Spoliansky in Dresden und Mannheim

Photo: Klaus Gigga                                                                                       Photo: Hans Jörg Michel

Über die Schwierigkeit, Spoliansky auszugraben

Zwei Versuche in Mannheim und Dresden


Er hat für die bedeutendsten Diseusen, Schauspielert und  Schlagersänger seiner Zeit geschrieben, für Margo Lion, Trude Hesterberg und Blandine Ebinger, aber auch für Marlene Dietrich, Max Hansen, Paul Graetz, für Curt Bois, Richard Tauber und Jan Kiepura. Die Kabarettmusiken, Schlager, Operetten und Revuen Spolianskys zählen zum Besten und Frechsten, was die sogenannte „Leichte Muse“ vor der radikalen  Kulturzerstörung wagte, die die Nationalsozialisten mit der Eliminierung der jüdischen Künstler zu verantworten hatten. Nach dem Zweiten Weltkrieg war Spoliansky vergessen. Nur gelegentlich erinnern sich die Theater an ihn. Am zurückliegenden Wochenende (20./21. Januar 2017) gab es gleich zwei Spoliansky-Ausgrabungen. In Dresden brachte man die Burleske "Alles Schwindel" heraus und in Mannheim die Kabatrettrevue "Wie werde ich reich und glücklich".



Mischa Spoliansky wurde als Komponist des Kurfürstendamms gefeiert. Vom Ende der Zwanzigerjahre bis 1933, als er vor den Nazis nach England floh, war das musikalische Wun-derkind russisch-jüdischer Emigranten  zum Star des heiter-satirischen Musiktheaters in Ber-lin aufgestiegen. Gemeinsam mit seinen Librettisten Marcellus Schiffer und Felix Joachimson hat er die legendären Berliner Kabaretts, das "Grössenwahn", die "Wilde Bühne" und das "Schall und Rauch" mit Musik und Sujets beliefert, die in der Luft lagen, hat Zeitfragen und Großstadtthemen, Allerweltssujets und Alltagsprobleme ganz normaler Menschen  auf die Bühne gebracht..


Die Burleske "Alles Schwindel" aus dem Jahre 1931 macht sich lustig über zwei Hochstapler, die sich per Heiratsanzeige finden, und als mehr ausgeben, als sie sind. Ein geschickt geweb-tes Spiel mit Identitäten, eine bissige Abrechnung mit Berliner Bürgerlichkeit und mit dem Zeitgeist jener Dreißigerjahre des 20.Jahrhunderts, die für Viele eine Rutsch-, wenn nicht gar eine Achterbahn waren. Wer die erhaltenen Originalaufnahmen aus der Zeit Spolianskys ge-hört hat, wundert sich, dass sich die Semperoper auf ihrer kleinen Bühne 'Semper Zwei' dazu entschlossen hat, das Stück ausschließlich mit Opernsängern zu besetzen. Max Renne, der das Stück für kleines Salonorchester arrangierte und vom Klavier aus leitet, bekannte mir, dass er sich im Klaren darüber sei, dass es in eine opernhafte Richtung gehe, aber es mache dennoch Spaß.

 

Leider zündet der Spaß nicht wirklich, denn die überwiegend jungen Opernsänger dieser Pro-duktion tun sich schwer mit Nuancen, subtilem Wortwitz und präziser Textbehandlung. Sie chargieren drauflos, dass es nur so kracht, singen und spielen ohne Verständnis für Scherz, Satire und Ironie, die der seichten Oberfläche dieses Genres erst seine  tiefere Bedeutung geben. Auch der junge Regisseur Malte Lachmann schafft es nicht, den bitterbösen Witz des  Stücks szenisch zu reanimieren. "Alles Schwindel". Eben. Der Abend auch. Er ist gähnend langweilig. Die Aufführung ist ein Schwindel, sängerisch, regielich, musikalisch.  Man glaubt niuemandem auf der Bühne so recht.


Wer Spoliansky heute aufführen will, steht vor vielen Problemen: Es ist alles andere als ein-fach, der Mischung aus deutschem Schlager, Jazz und  lateinamerikanischer  Tanzmusik ge-recht zu werden. Wo geeignete Sängerdarsteller für diese diffizile Ausdruckskunst finden, die nach singschauspielerischer Leichtigkeit und Eleganz, Raffinement und Esprit verlangt.  Wie mit dem unzureichenden musikalischen Material umgehen? Erhalten sind ja meist nur Kla-vierauszüge. Man muss das Stück jeweils neu arrangieren.


Die Mannheimer Spoliansky-Ausgrabung der Kabarett-Revue "Wie werde ich reich und glücklich", die 1930 im Berliner Theater am Kurfürstendamm uraufgeführt wurde, schafft es zwar auch nicht, "authentischen" Spoliansky auf die Bühne zu bringen, von Revue keine Spur. Aber man wohnt wenigstens einem klug gemachten, performativen Theaterabend bei, der den Zuschauerraum und das  Publikum mit einbezieht und über enormes Lachpotenzial verfügt.  Er beglaubigt die verspielte Intelligenz des Unterhaltungsgenies Spolianskys.


Die Kabarett-Revue "Wie werde ich reich und glücklich" erzählt die irrwitzige, tragikomi-sche Geschichte eines Hochstaplers im Konkurrenzkampf der freien Marktwirtschaft  in-mitten der Weltwirtschaftskrise. Das Stück traf 1930 den Nerv der Zeit. Die Uraufführung erntete Jubelstürme, kurz darauf wurde das Stück verfilmt. Leider ist der Streifen nicht erhalten. Das Inszenierungsteam Jan Dvorak, Thomas Fiedler und Julia Warnemünde, auch bekannt als Theaterkollektiv 'Kommando Himmelfahrt', kam auf die Idee, diese Lücke der deutschen Filmografie zu schließen und inszeniert die Rekonstruktion des historischen Musikfilms in nachgestellter Tonfilmästhetik von damals.


Der Zuschauer erlebt Wohl und Wehe der Filmarbeit am Set vor und hinter der Kamera. Ku-lissen und Dekorationen werden hin- und hergeschoben. Ein Kamerateam setzt alles ins rechte Bild. Man kann  das Filmen und das Gefilmte auf großer Videoleinwand gleichzeitig verfolgen. Es gibt witzige Dialoge. Ein etwas geschwätziger Regisseur namens Dr. Pausback, er wird von Matthias Bernhold gespielt, führt als Conférencier durch den Abend, wendet sich immer wieder ans Publikum, ändert mehrfach das Drehbuch, bringt das Filmteam zur Ver-zweiflung und das Publikum gelegentlich zum Gähnen. Der Star des Abends ist Merten Schroedter als  Faktotum (Abendspielleiter) des Filmteams, Herr Müller, der das Nummern-girl ersetzt, das nicht  am Set erscheint. Er schlüpft in immer neue Frauenkostüme und Rol-len. Es gelingen ihm lachmuskelerschütternde Travestienummern. Köstlich, wie dieser Komiker Tonfall, Mimik und  Gestik wechseln kann: Ein Idealfall von singendem Schau-spieler in einem insgesamt überzeugenden Ensemble erfreulich unopernhaft singender Opern-sänger. Das adäquate Singen – eher vom Sprechen kommend - ist die notwendige Voraus-setzung für eine glaubwürdige Revitalisierung dieses Genres heute. Die Stoffe sind so aktuell wie damals.


Dass der Spoliansky-Abend in Mannheim auch musikalisch weder langweilig, noch anspruchslos wurde, dafür sorgte der australische Dirigent Matthew Toogood am Pult. Das Orchester des Nationaltheaters Mannheim spielte gemeinsam mit einem Jazzensemble die vom Produktionsteam Kommando Himmelfahrt eigens erarbeitete Neufassung des Stücks mit Verve und Feingefühl. Ein unterhaltsamer Balanceakt auf dem schmalen Grat zwischen slawischer Melancholie und schmissiger Großstadtmusik der 'Roaring Twenties', senti-mentaler Spätromantik und "Gegenwart", der das Geheimnis des Erfolgs Spolianskys ausmacht.


Beiträge auch in DLF und SWR