Anton Seljak Richard Wagner und das Judentum

Anton Seljak: Richard Wagner

und das Judentum


Nichts Neues

Gutgemeint, überflüsig, ärgerlich!

Aus Anlass der gegenwärtigen Bayreuther Festspiele sind viele Neuerscheinungen zum Thema Richard Wagner erschienen. Darunter ist auch die Veröffentlichung eines gebundenen Essays zum Antisemitismus Richard Wagners. Sie scheint interessant, zumal alle diesbezüg-lichen Publikationen der letzten 20 Jahre Jahre auf dem deutschen Büchermarkt inzwischen vergriffen sind. Der Autor ist der 1968 gebo-rene Historiker Anton Seljak, der an den Universitäten von Basel und St. Gallen als Forscher und Lehrer tätig ist. Der Titel seiner dünnen Publikation: „Richard Wagner und das Judentum. Feindschaft aus Nähe?“


Der Stadtschreiber Beckmesser in Wagners „Meistersingern“ ist immer wieder zu einer vermeintlichen Judenkarikatur Wagners erklärt worden. Ein Missverständnis! Wie man in den Tagebüchern Cosimas lesen kann, hat Wagner hat es eindeutig aus dem Weg geräumt, als er diese pedantische Figur „den Deutschen ins einem wahren Wesen“ nannte. Es ist eines von vielen Vorurteilen und Missverständnissen, de-nen Wagner bis heute ausgeliefert ist. Anton Seljak weist zurecht darauf hin, dass Wagners Bühnenfiguren nur „durch die Subtextua­lisie-rung von Wagners musikalischem Oeuvre auf der Grundlage seiner Texte zur jüdischen Frage“ als Judenkarikaturen gedeutet werden können. In diesem Punkt nimmt er die Ergebnisse der Wagnerforschung zur Kenntnis und vermittelt sachlich zwischen den noch immer ideologisch aufgeladenen und verhärteten Fronten in der Wagnerdebatte.  In anderen Fällen läßt er sie leider außer Acht.


Beispielsweise bei der Behandlung von Wagners Schrift „Das Judentum in der Musik“. Dass Wagner wesentlich auf der Tradition des frühsozialistischen Antisemitismus als Antikapi-talismus aufbaut und zentrale Teile seines Textes wortwörtlich aus Karl Marxens Entgeg-nungsschrift auf Bruno Bauers „Zur Judenfrage“ abgeschrieben hat, verschweigt Anton Seljak. Auch, dass Wagners Verhältnis zum Ju-dentum sich im Laufe seines Lebens gewandelt hat. Schließlich hat Wagner, gegenüber Cosima am 22. November 1878, fünf Jahre vor seinem Tod, geäußert: „Wenn ich noch einmal über die Juden schriebe, würde ich sagen, es sei nichts gegen sie einzuwenden“. Nicht zu reden von seinen pazifistischen Spätschriften.



Wenn Anton Seljak Wagner der „Überhöhung der nordisch-germanischen Mythologie, angereichert mit einer pervertierten christ-lichen Dogmatik“  bezichtigt, geht er Wagners Verkleidungstheater auf den Leim. Es darf daran erinnert werden, dass der große Kenner der griechischen Sprache und Literatur, Wolfgang Schadewaldt, schon 1962 erkannte, dass Homers „Odyssee“ – wie auch die antike Tragö-diendichtung – die Dramaturgie von Wagners »Ring« mehr geprägt hat, als die Edda oder die Völsunga Saga.  Und die wesentlichen Konflikte in Wagners Musikdramen und Opern sind europäisch-moderne, vormärzlich-revolutionäre.  


Der israelische Historiker Jakob Katz hat schon in seinem 1985 erschienenen, wichtigen – von Anton Seljak allerdings unerwähnten - Buch „Richard Wagner, Vorbote des Antisemitismus„ gefordert: "Die Beachtung der chronologischen Reihenfolge in der Dar­stellung und Deutung der Ereig­nisse ist die erste Pflicht des Historikers, die auch in diesem Fall unter Überwindung der verständlichen Wider­stände streng einzuhalten ist." Es ist ein Irrtum ist, zu glauben, es führe ein direkter Weg von Wagner zu Hitler oder gar, Wagners Antisemitismus habe den Hitlerschen vorweggenommen bzw. vorbereitet, wie immer wieder behauptet wird. Insofern kann man Anton Seljak nur zustim-men, wenn er darauf hinweist, das  Hitler „Wagner zwar zu einer, ja der Kultfigur des Dritten Reiches“ erhoben,  sich „aber an keiner ein-zigen Stelle auf Wagners antisemitische Theorien“ bezogen habe. Auch hat er recht, wenn Hitlers Wagnerkult als Miss­brauch versteht und dessen Identifizierung beispielsweise mit „Rienzi“ als bloße Instru­mentalisierung, um „aus ihm das Gefühl der Erwähltheit“ zu destil-lieren. Nur, auch diese Feststellung ist nicht neu.


Richard Wagner ist, wie schon Friedrich Nietzsche erkannte, ein „deutsches Missverständ-nis“. Martin Gregor-Dellin hat diese Einsicht 1983 auf die Formel gebracht: „Das gestörte Verhältnis der Deutschen zu Richard Wagner ist das gestörte Verhältnis zu ihrer Geschichte.“

Anton Seljak bemüht sich zwar redlich darum, "zu historischem Verständnis aufzurufen und Einsicht walten zu lassen,“ was nicht bedeu-tet. „abzustreiten und zu verniedlichen, was geschah", wie es der Historiker Peter Gay 1986  in seiner bemerkenswerten – leider von  Sel-jak ebenfalls unerwähnten  - Studie „Freud, Juden und andere Deutsche“ anmerkte. Aber Seljaks Darstellung greift doch entschieden zu kurz. Sie ignoriert wichtige Publikationen und behandelt das große Thema nur streiflichtartig.


Viele Probleme und Fragen, biographische, werkim­manente und rezeptionsgeschichtliche, werden vernach­lässigt. Auch seine Hauptthese, dass Wagners theoretische Juden-Feindschaft, seine praktische Judenfreundschaft sowie die Wagnerbegeisterung vieler Juden sich aus einer psychologischen Affinität Wagners zu allem Jüdischen erkläre, Seljak spricht von „Nähe“, ist alles andere als neu. Seit Friedrich Nietzsches 1888 in die Welt gesetzten Bonmot: „Sein Vater war ein Schauspieler namens Geyer. Ein Geyer ist beinahe schon ein Adler“ (Nietzsche hat diese bösartige, folgenreiche Behauptung später zurückgenommen), über Paul Bekker bis hin zu Theodor W. Adorno ist diese These – auch die vom „jüdischen Selbsthass“ immer wieder vertreten worden: Nur, dass Wagners leiblicher Vater tatsächlich der Leipzier Polizeiaktuarius Carl Friedrich Wilhelm Wagner gewesen ist und dass Geyer nie ein jüdischer, sondern ein rein protestantischer Name ist (wie Otto Bournot schon vor mehr als hundert Jahtren nachwies).  Aber auch diesen Zusammenhang verschweigt Anton Seljak.


Fazit am Ende seines Essays, dass „Wagners Antisemitismus in sich widersprüchlich und vieldeutig“  bleibt,  ist zwar richtig. Aber auch diese Einsicht ist mitnichten neu. Sie war schon in anderen, gewichtigeren Veröffentlichungen zu lesen, fast wortgleich. Diese Veröffentli-chungen  werden jedoch nicht einmal in der Bibliographie des Bändchens genannt. Insofern erweist sich das Büchlein, das sehr geschickt eine derzeitige Marktlücke der Wagnerliteratur nutzt, um auf seinen Autor aufmerksam zu machen, als überflüssiges Ärgernis. Auch wenn es gut gemeint sein mag und sich um die Versachlichung einer unsachlichen Debatte bemüht.    

 

Buchrezension in  SWR 2 Musik aktuell, 05.08.2011