Heiko Schon. Jacques Offenbach

Empfehlenswerte Einstiegslektüre über den Meister eines provozierenden und garantiert nicht schmerzfreienVergnügens:

Paradebeispiel der scheinbar unausrottbaren Klischees und Legenden der Offenbach-rezeption ist die Fehleinschätzung des sogenannten Cancans aus der Opéra bouffon „Orphee aux Enfers“. Schon sagt es unumwuden:  „Offenbach hat gar keine Cancans komponiert, sondern Galopps. Die schlüpfrige Touristenbespaßung, der sogenannte French-Cancan, entsteht erst nach Offenbachs Tod.“ Tatsächlich hat Offenbach nie-mals die frivolen, beineschwingenden, kreischenden und Unterwäsche zeigenden Damen in seinen Werken auftreten lassen. Der sogenannte „French Cancan“ ist eine kommerzielle Tanzmode einschlägiger Nachtlokale, für die man nach Offenbachs Tod seine Musik okkupierte.


Im Kapitel „Jacques Offenbach und der Wahnsinn der Beine“ liest man Wesentliches über den für Offenbach und seine Zeit wohl wichtigsten Tanz: „Der Walzer steht exemplarisch für das Zweite Kaiserreich, ist er doch gleichzeitig Rausch, Traum und Taumel, Realitätsflucht und melancholische Erinnerung. Offenbach weiß das und lässt ihn – mit feinen spöttischen Spitzen – durch sein gesamtes Œuvre wirbeln.“


Schon Paul Bekker hat in seiner Offenbachstudie von  1909 betont: „Die Tänze (bil-den) einen Hauptbestandteil der Offenbachschen Werke... In dieser Fähigkeit, das gesungene Wort mit der Tanzgebärde zu  verbinden, liegt eines der tiefsten Geheim-nisse von Offenbachs Kunst."


Heiko Schon weiß das, denn er kennt erstaunlich viele Offenbach-Stücke. Mehr als einhundert stellt er vor in seinem Buch, immer nach der gleichen Methode: Worum geht es? Was steckt dahinter? Die stärksten Nummern“ und am Ende jeder kurzen und bündigen Werkdarstellung gibt er unter der Rubrik „Zum Reinhören“ dazu pas-sende persönliche CD- oder DVD-Tipps. Das sind naturgemäß subjektive Empfeh-lungen, über die man sich streiten kann. Eingebettet sind die Werkbeschreibungen in 16 thematisch, nicht etwa chronologisch orientierte Kapitel, in denen es um das „Cello“ geht, dem Offenbach bekanntermaßen sehr zugetan war, um „Spuren am Rhein“, um die „Frauen“, um die „Travestie“ oder um „rasselnde Säbel“, um nur einige Themen zu nennen.


Im Kapitel „Jacques Offenbach und die singende, klingende Synagoge“, womit der Autor auf die Herkunft Offenbachs aus der jüdischen Musikertradition seines Vaters anspielt, charakterisiert Schon unter anderem die Chinoiserie musicale „Ba-Ta-Clan“. Sie war Namensgeber für das Pariser Vergnügungsetablissement mit Kon-zertsaal, welches 2015 durch einen Terroranschlag weltweit traurige Berühmtheit erlangte: „Ba-Ta-Clan ist eine völlig durchgeknallte Satire über eine herrschende Staatsführung, die ihr Volk nicht versteht. Das Stück thematisiert in seinem exotisch-chinesischen Gewand aber auch französischen Patriotismus sowie Gefühl von Heim-weh und Entfremdung.“


Heiko Schon postuliert Offenbach zwar im Untertitel seines Buches als „Meister des Vergnügens“, aber er verschweigt nicht die politisch subversive, gesellschafts- und autoritätskritische Stoßrichtung der Werke des Kölner Kantorensohns, der im Paris des Zweiten Kaiserreichs zum  Maitre de Plaisir, aber auch zum Eulensiegel reüs-sierte, der seiner Zeit mit Spott, Karikatur, Parodie und Satire einen Spiegel vorhielt. Schmerzfreies Vergnügen gab es bei Offenbach nie, es war immer provokativ und wollte aufrütteln. Das Buch von Heiko Schon ist leicht lesbar und mit flotter Feder geschrieben, kommt ganz und gar unakademisch oder belehrend daher und ist als erster Einstieg ins Thema Offenbach allen Offenbachianern oder solchen, die es wer-den wollen, nur wärmstens zu empfehlen. Es könnte neugierig machen auf mehr!



Rezensionen auch in „Das Orchester“ und SWR 2