tassilo singt. Es sind durchweg schöne Stimmen, die da mit Sexappeal singen, spielen und tanzen. Das ist ja gerade in dieser Operette mit ihren vielen amerikanischen wie ungarischen Tänzen nicht unwesentlich. Bewundernswert, wie Götz Hellriegel die Solisten, aber auch den Chor zu teilweise mitreißenden Tanznummern animieren kann. Jörg Rathmann, der als schweinezüchtender Baron Zsupàn übrigens auf einem Schwein hereinfliegt - tanzt wie der Teufel. Er bekommt immer wieder Szenen-applaus. Auch Ilia Papandreou als schöne Mariza ist eine begabte Tänzerin. Das alles: Spiel, Timing, Tanz und Dekoration hat etwas vom nostalgischen Operettenglanz- und -Glamour der Zwanzigerjahre, wie man ihn von alten Filmen und Photographien her erahnen kann. Choreograph Götz Hellriegel und Regisseur Guy Montavon haben diese Ahnung in Erfurt Gegenwart werden lassen. Ich habe lange auf so eine herrliche Operettenaufführung gewartet. Man muß sie gesehen haben, diese "Gräfin Mariza" in Erfurt. Ein großer Abend!
Und was den Dirigenten angeht: Johannes Pell hat Kálmáns vollsüffigen Mix aus Foxtrott und Walzer, Csárdás und Blues, Slowfox und Boston, Wiener Operettensound und pseudoungarischer Folklore mit sicherem Händchen zum Klingen gebracht, ohne dass auch nur ein-mal schmalztriefende Gefühlsduseligkeit oder sogenannter Operettenkitsch aufgekommen wäre. Auch vom Orchestergraben aus ist das eine so temperamentvolle wie intelligente Produktion. Man kann sie ohne Wenn und Aber empfehlen. Wer diese Aufführung nicht bester Laune verlässt, dem ist nicht zu helfen.
Rezension in MDR-Figaro 10.12.2012