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Fotos: Claudia Heysel
Vom Aufstieg einer Kneipensängerin zur Botschaftergattin in einem Neapel aus Wörlitzer Perspektive: Eine der bemerkenswertesten Operettenaufführungen zwischen Berlin und Leipzig
Johannes Weigand inszeniert feinsinnig "Lady Hamilton" von Eduard Künneke am Anhaltischen Theater Dessau
Premiere 27.01.2017
Erstaunlicherweise ist Eduard Künneke vergessen worden, obwohl er zu seiner Zeit, also in den ersten drei Jahrzehnten des letzten Jahrhunderts der bedeutendste deutsche Operettenkomponist war, neben Lehár, Fall und Kalman. Er hat immerhin bei Max Bruch studiert, hat für Max Rein-hardt Bühnenmusiken geschrieben und mehrere Dutzende von interessanten Operetten hinter-lassen, darunter die 1926 in Breslau uraufgeführte „Lady Hamilton“. Künneke ist von Lehàr verdrängt worden, was mit den Nazis zu tun hat, die eindeutig Lehár bevorzugten, der sich auch sehr viel mehr an die Nazis ranschmiss.. Künneke wurde lediglich geduldet im Dritten Reich. Seine Operetten, zumal die „Lady Hamilton“, waren für den Zeitgeist der Dreissiger und Vierzi-gerjahr eigentlich auch zu intellektuell, zu sophisticated, sie liessen sich nicht so gut vereinnah-men wie die von Lehár beispielsweise und hatten schon gar nichts mit den billigen Blut-, Bo-den- und Heimatoperetten zu tun, die damals favorisiertt wurden. Auch Künnekes Musik ist alles andere als ranschmeißerisch, im Gegenteil. Es ist eine Musik für Conaisseure.
Die Titelfigur ist die historische Lady Hamilton, Gattin des britischen Botschafters im König-reich Neapel, der mit seiner Antikensammlung für die Kunstgeschichte bedeutend war. Aller-dings ist die Handlung für Künnekes 20. Operette von den Librettisten Richard Bars und Leopold Jacobson ziemlich frei gegenüber der historischen Wahrheit erfunden worden. Es geht um die Geschichte vom Aufstieg einer Kneipensängerin zur Botschaftergattin und schließlich zur Geliebten von Lord Nelson. Die Geschichte hat etwas Subversives, denn Lady Hamilton setzt ihre weiblichen Reize sehr genau kalkuliert ein, um zu erreichen, was sie will, schließlich sogar einen Gnadenakt zur Befreiung ihres Geliebten, des spanischen Seeoffiziers Alfredo. Die Lady aus dem Slum schläft sich hoch und hebelt die Männer aus, sogar den größten Seehelden ihrer Zeit. Sie hebt auch die "Widersprüche zwischen Abenteuer und gesellschaftlicher Repu-tation, Liebe und Macht" auf, wie der Operettenpapst Volker Klotz zurecht schreibt. Lady Ha-milton ist eine waghalsige, anrüchige aber aufregende "maritime Mätresse", die als emanzi-pierte Frau und Persönlichkeit gezeigt wird, im Spannungsfeld lauter interessanter Bühnen-figuren.
Der neue Hausherr des Anhaltischen Theaters, Johannes Weigand, hat das Stück inszeniert. Er präsentiert es mit Respekt vor dem Stück, Liebe zum Stoff und mit Ironie der Handlung gegen-über als Kaleidoskop eines verspielt-fiktiven Rokoko. Judith Fischer hat ihm prachtvoll-phan-tastische Kostüme dafür geschneidert, angesiedelt zwischen Rokoko und Revuestil. Moritz Nitzsche hat ein elegisch traumartiges Neapel aus Wörlitzer Perspektive auf die Bühne gebaut, einschließlich der Villa Hamilton und des feuerspeienden und rauchenden Vesuvs, die sich ja im Wörlitzer Park als anspielungsreiche Modelle befinden. Johannes Wiegand spielt mit diesen lo-kalen Bezügen, mit den historischen Figuren, er spielt mit Rokoko und Klassizismus und mit Revue- und Operettenkonventionen. Augenzwinkernd und doch auch berührend nimmt er sich der drei zentralen Hauptfiguren Lord Hamilton, Lord Nelson und vor allem der Aufsteigerin Emma Lyons an, die bei ihren gesellschaftlichen Abendgesellschaften in Neapel mit ihren Auf-tritten und Tanzdarbietungen in antik mythologischer Verkleidung, sie nannte dieses Genre "Attitüden", zum Star und zum Ideal des Klassizismus wurde. Wiegand zeigt das völlig unver-krampft, ohne alle aktualisierende Mätzchen, ohne regieliche Fingerzeige oder Besserrwisse-reien, aber mit viel Spielwitz, auch mit vitalem Spieltempo, mit sinnlicher Theaterfreude und Freude auch an schönen Bildern und Tableaus. Es ist eine feine, klischeefreie, außerordentlich geschmackvolle und sehenswerte Inszenierung eines zu unrecht vergessenen Werks.
Weigand hat für diese Produktion aber auch ein in sich stimmiges, homogene, in allen Partien überzeugendes Ensemble aus Sängern und Schauspielern auf die Bühne gebracht. Es gibt viele schillernde und interessante Figuren in dieser Operette. Außerordentlich anrührend sind der Lord Hamilton von Karl Thiele, der Lord Nelson von Stephan Korves und die Emma Lyons von Cornelia Marschall, die über einen betörend warmen und schönen lyrisch-beweglichen Sopran verfügt. Sie ist auch eine bezaubernde Darstellerin. Alle in dieser Produktion sind gewievte Darsteller, auch die nicht genannten aus dem großen Ensemble. Die Aufführung ist reines Vergnügen, auch in dem, was aus dem Orchestergraben kommt. Die junge griechische Diri-gentin Elisa Gogou bringt mit energischem Zugriff, mit Temperament und Feingefühl die raffinierte Musik Künnekes zum Klingen. Es ist eine Musik, die zwischen Puccini und Kurt Weill schillert, die mit allen Wassern der Zwanzigerjahre gewaschen ist, außerordentlich bühnenwirksam, tänzerisch, aber auch sinfonisch-emotional. Hendrik Schnöke hat aus den Originalklavierauszügen eine mitreißende, klangsinnliche Fassung rekonstruiert, einschließlich dreier Saxophone. Die Instrumentierung ist pikant. Und die Anhaltische Philharmonie spielt sie klangprächtig und süffig. Eine rundum begeisternde Aufführung und Operettenausgrabung. Das Premierenpublikum feierte die Aufführung mit großem Jubel. Man darf von einer der bemer-kenswertesten und interessantesten Operettenaufführungen zwischen Berlin und Leipzig sprechen. Auf nach Dessau!
Beitrag auch in MDR Kultur am Samstag 28.01.2017