Goethe-Theater Bad Lauchtädt

Photos privat / Goethe-Theater Bad Lauchstädt

 

Titus auf Goethes Spuren oder Glück im einstigen Kurbad 

Vor zweihundert Jahren eröffnete Goethe das Weimarer Sommertheater in Bad Lauchstädt. 

 

Mozart: “La Clemenza di Tito”

Premiere am 26.6.2002. Musikalische Leitung: David Heusl., Inszenierung und Ausstattung: Pet Halmen, Chor: Helmut Sonne, Solisten: Nils Giesecke (Tito), Romelia Lichtenstein (Vitellia), Anke Berndt (Servilia), Ulrike Schneider (Sesto), Jordanka Milkova (Annio), Gerd Vogel (Publio).

 

 

 

Als Goethe am 26. Juni des Jahres 1802 mit einer eigenen Inszenierung des Mozartschen „Titus“ das neue Sommertheater in Bad Lauchstädt ein­weihte, hat wohl niemand damit gerechnet, dass das kleine Haus im damaligen Luxus- und Modebad Bad Lauchstädt, wohin die erlauchte und betuchte Aristokratie des Heilwassers wegen reiste, noch in 200 Jahren bespielt werden würde. In der Tat gleicht es einem Wunder, dass das hölzerne Gastiertheater auf dem Lande, inmitten ehemaliger DDR-Abraumhalden und Industriekombinate samt reizendem Kurparkensemble die Kriege und Zeiten, Sozialismus und Wende unbeschadet überstanden hat. Inzwischen hat sich das Land Sachsen-Anhalt verpflichtet, das Juwel Bad Lauchstädt - westlich zwischen Halle und Leipzig gelegen - mit seinem authentischen Goethe-Theater als eines der wenigen noch erhal-tenen Theater mit intakter, hölzerner spätbarocker Bühnenmaschinerie zu erhalten und zu för-dern. Ein Theater, das in Deutschland seines­gleichen sucht, es ist eines der neun überhaupt noch erhaltenen Barocktheater Europas.


Es war nicht nur Vergnügen, als Goethe, er war als Geheimer Rat gewissermaßen der Finanz­minister des Herzogs von Weimar, als Nachfolger Joseph Bellomos, dessen nicht sehr erfolg-reiche Weimarer Theatertruppe von Herzog Carl August zugunsten einer eigenen Hof­thea­ter­gesellschaft abserviert wurde, das Amt des Theaterdirektors angetragen wurde. Immerhin musste Goethe zur Unterhaltung der Weimarer Kurgäste im „Ausland“ ein Theater bauen, denn Bad Lauchstädt befand sich ja in Kursachsen. Der bürokratische Aufwand war denn auch be-trächtlich, vier Jahre beanspruchte der bürokratische Weg, der Bau des Theaters nur drei Mo-nate. Goethe ließ, um die Weimarer Kulissen problemlos übernehmen zu können, in Bad Lauch-städt kurzerhand eine Kopie des bewährten Weimarer Komödienhauses bauen. So kann man sich in Bad Lauchstädt heute noch ein genaues Bild davon machen, wie man in Weimar Theater spielte, zumal das Bad Lauchstädter Haus (im Gegensatz zu Weimar) nie zerstört wurde, auch wenn mehrfach an ihm herumgebaut und es immer wieder verunziert wurde. Man restaurierte es 1907, dann noch einmal zur Goethefeier 1932 und schließlich zum 150-jährigen Bestehen des Hauses 1953. Preußische Regierung und DDR-Nomenklatura forderten immer wieder - formal aus Sicherheitsgründen - den Abriss des Fachwerkgebäudes mit seiner hölzernen Bühnen­ma-schinerie. Doch es gab gottlob zu allen Zeiten Freunde und Beschützer dieses einzigartigen Hauses. 1966-68 wurde es wieder in den ursprünglichen Zustand der Goethezeit zurückgebaut. Letzte Feinheiten, vor allem der Innenausmalung und der zeltartigen Leinwanddecke wurden nach der Wende, 1991 rekonstruiert, nicht zuletzt dank der Deutschen Stiftung Denkmalschutz und des persönlichen Einsatzes Hans-Dietrich Genschers. Die Renaissance des Goethe-Theaters Bad Lauchstädt, die nach der Wende einsetzte, als nach und nach Ensembles historischer Auf­führungs­praxis das schöne Haus für Aufführungen barocker und frühklassischer Werke des Mu-siktheaters entdeckten, ist so erfreulich wie der Publikumszuspruch, von dem die vergessene, abgelegene Kleinstadt heute lebt.

 

 

Pet Halmen, Ausstatter und Regisseur der Jubiläums-Produktion des Mozartschen „Titus“ hat sich in den Kopf gesetzt, die Situation auf der Bühne nachzustellen, die sich vor 200 Jahren in Bad Lauchstädt ereignete, Theater auf dem Theater, Goethe „Titus“ in Bad Lauchstädt in Szene setzt. Halmen zeigt also, wie der Geheime Rat Goethe inszeniert und sich allmählich in Publius verwandelt. Wenn auch nicht konsequent durchgeführt, so ist die Inszenierung doch eine schöne Goethe- Hommage und eine optisch opulente Huldigung an die Antikenleidenschaft des Klassi-kers auf der Bühne. Halmen inszeniert das höfische Intrigenstück über die Ungeliebtheit des Kaisers, den alle hinter­­gehen und verraten, und der am Ende statt tyrannischer Bestrafungen eine über­menschliche Milde walten lässt, zwischen Antikenbüsten, wie im Antikensaal der Münch-ner Glyptothek. Goethes berühmter Junokopf, aus seinem Weimarer Haus am Frauenplan wird zum Thron des Titus. Der umgibt sich reichlich mit Obelisken und antiker Bildhauerkunst. Die handelnden Hauptfiguren agieren in antikischen Rüstungen, der Chor tritt auf wie lebendes Bildpersonal Johann Heinrich Füßlis. Dass jeder Agierende sein Spiegelbild als Büste vor sich herschiebt und wie sein marmornes alter ego ansingt, leuchtet nicht besonders ein, stört aber auch nicht. Es ist eben ein ironisch liebevolles Spiel mit der Antike und der Antikenleidenschaft. Ein schwarzer Raum, dessen Hinterwand sich immer wieder durch vergoldete Türen öffnet, gibt den Blick frei auf Prospekte eines künstlichen Arkadien. Die Ausstattungsoper, zu der Pet Hal-men die Huldigungsoper an Kaiser Leopold bzw. Goethe ausstattet, hätte freilich auf die ge-schmäcklerische Zuspitzung seines Bildeinfall des Goldenen Zeitalters mit Kentauren, Bacchan-ten und weißen Wattewölkchen bei Titus´ Entscheidung zur Mildtätigkeit verzichten können. Immerhin führt Halmen in offenen Ver­wandlungen bei synchroner Ober- und Untermaschinerie mit hängenden Soffitten und Seitenkulissenwagen die bewundernswerten technischen Möglich-keiten der spätbarocken hölzernen Theater­maschinerie Bad Lauchstädts demonstrativ und sehenswert vor.

 

Aber die Fest-Aufführung war auch hörenswert: Romelia Lichtenstein sang eine virtuose, ja furiose Vitellia mit schauspielerischem Hochformat, die junge Mezzosopranistin Ulrike Schnei-der einen feurigen, geradezu imposanten Sesto. Der feine, vielseitige Tenor Nils Giesecke, sängerisches Urgestein des Opernhauses Halle, kann - obwohl eines der ältesten En-semblemitglieder des Hauses - noch immer einen kultivierten, klangschönen Titus singen, erstaunlich. Das Opernhaus Halle hat insgesamt ein vorzügliches, geschlossenes Sängeren-semble aufgeboten, wie es auch in hauptstädtischen Mozart­produktionen nur selten zustande kommt. David Heusl hat mit kleiner Besetzung einen federnd straffen, glasklaren und anspringend intelligenten, erfrischend unkonventionellen Mozart dirigiert.


Beitrag in „Opernwelt“