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„Dov´era, com´era“ - wo es war, wie es war
Das Gran Teatro La Fenice in Venedig ist am 14. Dezember 2003 feierlich wiedereröffnet worden
Nach sieben Jahren hat sich der Phönix aus der Asche erhoben. Es war lange völlig un-gewiß, ob er überhaupt je wieder zu neuem Leben erwachen würde. Vor einhundertacht-undsechzig Jahren, 1836, hatte er nur ein Jahr bis zu seiner Wiederauferstehung ge-braucht. Das waren andere Zeiten. Trotzdem gleicht es fast einem Wunder, daß in Zeiten des Theatereinsparens und Theaterschließens, in der heute nur noch etwa fünfzig-tausend Seelen zählenden Lagunenstadt nicht aufs Geld geschaut und ein so prachtvolles Haus wie das traditionsreiche Gran Teatro La Fenice mit einem Aufwand von mehr als 100 Millionen Euro rekonstruiert wurde.
Das Haus - hervorgegangen aus dem Teatro San Benedetto - ist das einzig übriggeblie-bene aus der an Opernhäusern und Theatern einst so reichen Musenstadt und ein Identi-fikationsobjekt aller Venezianer, deren Herz noch für die Oper schlägt. Und es schlägt noch heftig. In den regionalen wie überregionalen italienischen Tageszeitungen werden noch immer schon Tage vor dem Premieren-Countdown mehr- und ganzseitige Berichte abgedruckt. Der Akt der feierlichen Eröffnung der „Settimana inaugurale“, die vom 14.-21. Dezember 2003 dauerte, glich denn auch einem feierlichen Staatsakt.
Alles an Kulturinteressierten, was Beine und das nötige Kleingeld in der Tasche hatte- die Kartenpreise bewegten sich von offiziell von 300 bis inoffiziell 2000 Euro - strömte aus Italien und dem Rest der Welt herbei. Die Reichen und die Schönen oder die, die sich dafür halten, die Mächtigen und die VIPs, waren anwesend. Angeführt vom italienischen Staatspräsidenten Carlo Ciampi, sechs italienischen Ministern, dem geistlichen Patriar-chen der Stadt (der in seiner roten Seide direkt neben dem Staatspräsidenten in der gold-bemützten Dogenloge plaziert, allen Damen die Show stahl) und dem Bürgermeister Pao-lo Costa , dessen Mund die Maxime „dov´era, com´era“ in seiner kurzen Eröff-nungsrede zu verdanken war. Presse, Ehrengäste und zahlendes Publikum waren hand-verlesen und mußten sich streng-sten Sicherheitskontrollen unterziehen, um in den von Hundertschaften prachtvoll dekorierter Militärs und Polizisten weiträumig abgeschirmten Bezirk rund um das La Fenice eindringen zu dürfen. Allein das Theater der Prominenten, Industiellen, Politiker und Fernsehleute vor dem Theater, im Parkett und in den fünf Lo-genrängen des vollkommen authentisch rekonstruierten Zuschauerraumes war sehens-wert. Es gab Spaliere von Livrierten mit Lampen in den Händen für die Nachtblinden unter den VIPs schon vor dem Theater, aber auch salutierende, geschniegelte Soldaten beim Auf- und Abtritt militärischer Größen, die es sich natürlich nicht nehmen ließen, sich in Galauniform zu zeigen. Eine theatralische Kostümshow, deren Extravaganz und verschwenderischer Luxus dem Glanz des in alter Pracht wiederhergestellten Opern-hauses, das zudem über und über mit Blumenbouquets ausstaffiert wurde, entsprach. Kostüme und Juwelen blendeten ebenso wie die zusätzlich anbrachten Fernseh-Scheinwerfer für die Live-Übertragung des historischen Events.
Man zeigte, wer man ist und was man hat, umsorgt von Logendienern, Feuerwehrmän-nern, handverlesenen attraktiven Polizisten in Galauniform, Bodyguards und chicken Sicherheitskräften. Die Damen vor allem waren naturgemäß am Extra-vertiertesten. Sie ließen ihrer Phantasie und ihrem Geldbeutel freien Lauf. Haute Couture der Extraklasse wurde aufgeboten. Gewagteste Frisur-Kreationen, gefährlich nachschleifende Schleppen, erlesendste Accessoires, blendendes Brilliantenfeuer und viel gebräunte Haut waren zu bestaunen. Berliner Staatsopernpremieren - selbst bei Galaaufführungen - wirken dage-gen wie Arme-Leute-Veranstaltungen. An die tausend Menschen faßt das Fenice nun. Der Eröffnungsabend der Inaugurationswoche glich einer tausendfachen Selbstvergewis-serung und Demonstration venezianischer Theaterleidenschaft. Was den Dresdnern ihre Frauenkirche, ist den Venezianern ihr Fenice, in dem Rossinis „Tancredi“ und Bellinis „I Capuleti e i Montecchi“ ebenso uraufgeführt wurden wie Verdis „La Traviata“. Mit doieser Opersoll das Haus denn auch im kommenden Herbst szenisch wiedereröffnet werden. Daben soll es Brittens „The Turn of the Screw“, Prokofiefs „Feuriger Engel“, Strawinskys „The Rake´s Progress“, Luigi Nonos „Intolleranza“ und viele andere Opern mehr geben.
Man hatte keinen Geringeren als die Nummer Eins unter den italienischen Stardirigen-ten, Scala-Chef Riccardo Muti, gebeten, das erste der sieben Konzerte der Eröffnungs-woche zu dirigieren. Christian Thielemann, Myung-Whun Chung, Marcello Viotti, Elton John, Mariss Jansons und Yuri Temirkanov folgten.
Das Programm, das Muti präsentierte, war nicht das Originellste: in den tosenden Begrü-ßungsbeifall hinein ließ er natürlich zuallererst die schmissige Nationalhymne anstim-men. Wie ein Mann erhob sich das touchierte Publikum. Mit Beethovens „Weihe des Hauses“ vollzog Muti dann, was der Titel des feurig dirigierten Stücks seinerzeit fürs Wiener Josephstädtische Theater versprach. Es folgte eine glasklare Interpretation von Strawinskys wohl für die meißten venezianischen Ohren etwas sperriger Psalmensin-fonie, dann endlich ein italienisches Stück, immerhin, Antonio Caldaras "Te Deum", über dessen ziemlich unbarocke Wiedergabe man lieber schweigt und schließlich gab Muti dem Affen Zucker mit zwei der belanglosesten, wenn auch effektvollen Stücken Richard Wagners, dem Kaisermarsch und dem Huldigungsmarsch. Das zuvor eher gel-angweilte Publikum feierte Wagner, der ja in Venedig gestorben ist, dankbar und heftig. Warum Muti nicht gleich die jugendliche C-Dur-Sinfonie des Meisters spielte, der sie zum Geburtstag Cosimas im Dezember 1882 im Fenice dirigierte, es war das letzte Mal, daß er den Taktstock hob, bleibt unverständlich.
Natürlich und zu allererst feierte das Pblikum sich selbst, die Tatsache dabei gewesen zu sein und das schöne, alte neue Haus. Es war eine logistische Meisterleistung, das Opernhaus, von dem fast nur noch die Außenmauern übriggeblieben sind nach dem Brand vom 29. Januar 1996, wiederaufzubauen. Alles Material, alles Baugerät mußte auf kleinen, flachen Schiffen über die schmalen Kanäle mit ihren tausend Brückchen her-beigeschafft werden, mühsam zerlegt in Kleinstteile, die an Ort und Stelle zusammen-gesetzt werden mußten. Man arbeitete in mehreren Schichten rund um die Uhr. Im Apollo-Saal wurde liebevoll konserviert, was von ihm übriggeblieben war, der Rest wurde ebenso denkmalpflegerisch penibel rekonstruiert wie der Zuschauerraum. Selbst die Holzwurmlöcher der vergoldeten Zierleisten wurden nicht vergessen.
Das Gebäude, das man staunenswert sensibel rekonstruierte, ist ein Exempel, das ein-lädt, über unser aller Verhältnis zu Original und Fälschung nachzudenken und über das, was man historisches Lebensgefühl nennen könnte, von dem das heutige Venedig be-seelt ist. Verblüffend, wie echt, wie authentisch der große Saal mit seinen Tausenden von phantasierokokohaften Gold-Roccaillen vor lagunenblauen Fonds, seinen Sesseln in Alt-rosa, seinen vergoldeten Kandelabern mit den überflüssigen gläsernen Tropfenfängern und den crèmefarbigen Schirmchen wiederauferstanden ist. Fast, als wäre er nie abge-brannt. 1300 Quadratmeter Blattgold in 24 Karat wurden aufgetragen. Nur Details in den Umgängen und umgebenden Räumlichkeiten verraten die Rekonstruktion. Neuste feuersichere Materialien wurden verwendet, modernste Brandschutzeinrichtungen ange-bracht. Aldo Rossi und seine Mitarbeiter haben ganze Arbeit geleistet und in neuen Orchester- und Chorprobenräumen sowie einer Sala Rossi sogar die eigene moderne Handschrift verewigt. Nicht zu vergessen, die klare und doch warme, präsente Akustik des neualten Hauses, die überaus gelungen ist. Das immerhin hat das desparate Eröff-nungskonzert bewiesen.
Das wiedererichtete Fenice ist nicht nur symbolischer Erinnerungsort italienischer Kul-tur, es ist auch ein Symbol des Widerstands gegen Wasser und Feuer, von je die ärgsten Feinde Venedigs. Vor allem aber ist es ein Symbol der Kreativität des vermeintlich ster-benden Venedig, das noch viel Raum für Zukunft biete, wie Bürgermeister Costa, mit grünweißroter Schärpe geschmückt, den anwesenden Berlusconi-Ministern ins Angesicht sagte. Sie dürften´s zufrieden gewesen sein, denn längst planen sie für das Venedig der Zukunft eine Lagunen-U-Bahn, bewegliche Deiche (zu Schweigen vom Moses-Projekt, das künftig das Acqua alta in Zaum halten soll) und eine neue Autobahnumgehung. Für die Minister, aber auch für manche Zweifler an Berlusconis Politik(ern) dürfte der ge-lungene Wiederaufbau des Fenice auch ein Symbol des guten, des funktionierenden Staates sein. Andere sehen darin eher, wie Patriarch Angelo Scola, den wunderbaren Beweis dafür, daß Venedigs Aufgabe es immer gewesen sei, das Außerordentliche all-täglich zu machen. Wie auch immer: über der nach wie vor klassizistischen Fassade des Hauses am Campo Fantin strahlt der vergoldete Phönix wieder wie eh und je. Jetzt muß nur noch die Bühnentechnik samt Schnürboden fertig werden, damit im Venedigs stol-zem, traditionsreiem Opernhaus wieder Opern aufgeführt werden können. Fast ein Jahr wird das noch dauern. Man darf gespannt sein.
Beiträge in div. ARD-Anstalten & i. d. Zft. Opernwelt
Photos: Teatro La Fenice / Michele Crosera