Eisenach: Bach und die Zahlen 2014

Photos: Bachhaus Eisenach

Mystik, Musik, Metaphysik & die Magie der Zahlen bei Bach


Gratwanderung zwischen Kabbala und Indizienprozess 



Eine faszinierende Ausstellung im BACHHAUS EISENACH  vom 21.03.-09.11.2014



14  ist  die  „Bach-Zahl“:  Nach dem natürlichen  Zahlenalphabet, nach dem A=1,  B=2  usw.  ist, summiert  sich  B+A+C+H  zu  14.  An-lass für das Bachhaus , eine Sonder-Ausstellung 2014 „Bach  und  den  Zahlen“  zu  widmen.  Es ist die erste zu  diesem umstrittensten Ge-biet der Bach-Forschung. Dass Bach am Tag der Ausstellungseröffnung seinen 329. Geburtstag feiert – Quersumme: 14 -, ist natürlich reiner Zufall…



14 Knöpfe hat Bachs Weste auf dem berühmten Bach-Porträt von 1746. 14 Punkte enthält das Monogramm auf der Vorderseite des „Bach-Pokals“, des im Bachhaus aufbewahrten Trinkglases aus Bachs Besitz. 14 Kanons schrieb Bach über das Bass-Motiv der Gold-berg-Variationen. 14 „Contrapuncti“ enthält Bachs „Kunst der Fuge“. Vierzehn scheint für Bach eine magische Zahl zu sein. Wie in Bachs Leben läßt sich aber auch in seiner Musik scheinbar alles zählen: Noten, Takte, Einsätze, Worte usw. Bei manchen  Zahlen ist die  Bedeu-tung  klar, etwa,  wenn  in  Bachs  Vorspiel  zum Luther-Choral „Dies sind die heil'gen Zehn Gebot“ das Thema 10 mal auftritt. Bei ande-ren sollen Zahlenalphabete eine Bedeutung vermitteln: So singt in der h-Moll-Messe im „Credo in unum deum“ der Chor 43 mal das Wort „Credo“ – 43 ist  aber  nach  dem  natürlichen  Zahlenalphabet  die  Summe  von  C+R+E+D+O. 63 mal singt der Chor in der h-Moll-Messe das Wort „Christe“. 63 = (7x7) + 14: Ist  die  doppelte „Bach- Zahl“ 14 ein  Zufall?  Die Suche nach  einer „Zahlensymbolik“ in Bachs Musik  ist  das umstrittenste Gebiet der Bach-Forschung. Als Begründer  dieser „Zahlenanalyse“  von  Bachs  Musik gilt der Theologe Friedrich Smend.


Smend untersuchte 1947 den „Bach-Pokal“ im Bachhaus Eisenach, der Johann Sebastian Bach um 1735 geschenkt wurde. Ebenso unter-suchte er den Rätselkanon, den Bach auf Elias Gottlob Haußmanns Leipziger Porträt von 1746  in  der  Hand  hält.  In  beiden  Fällen fand er Hinweise auf das natürliche Zahlenalphabet: 14 ist auf dem Bild die Zahl der Knöpfe, und auf dem Pokal die der Punkte auf der Vor-derseite. Auf der Rückseite beginnen die drei Notenzeilen mit den Noten b, g und e: B+G+E ist 14. Die Zahl aller Noten des aufgelösten Rätselkanons ist 60  –  das  lässt  sich  gruppieren  zu  (1+7)+(41)+(4+7).  Nach dem Zahlenalphabet ist aber J+S+B+A+C+H = 41: Mit dem Kanon hat Bach das  Gemälde, das er für seinen Beitritt zur „Societät  der  musikalischen Wissenschaften“ 1747 benötigte, datiert und signiert, so Smend.


"„Musik ist eine verborgene Rechenkunst des seines Zählens unbewussten Geistes“, schrieb der Philosoph Leibniz 1712 an den Mathe-matiker Goldbach. Heute gilt vielen Bachs Musik als „geometrisch“ oder „mathematisch“. Diesen Ruf verdankt sie vor allem dem 1979 erschienenen Buch „Gödel, Escher, Bach: ein endloses geflochtenes Band“ von Douglas R. Hofstadter, der darin Herausforderungen der mathematischen Logik erläutert: Rekursion, Induktion, Beweisbarkeit – verschachteltes, selbstbezügliches Denken, Denken über das Denken. Bachs „Goldberg-Variationen“,die Kanons im „Musikalischen Opfer“ und das Notengedicht auf dem Bach-Pokal im Bachhaus dienten Hofstadter ebenso als Beispiele wie die Vexierbilder des Graphikers M. C. Escher. Es wurde das Kultbuch einer Generation von Computer-Enthusiasten und Programmierern. Bereits 30 Jahre zuvor hatte der Theologe Friedrich Smend die These aufgestellt, dass es mit Hilfe des „Zahlenalphabets“, nach dem A=1, B=2, C=3 usw. ist, „zahlensymbolische Geheimnisse“ in Bachs Musik zu lüften gibt. Auch er stützte sich dabei auf Bachs Kanons, besonders auf den Rätselkanon auf dem berühmten Bach-Gemälde von Elias Gottlob Haußmann aus dem Jahr 1746, und auf die Inschrift des Bach-Pokals. Seither bemühen sich Bach-Enthusiasten um die Entschlüsselung dieser Geheimnisse, die Aufdeckung eines „verborgenen Bach“ mit Hilfe der „Zahlensymbolik“: durch Zählen von Noten, Takten, Einsätzen, Sätzen, durch Zuordnung von Zahlen zu Noten usw. Eine herausragende Rolle spielen die „Bach-Zahl“ 14 und ihre Umkehrung 41, denn nach dem Zahlenalphabet ist B+A+C+H = 14 und  J+S+B+A+C+H = 41." (Texttafel der Ausstellung)



Alles nur Zufall? Oder verborgene Absicht als okkulte, geheime Botschaft? Immerhin setzte man im Barock gern und häufig Zahlen und Buchstben spielerisch, aber auch mystisch miteinander in Beziehung.



"Zahlenalphabete gibt es seit der Antike: Im Griechischen wie im Hebräischen verwendete man alle Buchstaben zugleich als Zahlen. Im Griechischen bedeuten z.B. α, β, γ(Alpha, Beta, Gamma) eins, zwei, drei, ι, κund λ (Iota, Kappa, Lambda) bedeuten 10, 20, 30, und ρ, σ, τ(Rho, Sigma, Tau) bedeuten 100, 200, 300, usw. Der griechische Held Achilleus soll deshalb den trojanischen Helden Hektor besiegt haben, weil „αχιλλευς“ (1276) größer ist als „εκτωρ“ (1225). Bei den Römern wurden nur einige Buchstaben für Zahlen verwendet: I (1), V (5), X (10), L (50), C (100), D (500), M (1000). Namen, die solche Buchstaben enthalten, haben also einen Zahlwert – „IESVS“ (Jesus) hat den Zahlwert 6, weil er „I“ und „V“ enthält. Dies wurde für bedeutsam gehalten, weil 6 die erste „perfekte Zahl“ ist, nämlich die Summe ihrer Teiler: 1+2+3=6.  Zur Bach-Zeit waren Zahlenalphabete, die jedem Buchstaben des Alphabets eine Zahl zuordnen, ungemein populär. Es gab mehr als ein Dutzend Varianten. Sie fanden sich in Schulbüchern, in Anleitungen zur Dichtkunst, oder in Unterhaltungsbüchern. Das gebräuchlichste war das „natürliche Zahlenalphabet“, bei dem A=1, B=2, C=3 ist, usw. Danach ist „B+A+C+H“ gleich „2+1+3+8“ und also gleich 14. Ob Bach wirklich von der „Bach-Zahl“ Vierzehn wusste, war lange umstritten. Seit 1974 Bachs eigenes Exemplar der 1741 gedruckten „Goldberg-Variationen“ entdeckt wurde, mit vierzehn handgeschriebenen Kanons am Ende, wird dies nicht mehr bezweifelt. Ein fast so sicherer Beweis ist das Widmungsdatum des „Musikalischen Opfers“ an Friedrich den Großen: Es war der „7.7.1747“, darin ist die Zahl 14 dreimal enthalten." (Texttafel der Ausstellung)



Zahlenspiele wurden zur Zahlenmystik in der sogenannten „Kabbala“, die Begriffen der Bibel Zahlem zuordnete und deren Auftauchen an anderer Stelle als göttlichen Fingerzeig, als Offenbarung , ja Prophezeinungen interpretierte. Immer wieder wurde darauf hingewiesen, dass sich auch in Bachs Werken solche Zahlenmystik verberge: geheime Botschaften, die sich durch das Zählen von Takten, Einsätzen oder Notenwerten entschlüsseln lassen. So soll Bach sogar sein eigenes Todesdatum vorhergesagt haben. Mumpitz oder Wissenschaft? Dem geht die Eisenacher Ausstellung differenziert nach. Sie häuft Indizien an, aber auch offenkundige Irrtümer und Unsinnigkeiten.   


"„Aber du hast alles nach Maß, Zahl und Gewicht geordnet“, heißt es in „Die Weisheit Salomos“, einem apokryphen Buch der Bibel. Ähnlich schrieb Pythagoras 500 Jahre vor Christus: „Alle Dinge sind der Natur der Zahlen entsprechend geordnet. Gott ist Zahl, die Zahl ist Gott.“ Für Buchreligionen wie das Juden- und Christentum, die von hebräischen oder griechischen Texten ausgehen, liegt die göttliche Natur der Zahlen auf der Hand. Denn in beiden Sprachen bedeutet jeder Buchstabe eine Zahl: א(Aleph), ב (Beth),  ג (Gimmel) bedeuten eins, zwei, drei, usw. Jedes „Wort Gottes“ ist so immer auch eine „Zahl Gottes“: Jedes Wort, jede Stelle entspricht einer Zahl. Die „Gematrie“ als Teil der jüdischen Lehre der Kabbalah untersucht Schriften auf ihre Zahlwerte und kann so Verbindungen herstellen oder Worte durch andere mit gleichem Wert ersetzen. Im Luthertum der Bach-Zeit war die Kenntnis der biblischen Zahlensymbolik fast Allgemeingut. Denn zu Beginn der Reformation hatten sich beide Seiten in dem apokalyptischen Streit gewähnt, der in der Bibel

vorhergesagt wird: in der „Offenbarung des Johannes“. Diese aber quillt von symbolischen Zahlen geradezu über. So wurde die dort genannte „Zahl des Tiers“ 666 von Luther auf den Namen des damaligen Papsts „Leo DeCIMVs“ bezogen, und umgekehrt von seinen Gegnern auf den Namen „MartInVs LVtherVs“ – sie bekämpften einander als „Antichrist“ (beide Lesarten überzeugen nicht). Unter den theologischen Büchern in Bachs Besitz befanden sich gleich drei, welche die Kabbalah und die biblischen Zahlen behandeln: Bachs Olearius-Bibel, ein Buch über das Judentum, und eine Auslegung der Offenbarung des Johannes. Ebenso zum Allgemeinwissen der Bach-Zeit gehörte die Kenntnis besonderer Zahlen der Bibel: 3 als Zahl der Trinität, 7 als Zahl der Schöpfung, 10 als Zahl des Gesetzes (zehn Gebote), 12 als die Anzahl der engsten Jünger von Jesus, der Apostel, und damit ein Symbol für die Kirche. Bach konnte sich darauf verlassen, dass sein Publikum Anspielungen auf diese Zahlen verstand: Wenn zur Choralmelodie „Dies sind die heiligen zehn Gebot“ die Trompete zehnmal ertönt. Wenn bei der Vorhersage des Verrats unter den Jüngern in der Matthäus-Passion der Chor elfmal singt „Herr, bin ich’s?“ (der Verräter schweigt). Wenn Bach in der h-Moll-Messe das Bekenntnis zum Glauben an den „Schöpfer des Himmels und der Erde“ siebenstimmig ausführt. Oder wenn er Luthers Tauf-Choral „Christ, unser Herr, zum Jordan kam“ dreistimmig, dreiteilig, im 3/4-Takt und in 3x3x3 (27) Takten gestaltet – denn Luthers Katechismus lehrt, wie sich in der Taufe Jesu mit Taube

und göttlicher Stimme alle drei Personen der Trinität offenbaren. ...


Dass zur Bach-Zeit die Kenntnis von kabbalistischen Methoden verbreitet war, bedeutet nicht, dass sie allgemein zulässig waren. Die Idee einer „christlichen Kabbalah“, nach der das Wissen um die hebräischen oder griechischen Zahlwerte der Bibelworte geheime Bedeu-tungen offenbart, kollidiert vielmehr mit Luthers Vorstellung einer für alle verständlichen, insbesondere umgangssprachlichen Heiligen Schrift. Zahlreiche orthodoxe Theologen der Bach-Zeit stellten daher klar: Luthertum und kabbalistische Bibel-Auslegung schließen sich gegenseitig aus. Das galt auf dem Gebiet der Theologie, nicht aber auf dem der Dichtkunst, wo Gematrie und Zahlenalphabete als bloßer Zeitvertreib, als „lusus ingenii“ (scharfsinnige Spiele) auf keine solchen Bedenken stießen. Bachs Köthener Textdichter Menantes empfahl etwa in seinem ab 1707 in vielen Auflagen erschienenen Poetik-Lehrbuch Zahlenalphabete als probates Mittel gegen Schreib-blockaden: So gelangt man vom Namen der Geliebten „Margarethe“ (Wert: 88) auf den Ausruf „Meine Seele“ (Wert: 88), und kommt so darauf, das Liebesgedicht mit „Margarethe, meine Seele!“ zu beginnen. Ganz ähnlich verfasste Bachs Leipziger Librettist Picander – der Dichter des Weihnachts-Oratoriums und der Matthäus-Passion – ein „poetisches Paragramm“: In seinem Gedichtband von 1732, der auch z.B. den Text von Bachs Kaffee-Kantate enthält, stellte er einen Bibeltext direkt neben ein eigenes Hochzeitsgedicht. Addiert man die Buchstaben mit dem trigonalen Zahlenalphabet, so kommt man bei beiden Gedichte auf die gleiche Summe, nämlich 20699. Dadurch soll angedeutet werden, dass sich auch die Inhalte aufeinander beziehen lassen. Ein Spiel mit Zahlwert-Äquivalenzen findet sich auch in einem Text von Bach: der Widmung zu einem Kanon, den Bach einem Studenten namens „Schmidt“ (oder lateinisch: „Faber“) um 1749 ins Stammbuch schrieb. Deren hervorgehobenen Wortanfänge lauten „F-A-B-E-R“ und „B-A-C-H-I-T“ (Isenaco-Thuringium, Bach aus Eisenach in Thüringen). Nach dem natürlichen Zahlenalphabet hat „F+A+B+E+R+B+A+C+H+I+T“ den gleichen Wert wie „S+C+H+M+I+D+T“, nämlich 73. Friedrich Smend, der diese plausible Deutung vorschlug, ging noch einen Schritt weiter: Unter viele Werke schrieb Bach „SDG“, für „Soli Deo Gloria“ (Allein Gott die Ehre), ein damals verbreiteter Ausdruck gläubiger Demut. Nach dem Zahlenalphabet haben aber SDG und JSB den gleichen Wert: 29. Hat Bach seine Werke also mit „SDG“ in Wahrheit signiert? Etwas sagen und mit Hilfe des Zahlwerts etwas anderes meinen: das ist ein typisches „lusus ingenii“. Wegen der mit „SDG“ verbundenen Anrufung Gottes läge aber eine bedenkliche Nähe zur kabbalistischen Praxis vor.

" (Texttafel der Ausstellung)


„Quaerendo invenietis”, „wer  suchet, der  findet“, betitelte  Bach  ein  Stück  in seinem „Musikalischen Opfer“ von 1747. Seit Smend fand man mehr als 66 mal in Bachs Musik die Zahlen „14“ oder „41“. Sogar Bachs Todesdatum „fand“ man verschlüsselt  in  den Gold-berg-Variationen: Tiefpunkt einer hemmungslosen „Zahlenanalyse“. Und doch belegt die Vielzahl von Zahlenalphabet-Varianten die große Popularität solcher Spielereien in der Bach-Zeit. Sogar seine Librettisten. Hunold  (Menantes)  und  Henrici  (Picander) verwen-deten  sie.  Seit  1974  in Straßburg Bachs Handexemplar der „Goldberg-Variationen“ aufgefunden wurde, mit einem Anhang von 14 handschriftlichen Kanons, ist klar: Bach wusste um die Bedeutung der „Bach-Zahl“ 14. Smends Spekulationen erfuhren endlich eine gewisse Rechtfertigung. Zugleich widerlegte der Fund Smends plausibelste Theorie: Er ewies, dass der Rätselkanon unabhängig vom  Bach-Porträt entstand und also kaum das Jahr 1747 verschlüsselt enthält.



In der Ausstellung führen sieben Thementafeln durch das Thema: „Gödel Escher, Bach“  nimmt  Bezug  auf  das  Buch  von  Douglas  R.  Hofstadter,  das  seit  seinem Erscheinen 1979 die Vorstellung von  Bach  als  „mathematischem“  oder „geometrischem“ Musiker be-fördert hat – Hofstadter bezieht sich genau wie vor ihm der Theologe Smend vor allem auf Bachs Kanons und den Bach-Pokal. Die  Tafel  „B+A+C+H“  erläutert das „Bach-Motiv“, wie Zahlenalphabete funktionieren, und die angebliche Verwendung bei Bach zur „Signierung“ seiner  Werke. Es wird gezeigt, wie sich Notennamen und Zahlenalphabet kombinieren lassen, um Noten bestimmte Zahlen zuzuweisen: Was grenzenlose Spekulationen ermöglicht, hat auf dem Bach-Pokal ein historisches Vorbild. Unter „Kabbalah“  wird  der  Ursprung  der  Zahlenanalyse  biblischer  Texte  erläutert,  sowie  die „biblischen  Zahlen“,  deren  Kenntnis  Bach  bei  seinen  Zuhörern  als  bekannt voraussetzen durfte. Eine christliche kabbalistische Praxis widersprach Luthers Überzeugung von einer allgemeinen, unmittelbaren  Ver-ständlichkeit des Bibelworts. Im Luthertum waren daher  allenfalls „Lusus  ingenii“ zulässig, scharfsinnige Spiele mit Zahlen und Buch-staben. Ihre Verwendung unter Bachs Zeitgenossen  erläutert  die  gleichnamige  Tafel.  Schließlich  werden  unter „Okkulta“ Zweifelsfälle und gröbere Auswüchse der „Zahlenanalyse“ vorgestellt. 


Die Highlights der Ausstellung sind neben dem ausgestellten Bachpokal, Bachporträts und Buchantiquitäten zwei verblüffend-anschau-liche Trickfilme:  Das Thema „Bach und die Zahlen“ begann 1947 mit Smends Analyse des Bach-Pokals, des Bach um 1735 geschenkten Trinkglases, und des Rätselkanons auf dem Leipziger Bach-Porträt von 1746. Beide Themen werden in  zwei  Filmen  erläutert, die die Trickfilmschmiede die „buchstabenschubser“ in Potsdam für das Bachhaus  erstellt  hat. Für den Film „Das  Rätsel  des  Bach-Pokals“ wurde der Pokal erstmals  rundum  fotografiert und digitalisiert. Das Spiegel-Monogramm auf der Vorderseite – zugleich das Bachhaus-Logo – und das  rückseitige Notengedicht werden ebenso erläutert  wie  Fragen  nach  der Identität der Schenker sowie Analysen von Eric Chafe, wonach die Motive des Notengedichts auf dem Bach-Pokal in Spätwerken wie Bachs „Kunst der Fuge“ mit ähnlichem Gestus wiederkehren. Filme, die auf so simple wie geistreiche Weise die Botschaften der Ausstellung veranschaulichen.


Der Film „Das  Geheimnis  des  Rätselkanons“  erläutert  die  Entstehung  des Leipziger  Bach-Gemäldes aus dem Jahr 1746 und den Rätselkanon  auf  dem Notenblatt,  das  Bach  darauf  in  der  Hand  hält.  Die  im  Film  dargestellte Auflösung des Rätselkanons ist jedoch nicht die altbekannte des Musikverlegers Johann Anton André aus  dem  Jahr  1840,  sondern  eine deutlich neuere:  In seiner 2013  erschienenen  Bach-Biographie  „Music  in  the  Castle  of  Heaven“ präsentierte John  Eliot Gardiner  eine  Lösung,  bei  der  sich  die  Rätselstimmen einfach durch das Umdrehen des  Blatts,  als  perfekte  Spiegelungen  ergeben, und die zugehörigen Notenschlüssel aus Bachs Sicht auf das Blatt.


       


Die „Zürcher Vokalisten“ sangen diese  elegante  Lösung  kurzfristig für das  Bachhaus  ein . „Vierzehn Kanons zum Anfassen“: Seit  1974  Bachs  Hand-Exemplar der 1741 gedruckten „Goldberg-Variationen“ bei einem Privatsammler in Straßburg aufgefunden wurde, gilt als sicher, dass Bach die Bedeutung der „Bach-Zahl“ 14 kannte und damit auch das natürliche  Zahlenalphabet:  Darin  finden  sich  14 Kanons,  die  Bach  mit  dem  Titel  „Verschiedene  Canones  über  die  ersten  acht  Fundamental-Noten  vorheriger  Arie“  am  Ende  eintrug. Da nach dem vierzehnten, einem raffinierten Augmentationskanon, die Niederschrift mit „&c.“ (etcetera,  usw.)  endet,  ist  die  Nummerierung  der  14 Kanons  mit  Sicherheit nicht zufällig. Alle 14 sind Rätselkanons, genau wie der auf dem Leipziger Bach- Porträt,  der  unter  den  14  Kanons  den  dreizehnten  darstellt:  Einige  Stimmen sind notiert, die übrigen müssen erraten werden. Im Bachhaus werden diese 14 Kanons  „begreifbar“:  Die  Potsdamer  Ausstellungsbauer  Hambach  +  Rühle bauten für es zwei „Kanon-möbel“, auf denen man Kanons aus Plexiglas drehen und wenden kann und  herausfinden, wie Bach scheinbar  durch  bloße geome-trische  Spielereien verblüffende Effekte erzielte. Denn Bach mag, wie sein  Sohn Carl Philipp Emanuel 1775  an  den  ersten  Bach- Biographen Forkel schrieb, „kein Liebhaber von trocknem mathematischen Zeuge“ gewesen sein – doch wo es nicht so trocken war, machte Bach eine Ausnahme.


Das älteste Exponat dieser Ausstellung, die man mit Fug und Recht „sophisticated“ nennen darf, ist das 1532 erschienene „Ein Rechen Büchlin vom EndChrist“ von Michael Stifel, einem Freund Luthers. Stifel gilt  als der Erfinder des Zahlenalphabets für  unsere  latei-nischen  Buchstaben und verwendete seine Zahlenalphabete, um für das Jahr 1533  den Weltuntergang vorherzusagen. Weiter  ausge-stellt  sind  Daniel  Schwenters „Mathematische Erquickstunden“ von 1636  (darin  steht  neben Zahlenalphabeten  auch  ein  Noten-alphabet, das jedem Buchstaben eine Note zuordnet), und der 1736 erschienene „Biblische  Mathematicus“ von Johann Jacob  Schmidt,  mit dem Smend 1947 seine Zahlenanalyse bei Bach rechtfertigte. Unter den weiteren Raritäten der keinen, aber feinen Ausstellung befinden sich Hunolds Poetik-Lehrbuch von  1707 mit seinen Zahlenalphabeten, und  Picanders  dritte  Sammlung  von Gedichten, mit dem dort abgedruckten „Paragramma Cabbalistica“ von 1730.


Die von Jörg Hansen, dem quirligen Direktor des Hauses, so unterhaltsam wie informativ konzipierte und unkonventionell-originell prä-sentierte Ausstellung, in der man Musik quasi anfassen und hörend wie sehend begreifen kann, bewegt sich auf so unsicherem wie faszi-nierenden Terrain. Doch sie bringt zur Sprache, was irritiert, verblüfft und nachdenklich macht. Und gleich einem Indizienprozess trägt sie alles Wesentliche zusammen, was man zum Thema nur  finden kann und mag. Wer also der Meinung ist, Bach habe ganz bewußt und absichtlich in seinem musikalischen Werk Zahlenmystisches- und –Symbolisches eingearbeitet, aus welcher Absicht auch immer, der wird sich durch diese Ausstellung bestätigt sehen, wer nicht, wird keinen einzigen schlagenden Beweis dafür vorfinden. Doch interessant ist es allemal, was die Ausstellung herausarbeitet: Sehens- und hörenswert.