Siegbert Rampe Telemann

Ein neuer Standard in der Telemann-biografik: Bach komme nicht an die Universalität Telemanns heran

Siegbert Rampe wirft ein neues Licht auf den zu Unrecht Ver­gessenen im Schatten Bachs


Siegbert Rampe: „Georg Philipp Telemann und seine Zeit“

Laaber Verlag 569 Seiten


 

Trotz oder gerade wegen seines immensen Œuvres, das Viele veranlasste, ihn einen „Viel­schrei-ber“ zu nennen, ist Georg Philipp Telemann immer noch einer der gro­ßen Unbekann­ten der Ba-rockmusik. Im Gegensatz zu anderen Komponisten des Barock wie Händel, Bach oder Vivaldi gibt es  nicht viel biographische Literatur über Telemann, obgleich er aus historischer Sicht, wie Siegbert Rampe ausführt, als wichtigster Deutscher Barockkomponist zu gelten hat, schon weil er als einziger deut­scher Komponist seiner Zeit zu sämtlichen Musikgattungen, abgesehen von der Lautenmusik, aber einschließlich der Oper bedeutende Beiträge geleitet habe. „Tatsächlich gibt es von Tele­mann ungefähr fünfzig Opern, nicht weniger als zwölf Verto­nung­en der Passions­ge-schichte nach Matthäus und gegen zweitausend Kantaten, von der überaus reichen Instru­mental-musik ganz zu schweigen.“ Die Hauptur­sache für das Fehlen einer angemessenen Telemann-Lite­ratur sieht Rampe darin, dass der Komponist selbst nicht weni­ger als vier gedruckte Auto­biogra-fien herausbrachte (sie sind Rampes Buch angehängt), auf die sich alle späteren Tele­mannbio-grafien stützen. 

 

 „Was unser Verständnis Telemanns erschwert, ist die natürliche Leichtig­keit und Eleganz, mit der er stets zu komponieren wusste, und dass er es wie kein Zweiter verstand, stets für die Bedürfnisse von Hörern und Musikern zu schreiben. Er war es, der dem Volk aufs Maul schaute und seine Mu-sik für jeden Geschmack produzierte.“  So Siegbert Ram­pe, ein vielseitiger Musiker und Musik-historiker, der bereits Händel, Vi­valdi und Carl Philipp Ema­nuel Bach-Biografien geschrieben hat. Aus Anlass von Telemanns 250stem Todestag hat Rampe in seiner fast sechshundert Seiten umfas-senden Monografie einen neuen Standard in der Telemannbiografik gesetzt. Mit detaillierten Le-bens- Werk- und Berufsalltags­beschrei­bungen, vollständigem Werkver­zeichnis, enormer Biblio-grafie und hervor­ragendem Perso­nen- wie Werkregister wirft Rampe ein neues Licht auf den zu Unrecht Ver­gessenen im Schatten Bachs. Das Musikleben un­serer Tage sei einseitig auf Bach fokussiert, an den Telemann nicht heran­zureichen scheine; in Wirklichkeit sei es jedoch gerade umgekehrt: Bach komme nicht an die Universalität Telemanns heran, so Rampe.

 

 

Siegbert Rampe bekennt sich zu seiner Telemann-Verehrung und er nennt sein Ziel­publikum: „Mein Buch ist von einem Musiker für Musiker, Musikliebhaber und Musik­wis­senschaftler geschrieben. Um es zu verstehen, sind keinerlei Fachkenntnisse erforderlich. Die Biographie verzichtet darauf, einen wissenschaftlichen Diskurs zu führen zugunsten einer ausführlichen Lebensbeschreibung.“

 

In der Tat ist Rampes Telemannbiographie leicht und angenehm lesbar. Und Rampe hat als Bio-graph ganze Arbeit geleistet, indem er die Lücken in der vorhandenen Telemannbiografik gewis-senhaft gefüllt und Irrtümer bereinigt hat. Er hat gründlich recherchiert, Archive und Bibliotheken durchforstet, um Kindheit und Jugend in Magdeburg, Zellerfeld und Hildesheim,  das Studium in Leipzig und den weiteren Lebensweg Telemanns so detailliert zu beschrei­ben wie keiner vor ihm: Die Kapellmeisterstellen in Sorau, Eisenach und Frankfurt am Main, schließlich das Leben Tele-manns in der Hansestadt Hamburg. Ganze 46 Jahre lang, von 1721 bis 1767, war Telemann Ham-burgs Musikdirektor. Er blieb bis zu seinem Tod im damals biblischen Alter von 86 Jahren in Amt und Würden, zog sich aber mehr und mehr zurück: in sei­nen Blumengarten, den er vor den Toren der Hanse­stadt angelegt hatte. Mit Händel in London tauschte er per Post Blumenzwiebeln aus.

 

Was Rampes Telemannbiografie bemerkenswert macht, dass auch alltägliche, menschlich-allzu menschliche Seiten des Komponisten konkret zur Sprache kommen: der Ver­lag Telemanns, sein Ehedrama, seine rege Reisetätigkeit, schließlich seine Persönlich­keit und sein Charakter. Er sei ein Selfmademan und ein Work­aholic gewe­sen, meint Rampe, ein geschickter Verhand­­lungspartner, wenn es ums Geld ging, ein har­ter Macher, was seine Projekte anging, aber doch mit weichem Kern und war­mem Herzen. Rampe porträtiert Telemann subtil und einfühlsam als sympathi­sche Künstler­persönlichkeit, deren Narziss­mus begrenzt gewesen zu sein scheint . Man liest diese Bio-grafie mit Freude, erfährt eine Menge und versteht nach der Lektüre dieses Maß­stab­ setzenden Buches Telemanns Zeit, seine  Musik, aber auch die seiner Zeitgenossen  besser als vorher.

 

Buchrezension für Deutsche Mozart Gesellschaft / Crescendo