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Photos: Michele Crosera
Geglücktes "Procris"-Diptychon in Venedig
Erste Wiederaufführung seit der Urauführung: Kreneks "Cephalos und Procris"
Szenische UA des „Lamento di Procri“ von Silvia Colasanti
29. 09. 2017 Premiere im Teatro Malibran, der zweiten Spielstätte des Teatro La Fenice
Die Sage von Cephalos und Procris, die vom antiken Schriftsteller Ovid in seinen „Metamor-phosen“ romanhaft erzählt und überliefert wurde, gehörte seit dem 16. Jahrhundert zu den belieb-testen Stoffen der Antike und wurde in der Bildenden Kunst wie in der Oper immer wieder auf-gegriffen und bearbeitet. Es ist der klassische, tragische Mythos von Eifersucht und Missver-ständnissen zwischen Liebenden: Cepahalos will die Treue seiner Gemahlin Procris auf die Probe stellen. Er verkleidet sich, wirbt um sie und verführt sie. Als Procris sich ihm ergibt, zeigt er sich in seiner wahren Gestalt, versöhnt sich aber bald mit der der Untreue Überführten. Inzwischen hat sich die Göttin Aurora in Cephalos verliebt und verabredet sich mit ihm. Procris, die ihrem Mann mißtraut, folgt ihm heimlich auf die Jagd, verbirgt sich in einem Busch, um ihn in flagranti zu erwischen. Cephalos, in der Meinung ein Tier zu finden, tötet sie versehentlich mit seinem Speer.
Ernst Krenek, der die Welt der griechischen Mythen gut kannte und schon in Werken wie „Or-pheus und Eurydike“ sowie „Das Leben des Orest“ vertont hatte, entschloss sich 1933, auch den Ovid-Mythos von Cephalos und Procris zu vertonen. Der Schriftsteller und Übersetzer Rinaldo Küfferle, Sohn eines russischen Bildhauers, der nach der Bolschewistischen Revolution nach Italien geflohen war, hatte ihm das Libretto geschrieben, in dem es neben einigen der Drama-tisierung und Verdichtung geschuldeten Änderungen ein überraschendes Happy End gibt. Nachdem schon im Prolog die Göttinnen Aurora und Diana eine Wette abschließen, wer von ihnen Cephalos für sich gewinnen könne, greift am Ende Gott Chronos ein, um den Streit zwi-schen Aurora und Diana über den Sieger in der Wette zu schlichten. Diana und Aurora reichen sich die Hände. Cephalos und Procris werden wieder vereint: Leben und Liebe beginnen aufs Neue. Chronos wird als Weltenlenker aber auch die Freude sowie der Gesang als Schönstes der Menschheit gefeiert.
Kreneks Oper war ein Auftragswerk des Internationalen Musikfestivals der Biennale von Vene-dig 1934. Die Initiative für das Projekt war vom Komponisten Alfredo Casella ausgegangen, er war Kooperationspartner der Biennale sowie Kenner und Förderer der neuesten Musik. Casella hatte schon in den 1920er Jahren Kreneks Streichquartette kennen und schätzen gelernt und im Zusam-menhang mit seinen Aktivitäten für die Italienische Gesellschaft für Zeitgenössische Musik Kre-nek neben Strawinsky, Schönberg, Webern, Milhaud und Bartók als „einen der größ-ten Namen der Zeitgenössischen Musik“ bezeichnet. Kreneks Oper „Cefalo e Procri“ wurde am 15.September1934 im Teatro Goldoni unter der Leitung von Hermann Scherchen aus der Taufe gehoben worden. Die Meinungen der Rezensenten über das Werk waren nach der Uraufführun ggeteilt. Die Inszenierung von Giulio Bragaglia fand wenig Begeisterung, die musikalische Ausführung unter Scherchen hingegen einhelliges Lob. Krenek selbst erinnert sich in seinen Memoiren an das Werk als einen kurzen und folgenlosen Ausflug in die italienische Oper. Tatsächlich wurde „Cefalo e Procri“ seit damals nie wieder aufgeführt.
Die jetzige Ausgrabung in Venedig wurde von dem jungen Dirigenten Tito Ceccherini höchst sorgsam einstudiert und energisch und ausdrucksvoll dirigiert. Aus dem fünfköpfigen Ensemble von jungen Sängern ragten Silvia Frigato und Leonardo Cortellazzi als Titelpaar heraus.
Der junge italienische Schauspielregisseur Valentino Villa, der im Teatro Malibran zum ersten Mal Oper inszeniert, präsentiert das kurze Stück Kreneks als zweiten Teil eines Diptychons. Es beginnt mit einem „Lamento di Procri“ von Silvia Colasanti, einer der gegenwärtig erfolgreich-sten italienische Komponistinnen. Sie hat auf ironisch-spätromantisch-moderne Art das Procris-Lamento aus Francesco Cavallis Oper „Gli amori d´Apolo e di Dafne“ bearbeitet. Ihr klang-schö-nes wie intelligentes Stück wurde schon im Juni vergangenen Jahres konzertant im Teatro La Fenice uraufgeführt. Der Doppelabend versteht sich als Hommage an Antike wie Barockoper und spiegelt in Kreneks dodekaphonischer Lesart des Mythos im Geiste der Dreißigerjahre des vergangenen Jahrhunderts und der von Silvia Colasanti modern gebrochenen Musik Cavallis die Dialektik zwischen Moderne und Tradition, Mythos und Gegenwart.
Die strenge, ruhige, ja rituelle Inszenierung Valentino Villas im optisch attraktiven Bühnenbild von Massimo Checchetto wurde vom Premierenpublikum als Event bejubelt, auch wenn so Man-cher im Publikum den symbolschwangeren szenischen Mix aus moderner Klinik und japanisch anmutenden Papierwänden, aus Theater auf dem Theater mit naturalistischen Landschaftspros-pekten, aber auch stilisierten Antiken-Zitaten, Zauberei und Ernüchterung nicht ganz verstanden haben dürfte. Schauwert hatte diese außergewöhnliche, ja mutige Produktion der moralischen Antikenparabel (als die Krenek sein Stück ja bezeichnete) auf jeden Fall. Und was die Ausgra-bung der heute im Konzertsaal wie auf der Opernbühne zu Unrecht so vernachlässigten, ja vergessenen Musik Ernst Kreneks angeht: Man war überrascht von der einfallsreichen, dramatisch kraftvollen und keineswegs veraltet klingenden Musik.
Beitrag auch in DLF „Musikjournal“ am 2.10.2017