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Die Geschichte Neubayreuths muss neu geschrieben werden. Ein Interview mit Brigitte Hamann 2002 über
Winifred Wagner
Frau Hamann, Sie haben eine Biographie geschrieben über Winifred Wagner und zugleich eine historische Abhandlung über Adolf Hitlers Auftritt und Einfluss in Bayreuth, ein Buch über die gegenseitige Umarmung zweier Ungleicher, die sich brauchten. Winifred Wagner hat die Bayreuther Festspiele vor dem Bankrott gerettet, indem sie Hitler als Beschützer und finanzkräftiger Förderer gewann, dafür hat sie ihm propagandistisch als Steigbügelhalterin zu großbürgerlichem Renommee verholfen. Das haben Sie erstmals mit wissenschaftlicher Differenziertheit und Unvoreingenommenheit nach langjährigen Quellenstudien in einer historischen Biographie dargestellt. Das Buch knüpft gewissermaßen an ihr Buch über „Hitler in Wien“ an indem es den Aufstieg Hitlers in Deutschland darstellt, und zwar im Spiegel Bayreuths und der Bayreuther betrachtet, es ist aber auch die erste hieb- und stichfeste Winifred Wagner-Biographie. Eine Biographie über die vielgescholtene Mutter Wolfgang Wag-ners, die noch 1975 in einem Interview Hans-Jürgen Syberbergs bekannte: „Wenn der Hitler zum Beispiel heute hier zur Tür hereinkäme, ich wäre genauso fröhlich und glücklich, ihn hier zu sehen und zu haben wie immer“. Sie haben Winifred nicht einseitig verurteilt, sondern in ihrer ganzen Widersprüchlichkeit dargestellt. Warum?
Na ja, weil sie widersprüchlich ist, weil jeder Mensch widersprüchlich ist, wie ich meiner Überzeugung als Historikerin folgend glaube. Und weil es zu kurz greift, wenn man sie, wie man es ja lange getan hat, pauschal verdammt. Das Erstaunliche bei ihr ist ja, dass sie einerseits die bekannten antisemitischen Parolen aus Loyalität zu ihrem Mann immer nachgebetet hat, andererseits sich selbstlos für viele politisch und rassisch Verfolgte eingesetzt hat, insbesondere auch für viele Schwule. Und sie hat sich ohne jedes Kalkül bitte schön, auch ohne jedes Eigeninteresse für sie bei Hitler eingesetzt. Ich habe alle Fälle überprüft und es sind immer neue aufgetaucht in den Archiven. Sie hat sich für jeden persönlich stark gemacht. Damit hat sie in Kauf genommen, sich den Ärger Hitlers einzuhandeln, und letztlich den Verlust der Gunst Hitlers, der sie ja ab 1940 gemieden hat, und das war das Schlimmst, was ihr passieren konnte.
War die widersprüchliche Winifred Wagner, die einerseits KZ-Insassen befreite, andererseits sich bis an ihr Lebensende als fanatische, überzeugte Nationalsozialistin bekannte, war sie ein typischer Mensch dieser Zeit? Oder hat sie die furchtbare Wirklichkeit des Nationalsozialismus nur selektiv wahrgenommen?
Ich glaube nicht, dass Winifred die Realität selektiv wahrnahm. Sie hat die Dinge sehr klar gesehen wie sie waren. Aber sie hat an Hitler geglaubt und ihn idealisiert, ja in Schutz genommen gegen seine eigenen Grausamkeiten. Sie glaubte daran, dass der Führer vergiftet gewesen sei, weshalb er für die schrecklichen Untaten nicht verantwortlich gewesen sein konnte. Das ist die alte Legende vom Leibarzt Morell, der ihn vergiftet habe und von Göring, der Geschäfte gemacht habe mit den Russen. Winifred hat ja alle Nazi-Größen um Hitler verachtet. Nur Hitler verehrte, ja liebte sie.
Frau Hamann, Sie haben in Ihrem Buch nicht nur dargestellt, wie Hitler Winifred finanziell unter die Arme griff und ihr den Rücken freihielt für künstlerische Modernisierungen, gegen den Willen vieler Parteioberen der Nationalsozialisten übrigens. Sie haben Ihr einseitiges erotisches Liebesverhältnis zu Hitler dargestellt als ein unerfülltes, absurdes. Sie haben aber auch die Schwäche ihres homosexuellen Gatten Siegfried Wagner nicht verschwiegen, der in ständiger Angst vor seinen älteren Schwestern und vor Skandalen der energischen Winifred unterlegen und ergeben war. Besonders interessant ist die Tatsache, und die haben Sie als Erste in die Öffentlichkeit getragen, dass Wieland Wagner, der Entrümpler und Erneuerer Nachkriegsbayreuths, der sich nach 1945 selbst als Saubermann stilisierte, eine nicht unerhebliche Nazi-Vergangenheit aufweist. Nicht ohne Grund nannte Tietjen ihn - sie zitieren das - „den übelsten der Hitler-Günstlinge“. Er war in der Tat Hitlers Protegé, arbeitete im KZ-Außenlager Bayreuth und hatte eine sehr enge persönliche Beziehung zu Hitler. Nach 1945 schwieg er für den Rest seines Lebens über all dies.
Na ja, er war der Obernazi von Bayreuth in den 40er Jahren, das muss man klipp und klar so sagen, und er war es bis Ende April 1945. Dann tat er so, als wäre er es nie gewesen. Er hat sich dann ja an den Bodensee zurückgezogen, in die französisch besetzte Zone, da kannte man ihn nicht und er hat sich dort bewußt der Entnazifizierung entzogen, was ihm auch gelang. Seine Mutter Winifred hat dann alle Schuld auf sich geladen, um ihren Söhnen den Weg freizumachen für einen Neuanfang. Und Wieland hat nach außen hin sich deutlich sichtbar von seiner Mutter distanziert, indem er zum Beispiel quer durch den Garten zwischen dem zerbombten Wahnfried-Haus, in dem er lebte und dem SiegfriedWagner-Haus, in dem seine Mutter lebte, eine hohe Mauer errichten ließ. Er hat sich öffentlich immer vom nationalsozialistischen Wagnerkult seiner Mutter distanziert. Ich sage Ihnen: Es wird sich unser Bild von den bekannten Nazis und Antinazis noch gewaltig verändern, wenn eine ganze Reihe von Archiven einsehbar sein werden.
Mit dieser ungeschminkten Darstellung Wielands, die für manchen Wielandverehrer einer Denkmalsschändung gleichkommen wird, vor allem auch für die Angehörigen seiner Familie, haben sie ein Tabu gebrochen. Das dürfte für böses Blut sorgen. Haben Sie eigentlich bei Ihren Recherchen Probleme mit dem heutigen Bayreuth bekommen?
Bis jetzt habe ich noch keine Probleme bekommen. Aber die Probleme werden schon kommen!
Wie hat der Festspielchef Wolfgang Wagner sich verhalten? Hat er sie blockiert oder unterstützt?
Ich muss sagen, er hat mich eigentlich sehr unterstützt, er hat ja sogar die Idee gehabt, dass ich mich als Historikerin mit seiner Mutter beschäftigen solle, indem er mich vor einigen Jahren zu einem Vortrag einlud, den ich aber nicht gehalten habe, weil ich damals noch nicht genügend über seine Mutter wusste. Aber ich beschäftigte mich mehr und mehr mit ihr und stellte fest, dass sich an ihrem Beispiel die Darstellung des Weges Hitlers, den ich in meinem letzten Buch darstellte, fortsetzen ließe. Ich habe dann vier Jahre lang in den Archiven gesessen, vor allem im Richard Wagner-Archiv in Bayreuth, und da hat mir Wolfgang Wagner ganz entscheidend geholfen. Er hat mir nicht nur viel Material zur Verfügung gestellt, er hat sich auch mehrfach persönlich dafür eingesetzt, dass mir Dinge zur Verfügung gestellt wurden, an die ich sonst nicht herangekommen wäre.
Beispielsweise sind die Tagebücher der ehemaligen Archivarin Gertrud Strobel von der Stadt Bayreuth gesperrt worden. Wolfgang hat dafür gesorgt, dass ich sie dennoch lesen durfte. Es ist wirklich unfair, dass immer auf Wolfgang Wagner herumgehackt wird. Ich habe ihn als den offensten und unkompliziertesten aus der Wagnerfamilie kennen gelernt. Schlimm sind die Enkel Winifreds. Sie verhindern wirkliche Aufklärungsarbeit in Bayreuth. Warum sollte ich mit den Wölfen heulen, wenn meine Erfahrungen andere sind? Ich habe zu Gottfried Wagner gesagt: Sie schlagen immer auf den Falschen ein, indem Sie Ihren Vater so attackieren! Und auch Nike Wagner wollte natürlich von Wielands Nazivergangenheit nichts wissen und beschwor mich, ich dürfe das nicht veröffentlichen, bis ich ihr die Parteinummer ihres Vaters nannte. Dann habe ich nichts mehr von ihr gehört. Wissen Sie, die Winifred-Enkel mauern! An den Briefwechsel Winifreds und Wielands bin ich nicht herangekommen, auch an den Nachlass Wielands natürlich nicht, das ist ja klar. Beides liegt bei den Enkeln. Ich habe alles versucht. Aber die werden die aufschlussreichen Dokumente wohl niemals der Öffentlichkeit übergeben.
Wäre die Geschichte der Bayreuther Festspiele anders verlaufen, wenn Winifred sie nicht geleitet hätte?
Na ja, wer hätte sie sonst leiten können? Siegfried war zu schwach, er war schon organisatorisch nicht in der Lage gewesen, den enormen Aufgaben des Unternehmens gerecht zu werden, deshalb schob er ja in heiklen Dingen immer seine Frau vor. Aber hätte er länger gelebt und die Leitung der Festspiele fortgeführt, wären die Festspiele Pleite gegangen. 1933 standen die Bayreuther Festspiele vor dem Ruin, Winifred konnte schon Mitte des Jahres die Gehälter nicht mehr bezahlen. Es gelang ihr, Hitlers Hilfe zu mobilisieren. Sie hat tatsächlich dadurch die Festspiele gerettet, und sie hat die Festspiele mithilfe Tietjens, der den Nazis gar nicht geheuer war, weil er als Linker und als modernistischer Judenfreund galt, modernisiert auf einem sehr hohen Niveau. Sie erreichte es auch, dass die Partei ihr - als einer der wenigen Theaterleiter - in keiner Weise in die künstlerischen Belange hineinredete.
Welchen Anteil hat Winifred an der Positionsveränderung der Bayreuther Festspiele nach 1945 und schließlich der Errichtung der Richard-Wagner-Stiftung?
Winifred darf nicht unterschätzt werden. Schon dadurch, dass sie öffentlich alle Schuld auf sich genommen hat, dass sie ihre Söhne entlastete und den Verzicht auf alle leitenden Ansprüche im Festspielunternehmen erklärte, hat sie Wieland und Wolfgang aus dem Schussfeld gezogen und die Basis errichtet, auf der die beiden die Festspiele wieder aufbauen konnten. Daß Wielands nationalsozialistische Vergangenheit in Bayreuth nicht an die große Glocke gehängt wurde, liegt nur daran, dass auch nach 1945 einige Leute großes Interesse daran hatten, dass die Festspiele von den Söhnen Winifreds wiedereröffnet werden sollten.
War Winifred also besser als ihr Ruf?
Schauen Sie, besser oder schlechter, das ist für mich als Historikerin uninteressant Sie war allerdings besser, war vielschichtiger, als ich ursprünglich gedacht habe. Zumal in ihrer spontanen, unberechnenden Hilfsbereitschaft gegenüber vielen Opfern des Regimes. Ich wusste das ja auch nicht, bevor ich an die Quellen heranging. Aber ich darf das doch nicht unterschlagen. Sie war auf jeden Fall facettenreicher, als sie aus der Wieland-Perspektive immer dargestellt wurde. Diese ganze Verurteilung seitens der Wieland-Familie darf man nicht ernstnehmen. Aber ich will Winifred nicht rehabilitieren. Nicht dass Sie mich falsch verstehen. Ich muss an dieser Stelle deutlich betonen, dass ich keine Winifred-Verehrerin bin, im Gegenteil. Diese Frau hat abstoßende Züge in ihrer Brutalität und Derbheit. Aber sie war brutal nie gegenüber Schwächeren und Untergebenen! Nur nach oben hin war sie eine eiserne Lady. Und mit ihrer Entschlossenheit und ihrem Realismus hat sie die Bayreuther Festspiele, die in den Dreißigerjahren in einer ernsten Existenzkrise steckten, weil die jüdischen Wagnerianer und auch die konservativen Altwagnerianer wegblieben, letztlich für die Zukunft geret-tet. Außerdem war sie eine extreme, widersprüchliche Persönlichkeit und zeigte deshalb die Probleme ihrer Zeit in sehr zugespitzter Weise. Und das ist für mich als Historikerin natürlich interessant.
Wird man die Geschichte Nachkriegsbayreuths nach ihrer Aufarbeitung des Kapitels „Bayreuth im Dritten Reich“ neu schreiben müssen?
Es werden sicher einige Bücher über die Ära Wielands, was das Politische angeht, umgeschrieben werden müssen.
Womöglich auch, was das Künstlerische angeht, denn Wielands extreme Abwehr alles althergebrachten Naturalismus´, jeder national angehauchten Deutschtümelei des Wagnerstils, aber auch seine Unnahbarkeit, seine Verschlossenheit im persönlichen Umgang als Regisseur, von der fast alle seine Darstellerinnen im Neubayreuth der ersten Stunde berichten, lassen sich ja jetzt verstehen.
Stellen Sie sich vor, was dieser Mensch an inneren Spannungen ertragen musste bei seiner Vergangenheit, die er nach 1945 in sich verschlossen und verborgen hat vor der Welt. Er ist ja auch nicht alt geworden und sehr früh an Krebs gestorben.
Frau Hamann, haben Sie Interesse daran, das Kapitel „Neubayreuth“ neu aufzurollen?
Nein, für mich - als Historikerin, die sich eigentlich zuallererst mit Österreich befasst - ist jetzt das Thema Hitler und auch das Thema Wagner abgeschlossen. Ich mag nicht mehr. Das sollen andere machen.
Veröffentlicht in „Opernwelt“ September 2002