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(Photo: zdroj Severočeské divadlo)
Der „Tristan" in Bad Elster – Abenteuer mit Hindernissen
Wenn es einen „Tristan“ in der Provinz gibt, zumal in einem Juwel von Kurtheater, wird der Opernnarr hellhörig. Ein Tristan in Bad Elster? Das macht neugierig.
Die Kultur- und Festspielstadt Bad Elster kann auf eine lange Theatertradition zurückblicken: Bereits 1888 begann der Spielbetrieb im »Alberttheater« am Brunnenberg. 1913 beauftragte die in Bad Elster gegründete Theatergesellschaft die berühmten Chemnitzer Architekten Alfred Zapp und Erich Basarke mit der Planung und dem Neubau eines modernen, repräsentativen Theaters. Nach nicht einmal zweijähriger Bauzeit wurde am 22. Mai 1914 das heutige König Albert Theater durch Seine Majestät König Friedrich August III. von Sachsen als letztes deutsches Hoftheater feierlich eröffnet.
Seit den Anfängen des Theaterbetriebs gastierten in Bad Elster regelmäßig Gastproduktionen. Nun also „Tristan und Isolde“ mit dem Nordböhmischen Opern- und Balletttheater, dem Stadttheater des ehemaligen Aussig, dem heutigen Ústí nad Labem.
Nebenbei gesagt: Richard Wagner schrieb auf seiner Böhmenreise 1842 in Aussig den Prosaentwurf zum „Tannhäuser“.
Aber wo liegt Bad Elster? Im sächsischen Vogtland. Dorthin zu kommen ist
aber gar nicht so einfach. Laut Bahn-App schon, theoretisch. Aber die Praxis der Deutschen Bahn sieht bekanntlich anders aus: Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit lassen zu wünschen übrig. Bis Leipzig kann man mit dem ICE fahren, dann muss man umsteigen in die S-Bahn Richtung Zwickau, in Werdau heißt es umsteigen in die Regionalbahn Richtung Chem (Tschechien). Das funktioniert aber nur, wenn die Anschlüsse sichergestellt sind. Waren sie aber nicht in meinem Falle. In der Station vor Werdau wurde die Weiterfahrt unterbrochen, bis ein entgegen kommender Zug der aufgrund einer „Weichenstörung“ festsaß, loskonnte. Es sollte ganz schnell gegen, dauerte dann aber doch fast eine halbe Stunde, was zur Folge hatte, dass ich in Werdau den Anschlusszug verpasste. Der nächste fuhr zwei Stunden später. Da Werdau nur einen Geister-Bahnhof besitzt, stand man in der Kälte. Eine geöffnete Wirtschaft oder Kneipe zum Aufwärmen war – zumal aufgrund des Feiertags - nicht aufzufinden. Es war eisig kalt und schneite. Es war klar, dass wir den Beginn der Aufführung nicht schaffen würden, also teilte ich dem Theater mit, dass wir aufgrund von Anschlussproblemen erst zum zweiten Akt würden kommen können. Als ich in Bad Elster mitten im Wald an einem verkommenen Provinzbahnhof mit nur einem Gleis ankam, war das Erstaunen groß. Von Taxen keine Spur. Zufälligerweise kam ein winziger Linienbus (10 Plätze) und fuhr uns bis zum König-Albert-Theater. Ein eindrucksvoller Bau.
Noch eindrucksvoller, um nicht zu sagen tröstlicher war die Tatsache, dass sich direkt neben dem Theater ein tschechisch bewirtschaftetes Gasthaus befindet, in dem ich mich erst einmal aufwärmte, bei gutem Rotwein und einer hervorragenden Gänsebrust mit Klößen und Rotkohl.
Zur Pause nach dem ersten Akt (um den ich dank der Bahn betrogen wurde) fand ich mich an der Kasse ein, wo ich bereits erwartet wurde (ich hatte dem Theater eine E-Mail geschrieben, telefonisch erreichte man Niemanden). Ich bekam meine Platzkarte Tickets und dann begann die Aufführung.
Ich sah eine kreisrunde Fläche, eine Art Wieland Wagnerscher Weltenscheibe, auf der Tristan und Isolde auf Kissen lagerten, ein Heer von Lemuren, schwarz gekleideter, befranster Totengeister, oder was es sein sollten, tänzelten um das Liebespaar herum und löschte schließlich acht Fackeln, wenn ich mich verzählt habe. Bei Wagner ist von einer die Rede. Im Hintergrund Weltallimpressionen in Blautönen. Isolde (Eliška Weissová) war aufgrund ihrer enormen Körperfülle kaum in der Lage aufzustehen, Tristan (recht ordentlich singend Jakub Pustina) war ein eher spacker Bursche, der ihr Sohn hätte sein können. Diese monumentale Isolde sang nicht, sie brüllte mit Riesenstimme, in violett gewandet, sodass die ganze Liebesszene nicht einen Moment von Innigkeit hatte. Brangäne (Karla Bytnarová) in Gestalt einer Magd, mit einer Frisur wie Witwe Bolte, hatte immerhin eine schöne, gut geführte Stimme. Kurwenal sang leidlich anständig (Richard Haan). Seine Kostümierung strafte ihn Lügen. König Marke (Serguei Nikitine) hingegen war in Kostümierung und verbrauchter Stimme keine Autoritätsfigur, eher ein lächerlicher Theaterkönig wie aus einem Kindermärchen. Von den übrigen Stimmen muss nicht die Rede sein. Was da an absurder Spielkonvention, kostümlicher Verirrung (ohne Angabe, wer die Kostüme entwarf, wenn sie nicht gar aus dem Fundus zusammengesucht waren) und dramaturgischer Unglaubwürdigkeit geboten wurde, sprengt alle Vorstellungskraft. Von Intonationsungenauigkeit, Stimmverfärbungen, Ausspracheproblemen (Wortverständlichkeit) will ich lieber schweigen.
Im letzten Akt diente das bettartige Rondell als Sterbestätte, in der Mitte ein weißes Baumskelett, wieder huschten die Totengeister in ballettösem Freistil, jeder wie er konnte, umher, diesmal in Silber gewandet, so überflüssig wie peinlich. Am Ende tauchte ein großer Kristall auf, der violett illuminiert wurde. Isolde kam (viel zu früh, noch während Tristans Fiebermonolog) wie eine silbrig überdekorierte Turandot aufgedonnert, mit Glitzerstoffen und Glitzerkrone, auf die Bühne, wartete unmotiviert herumstehend, bis Tristan starb, warum starb er eigentlich fragte man sich, um ihren Liebestod dann unsensibel schreiend zu absolvieren nach dem Motto: seht her, wie laut ich sein kann. Mit intelligentem Gesang hatte das nichts zu tun. Es folgte ein schnelles, comedyreifes Morden unter den anwesenden Herren secondi. Dann stand Tristen von den Toten auf und beschwor wie ein kleiner Junge gemeinsam mit Isolde, die zwei Köpfe grösser als er war, die Hände gen Himmel reckend, den ominösen Kristall. Eine absurde Veranstaltung, da die Regisseurin über gelegentliches Händchenhalten und abgeschmackte Konventionen althergebrachter Operngesten und –gänge nicht hinauskam. Das Stück wurde unlogisch, ja dumm, weil sich die Regisseurin derart unbekümmert über den Text Richard Wagners hinwegsetzte, dass das Stück, wenn man es denn ernstnimmt, nicht mehr funktionierte, nicht mehr glaubwürdig war.
Dem schönste alle Träume wollte Wagner ein Denkmal setzen. Die Inszenierung der tschechische Regisseurin Andrea Hlinková aber hatte etwas von einem Alptraum, der sich an der Oberfläche der Handlung entlang robbte, aber in seiner dilettantisch anmutenden, unfreiwillig karnevalesken Lesart weder Konzept noch Intention erkennen ließ.
„Tristan und Isolde“ ist so etwas wie die letzte und gewaltigste musikalische Ikone romantischer Liebesvorstellungen, auch wenn Wagner das transzendierende Moment, aber auch das Antibürgerliche, das Gesellschaftssprengende, ja Asoziale des Eros durchaus kritisch reflektierte und in Frag stellte. Jedenfalls solle dieser mächtigste aller Triebe, wie er bekannte, sich in dieser „Oper“ die mehr ist als nur eine Oper, noch einmal ungezügelt ausrasen. Aber von Raserei, zumal musikalischer, war in Bad Elster keine Spur.
Das Orchester des Theaters von Ústí nad Labem wurde von GMD Florian Merz (Chef der Chursächsischen Philharmonie) dirigiert. Er tat sicherlich sein Bestes, doch alles, was die Tristanmusik auszeichnet, glutvolle Farben, rauschhafte Dramatik, sogartige Überwältigungsopulenz und feinste Kunst des Übergangs, davon war nichts zu hören. Kein Wunder, denn das Werk wurde in unverantwortlich reduzierter Orchesterbesetzung gespielt, in einem Orchestergraben, der akustisch alles andre als Wagnerkompatibel ist (der Klang war gedämpft und pauschal), und das böhmische Orchester spielte alles andere als brilliant, präzise und klangexpressiv.
Was dem Fass den Boden ausschlug, war die Tatsache, dass auf brutale Art große, willkürliche Striche gemacht wurden, die nicht einmal gut verblendet wurden, ohne jedes Feingefühl und musik-dramaturgische Rücksichtnahme. Dieser derart kastrierte „Tristan“ dauerte, kaum zu glauben, inklusive zweier Pausen nur dreieinviertel Stunden. Es war der kürzeste Tristan, den ich jemals hörte und sah. Es war auch der absurdeste.
Es ist unverständlich, wie man einem der anspruchsvollsten Werke der Opernliteratur in derart verhunzter Interpretation annähern kann, zumal es auch musikalisch einige Nummern zu groß und zu anspruchsvoll ist für den Ort der Aufführung. Nichts gegen das König Albert-Theater. Es ist ein Schatzkästlein ohne Frage, aber es sollte doch wissen, wo es steht und nicht nach den Sternen greifen.
Nach der Aufführung war ich mir nicht mehr sicher, was schlimmer war, die Bahnfahrt nach Bad Elster oder dieser „Tristan“.
Damit die beschwerliche Reise und die Aufführung nicht ganz umsonst (vertan) waren, beschloss ich, nach der Vorstellung noch einmal in besagtes Wirtshaus zu gehen. Ein gutes Glas Wein ist schließlich mehr wert als ein schlechter Opernabend.
Beprechung auch in der NMZ online