Thomas-Hamlet. Nadja Loschky

Photo: Monika Rittershaus


Die Berliner Komische Oper hat mit der einst so erfolgreichen, heutzutage eher selten gespielten Oper „Hamlet“ von Ambroise Thomas‘ (in der Pariser Originalfassung) am 16. April eine der letzten Premieren in ihrem Stammhaus anberaumt, ehe man wegen Renovierung ins Schillertheater umzieht.

 


Dröges Regietheater, gute Sänger, unsensible Dirigentin

 

 

So wie Hamlet ja bekanntlich treffsicher feststellt, dass die Zeit aus den Fugen und im Staate Dänemark etwas faul ist, so will die Inszenierung von Nadja Loschky, seit 2019 künstlerische Leiterin des Musiktheaters am Theater Bielefeld und designierte Intendantin des Hauses ab 2025, mit ihrer Inszenierung „die Fäulnis der Welt“ freilegen und die Todessehnsucht, frei nach Shakespeare und Thomas Bernhard, der sagte, dass im Angesicht des Todes alles lächerlich erscheine.

Doch ihre Regie erschöpft sich in Konventionen und Regiegags. Bei den bei den berühmten Worten Hamlets „Sein oder Nichtsein“ - "Être ou ne pas être" darf der melancholische dänische Prinz, der aussieht wie ein verdreckter Clown in zu kurzen Hosen, mit dem Totenschädel des früheren Hofnarren Yorick in der Hand spielen, hingelagert auf einem Haufen ausgehobener Erde. Ganz konventionell.


Das ist denn auch die Kernidee des Regiekonzepts: den Zerfall der Sitten und Seelen anhand des Zerfalls des Schlosses Helsingör zu veranschaulichen. Da greifen Hamlet und sein ehemaliger Narr (den die Regisseurin wiederauferstehen und nicht von seiner Seite weichen lässt) schon Mal zu Spitzhacke und Schaufel. Die Bühne wird zum Friedhof, very british anmutende Herren mit Schirm, Charme und Melone werden zu Lemuren, ihre Auftritte ziehen sich durch alle fünf Akte, und es werden immer mehr. Zeitweise treten sie gar ohne Köpfe auf.


Man spielt übrigens die Pariser Uraufführungsfassung, zu der Michel Carèe und Jules Barbier das Libretto schrieben. In dieser Fassung tötet Hamlet im letzten Akt Claudius, um danach selbst zum König ausgerufen zu werden. (1869 wurde eine Zweitfassung der Oper mit einer italienischen Übersetzung des Librettos von Achille de Lauzières im Opernhaus Covent Garden in London uraufgeführt. Diese Fassung endet tragisch: Hamlet wird nicht zum König gekrönt, sondern stirbt. Aufgrund des Widerstands des englischen Publikums wurde die Produktion jedoch bereits nach einer einzigen Aufführung abgesetzt).


Nadja Loschky straft das Happy End, diesen „positiven“ Pariser Schluss Lügen, denn Hamlet schwingt sich bei ihr auf eine gigantische Glocke, die sich von oben herabsenkt und wird gen Himmel gezogen. Die Rache- und Liebestragödie endet in unklarer Zukunft und in Dunkelheit, vielleicht im Jenseits. Da die Pariser Fassung mit Shakespeare nicht mehr viel zu tun habe, wie die Regisseurin beklagt, mischt sie dem Stück allerhand Originalshakespeare unter. Hamlet (mehr „hellsichtig als wahnsinnig“) ist Zentrum ihrer Inszenierung, er ist halb Schauspieler, halb Tragödienheld, Wahnsinniger oder Wahnsinn Spielender, es geht um Sein und Schein, Traum und Wirklichkeit, immer wieder bricht aber auch Heiterkeit à la Opera comique herein, etwa beim Trinklied Hamlets und seiner Wiederholung. Dennoch eine rabenschwarze Deutung in prunkvollem Treppenhaus eins Schlosses (Bühnenbild Etienne Plus), das allerdings mit der Farbe Violett auftrumpft. Auch die meisten Kostüme von Irina Spreckelmeyer tun es. 


Ophélie ist bei Loschky Hamlets weibliches Alter Ego. Die beiden sind seelenverwandte Außenseiter und Zweifler, die sich dem Regelsystem des Hofes verweigern.  Tragik und Liebe, Alkoholseligkeit und Weltschmerz, ja Todessehnsucht liegen nah beieinander.  Das wird immerhin sichtbar in dieser mit Mätzchen nicht sparenden Produktion (Kitschiger Schneefall, neckisches Gehopse von Stufe zu Stufe, mehrfacher Geschlechtsverkehr auf offener Bühne, Ehebett auf dem Friedhof, kettenrauchender Geist des Königs), die auch an Doubles der (tanzenden) Protagonisten nicht spart und damit für einige Verwirrung sorgt.

Das der französischen Konvention der Grande Opéra geschuldete Ballett lässt man als Traum Ophélies von der Hochzeit mit Hamlet aufführen- und das ist auch gut so (Choreographie Thomas Wilhelm).


Es ist eine surreale, symbolüberfrachtete und im Übrigen konventionelle Personenregie, sie erschöpft sich gern in Statischem, in dekorativen Arrangements und opernhaften Tableaus. Es ist eine dröge, langatmige Angelegenheit, diese Aufführung, der ordentliches Spieltempo und Stringenz fehlt. Mit einem Wort: Langweiliges Regisseurs- bzw. Regisseurinnentheater.


Demgegenüber standen ordentliche und außerordentliche Sängerleistungen:

Huw Montague Rendall ist ein blondgelockter Hamlet mit sonorem Bariton, der sowohl in der Höhe wie in der Tiefe kraftvoll wie kultiviert gestalten kann.  Schon optisch ideal ist die blond gelockte Ophélie von Liv Redpat. Vor allem aber ist sie eine brilliante Virtuosa des Koloraturgesangs, die ihre beiden Bravourarien – zumal ihre Wahnsinnsarie - mit gelenkigem, höhensicherem Sopran zu singen versteht. Eindrucksvoll, wenn auch zuweilen nicht ohne Schärfe singt Karoline Gumos die Königin Gertrude.  Tijl Faveyts gibt einen sonoren Claudius, König von Dänemark.  Jens Larsen als Geist poltert basshaft in bekannter Art, diesmal im Habit eines Penners. José Simerilla Romero singt einen lyrisch gepflegten Laërte, auch ansonsten überzeugt die Besetzung durchweg.  Die Chorsolisten der Komischen Oper singen unter Jean–Christophe Charron zuverlässig. Nicht gespart hat man an Statisten. 


Die Enttäuschung des Abends war neben dem überhochmetzten Regietheater die musikalische Leitung der schönen, erst 33-jährigen Maestra, eines ehemaliges Tennistalents, das sich inzwischen zur aufsteigenden Dirigentin mauserte. Dass Marie Jacquot Posaune spielte, ist wohl der Grund, warum sie so vehement und ordentlich zupackend die Bläserlastigkeit der Musik hervorhebt. Sie lässt es ordentlich krachen bei den Blechbläsern, das erinnert fast schon an Spontini oder Wagner. Die Dirigentin hat ein Faible für sportive Klangexzesse, für Pathos und Lautstärke. Eleganz und Feinfühligkeit ist ihre Sache nicht wirklich. Ihr Thomas kling weitgehend klischeehaft, wie „preußisch“, also zackig dirigierter Meyerbeer, das Patchworkartige der disparaten Musik des hochgeehrten Franzosen wird scharf, fast scherenschnittartig plakativ dargeboten. Der Balanceakt zwischen Repräsentativem und Innerlichkeit, Grand Opéra, Opéra comique (der Thomas sehr verbunden war) und Drame Lyrique gelingt ihr nicht wirklich. 



Rezension auch in nmz online