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Photos: Sandra Daveau
Nur halb gehobener Opernschatz JacquesOffenbachs
28.09.2018: UA „Les Fées du Rhin“ in Tours
Der Rhein war seit Friedrich Schlegel Topos der Utopie des Deutschen: „Nirgends wer-den die Erinnerungen an das, was die Deutschen einst waren, und was sie sein könnten, so wach als am Rhein.“ Zurecht schreibt Frank Harders-Wuthenow vom Verlag Boosey & Hawkes, der die kritische und praktische Offenbach-Edition Keck herausgibt: „Als Offenbach, sein Librettist Charles Nuitter (eigentlich Truinet, Archivar der Pariser Oper) und sein Übersetzer Alfred von Wolzogen (Vater – Ironie der Operngeschichte – Hans von Wolzogens, dem Herausgeber der Bayreuther Blätter) an den Rheinnixen arbeiten, war der Rhein allerdings längst zur politischen Demarkationslinie geworden. …Als der in Köln geborene Offenbach an den Rheinnixen arbeitete, war das Textbuch zu den Meistersingern bereits entstanden, in dem die ‚heilige deutsche Kunst‘ gegen ‚welschen Dunst und Tand‘ ausgespielt wird. Und wer stand für diesen welschen Tand, wenn nicht Offenbach?“
Dass der Wiener Hofoperndirektor Matteo Salvi 1764 die Uraufführung von Richard Wagners „Tristan und Isolde“ nach über 70 Klavierproben abblies und stattdessen die Uraufführung von Jacques Offenbachs Grand-Opéra „Die Rheinnixen“ aufs Programm setzte, kam einer Urkränkung Wagners gleich, der seither nicht aufhörte, sein Gift ge-gen Offenbach zu verspritzen. Wagner schrieb in seinen „Erinnerungen an Auber“, Of-fenbach besäße „die Wärme des Düngerhaufens: auf ihm konnten sich alle Schweine Europa's wälzen.“ In seinem „Lustspiel. Eine Kapitulation“ sollte er später (1871) Of-fenbach durch den Kakao ziehen, der 1861 in seinen Bouffes-Parisiens seine Kar-ne-valsrevue („Les Carnaval des Revues“) heraus gebracht hatte, in der er eine augen-zwinkernde, köstlich clowneske Wagnerparodie aufnahm , die er kurz zuvor zu Wag-ners Ankunft in Paris geschrieben hatte. Wagner gab in Paris Konzerte, um Schulden zu bezahlen. Er war notorisch pleite. Eine ziemlich respektlose Verballhornung der gleich-namigen kleinen Schrift »Das Kunstwerk der Zukunft«, die Wagner 1849 veröffentlicht hatte. Des "Zukunftsmusikers“ Hass auf Offenbach war ein für alle Mal zementiert.
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Die Oper, deren ursprünglicher Titel „Les Fées du Rhin“ lautete, und deren franzö-sischsprachiges (wegen des Wiener Uraufführungsauftrags) nicht vollendetes Libretto Charles Nuitters wurde von Alfred von Wolzogen ins Deutsche übersetzt und vervoll-ständigt. Obwohl die Wiener Uraufführung ein großer Erfolg war, verschwand die Oper für 150 Jahre in der Versenkung. Die Tatsache, dass ausgerechnet ein in Frankreich re-üssierender Jude rheinischer Abstammung für Wien eine Rhein-Romantik-Oper ge-schrieben hatte, hatte offenbar Tabus verletzt.
Erst im Juli 2002 fand in Montpellier eine konzertante Uraufführung der inzwischen vorliegenden vollständigen deutschen Fassung der vieraktigen Oper statt. Szenisch wurde sie ausgegraben in Ljubliana und Trier 2005, Cottbus 2006, Bremerhaven 2007 und an der New Sussex Opera 2009. Die französische Originalfassung, „die der stellen-weise sehr unbeholfenen deutschen Übersetzung Wolzogens qualitativ weit überlegen ist“ (Frank Harders-Wuthenow) ist seit Offenbachs Lebzeiten bis heute nie aufgeführt worden. Jetzt endlich, im Vorfeld des Offenbach-Gedenkjahres 2019, wurde auch sie vervollständigt und komplett herausgegeben. Keines der großen europäischen Opern-häuser, zumal die hauptstädtischen, hat sich dafür interessiert, diese nie aufgeführte Fassung der Oper uraufzuführen. Immerhin, die Opéra de Tours brachte „Les Fees du Rhin“ erstmals auf die Bühne.
Das Stück ist eine utopische, eine radikal pazifistische romantische Oper im Stile einer großen Grand Opéra mit vielen prachtvollen Arien, Ensembles, Chören und Ballett-musik. Es spielt mitten in Kriegszeiten deutscher Kleinstaaten, Provinzen und Fürsten-tümer. Offenbach und sein Librettist hatten die Oper historisch konkret verortet, „im Sommer 1522 in der Gegend zwischen Bingen, an der Mündung der Nahe in den Rhein, und an der Ebernburg Franz von Sickingens südlich von Bad Kreuznach in der Pfalz“. Die Oper spielt also während des Pfälzischen Ritteraufstandes, der als Sickingens ‚ Pfaffenkrieg‘ in die Geschichte eingegangen ist. Die Hauptpersonen sind allesamt traumatisiert. Ein Hauptmann, Franz mit Namen, der seit einer Kriegsverletzung an Gedächtnisverlust leidet, seine von ihm verlassene Jugendliebe Armgard (in der fran-zösischen Fassung heißt sie Laura) und deren Mutter Hedwig, die von einem Haupt-mann geschwängert und verlassen wurde. Der Gutmensch Gottfried, ein Jäger, treibt aus Rache für verübte Kriegsgreuel die Soldaten zum Elfenstein, wo die Landsknechte dem Zauber der todbringenden Feengesänge erliegen sollen. Es kommt anders. Am Ende findet Franz sein Gedächtnis wieder, die in Scheintod gefallene Armgard erwacht und der grausame Hauptmann Conrad schwört allem Kriegshandwerk ab. Eine ein-deutig pazifistische, vaterländische Oper des im französischen Exil lebenden Offen-bach, der Laura, die weibliche Hauptpartie, zur Symbolfigur deutscher Einigungssehn-süchte (lange vor 1871) macht. Ihr Deutschlandlied, das Offenbach schon 1848 kom-poniert hatte, wird wie die Feen-Barcarole zum Leitmotiv dieser romantischen Oper: „Du liebes Land, Du schönes Land, Du schönes, großes deutsches Vaterland.“
Es wird wie die Feen-Barcarolen-Ouvertüre, die später auch in die Oper "Hoffmanns Erzählungen" eingeht, zum Leitmotiv dieser patriotischen Oper (des im Exil lebenden Deutschen Offenbach), die von einem friedlichen, geeinten Deutschland träumt (so wie auch der im Exil lebende Wagner immer von einem utopischen Deutschland „als reinem Metaphysicum“ träumt). Frauen (Feen) siegen in dieser Oper über Männer (Soldaten), Liebe triumphiert in ihr über Krieg. Dass Regisseur Pierre-Emmanuel Rousseau in sei-ner schlichten Tourer Inszenierung (die als Koproduktion ans Theater Biel gehen wird) das Stück ausgerechnet in den Balkan des 20. Jahrhunderts verlegt, die drama-turgisch so überaus wichtigen Elfenauftritte als bloße Traumprojektionen Lauras zeigt (in balka-nisch-folkloristischen Trachtenkostümen mit schwarzfransig verhängten Gesichtern) und die Soldaten in Nato-Kampfanzügen, ist geradezu absurd. Dass der Regisseur nach dem finalen versöhnlich befriedenden Vaterlandslied alle Sänger des ergreifenden, den Krieg befriedenden Schlußquintetts mit Maschinengewehrsalven niedermähen lässt, straft Offenbachs Pazifismus Lügen und verkehrt die Aussage des Stücks ins glatte Ge-genteil. Das unentwegt martialische Gefuchtele mit Maschinen-gewehren, Revolvern und Dolchen ist so grotesk wie der unentwegte Einsatz von Bierdosen, wo doch von Weinflaschen gesungen wird!) Von der szenisch verschenkten Ballettmusik (zu der nur ein paar Menschen mit Tierköpfen in Zeitlupe über die schleierverhangene, mit glit-zernden Projektionen romantisierten Bühne schlurfen) ganz zu schweigen. Die Insze-nierung hat gründlich das Thema verfehlt!
Gottlob verfügt die Opéra de Tours über exzellente Sänger. Herausragend ist die So-pranistin Serenad Burcu Uyar als betörend intensive Laura und La Fee. Aber auch die Mezzosopranistin Marie Gautrot beeindruckt als ihre Mutter Hedwig. Von imposantem Kaliber ist der Heldenbariton Jean-Luc Ballestra als grausamer Milizenchef Conrad von Wenckheim. Der balsamisch singende Bassist Guilhem Worms besticht als Gottfried in Diktion und kultiviertem Wohlklang. Dass der Jäger zum frommen Pastor mutiert, bleibt so fraglich wie Vieles in dieser unsinnigen Inszenierung. Der lyrische Tenor Sébastien Droy als Franz (der Geliebte Lauras, der seit seiner Kriegsverwundung an Amnesie leidet, aber durch die dramatischen Vorgänge, insbesondere Lauras Schein-tod, geheilt wird) ist Geschmackssache. Seiner rauhen Stimme fehlt jeder Glanz. Er macht seine sängerischen Defizite jedoch durch gestalterische Intensivität wett. Der Chœur de l´Opéra de Tours singt leider durchweg zu laut. Das reduzierte – und daher etwas dünn klingende - Orchestre Symphonique Région Centre-Val de Loire/Tours tut unter Benjamin Pionniers energischer Leitung immerhin sein Bestes, der raffinierten, großartigen und vielschichtigen Musik dieses zu Unrecht bisher so vernachlässigten Ausnahmewerks zu ihrem Recht und der späten Uraufführung dieser Fassung immerhin zu bewegenden Momenten zu verhelfen.
Bedauerlich, dass die Wiener Staatsoper im Offenbachjahr 2019 die Chance hat ver-streichen lassen, am Uraufführungsort diese Oper zu reanimieren! Aber vielleicht ge-lingt es der Neuproduktion des Werks an der Ungarischen Nationaloper in Budapest im kommenden Februar, den ganzen musikalischen Schatz dieser Oper zu heben. Es wäre zu wünschen.
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Photo: Dieter David Scholz