Die Großherzogin von Gerolstein. Kosky

Photo:  Monika Rittershaus / Komische Oper Berlin

                             

"zweieinhalb Stunden kompletter Blödsinn"

Es darf chargiert und geschwuchtelt werden, dass sich die Balken biegen.


Premiere 31. Oktober 2020, Vorabend des zweiten Corona-Lockdowns

 

Man muss nicht an die fulminante Pariser Produktion von Laurent Pelly und Marc Minkowski mit Felicity Lott denken, eine Sternstunde heiter-satirischen Musiktheaters, um die neuste Offenbach-Interpretation von Barrie Kosky als – mit Verlaub gesagt – arge Offenbach-Verhunzung zu empfinden.


Kosky versprach am Ende seiner geharnischten, coronapolitikkritischen Eröffnungssuada, das geneigte Publikum werde "zweieinhalb Stunden kompletten Blödsinn" erleben. Dieses Versprechen hat er gehalten! Nur: (höherer) Blödsinn kann auch Niveau, Intelligenz & Geist haben. Zumal bei Offenbach. Doch Koskys Blödsinn ist erschütternd-banales, ja kreischiges, klischeehaftes Tuntentheater zwischen Travestie und Muppetshow. Es darf chargiert und geschwuchtelt werden, dass sich die Balken biegen. Man trippelt und tänzelt auf lächerlichste Weise herum.

Im Programmheft bekennt Barrie Kosky, dass er die „Großherzogin von Gerolstein“ „…mit einem Schuss Bette Midler“ präsentieren werde. Entsprechend tritt sie auf, en Travestie. Tom Erik als Premierenbesetzung spielt Bette Midler, mit hochgesteckter, roter „Hocus Pocus“-Perücke und aufgedonnerter natoolivgrüner Riesenkrinoline. Er /sie darf auch mal als weißer Sissi-Verschnitt oder im Smoking wie Marlene Dietrich auftreten. Der gebürtige Norweger spricht durchweg und heftig gestikulierend in seiner Muttersprache. Was soll der Gag?  Baron Puck übersetzt eifrig.  Gelegentlich gibt es Übersetzungen aus dem Off. Jens Larsen gibt den General Bumm in Hermann-Göring-Anmutung. Ivan Turšic singt unauffällig brav und ohne Sexappeal den Soldaten Fritz, der von der Großherzogin aus Verliebtheit zum General befördert wird, mit fast unverständlichem Tenor. Warum ausgerechnet ihm die Großherzgin verfällt, bleibt rätselhaft. Vielleicht wegen seines viel beschworenen, bzw. besungenen großen Säbels; Doch stattdessen zieht er einen kleinen Dolch aus seinem Hosenschlitz. Einer der der vielen abgeschmackten Gags dieser verulkten Inszenierung. Nicht minder peinlich ist der Einfall, dass die Großherzogin zwischendurch immer wieder schnarchend in Schlaf fallen darf. Slapstick, der nicht gelingt, der schläfrige Zustand überträgt sich auf manchen Zuschauer.


Die einzige weibliche Bühnenfigur ohne Genderverbiegung ist Alma Sadé als Wanda, die in ihrem übergroßen Biedermeier- Kurzreifrock, gern ihre darunter versteckten  Reize offenbart. Leider singt sie mit ihrem quietschenden Koloratursopran besonders routiniert. Man versteht kaum ein Wort von ihr.  Bumm, Baron Puck und Baron Grog treten in Fatsuits wie aufgeblasene Ballons auf. Das Militär in gigantischen Reifröcken („Abstandskostüme“). Es tanzt anzüglich Cancan in knappen gelben Höschen aber auch in blauen Paillettenkostümen.  Und immer wieder Stillstand. Es darf wohl als Koskys Bemühen verstanden, den Lockdown mit einzubauen. Es verleiht der ohnehin langatmigen Aufführung allerdings nicht gerade zu Kurzweil.


Das Publikum wird in dieser Verblödelung um die deftige Gesellschaft- und Militärsatire, die Offenbach 1867 zur damaligen Weltausstellung mit seinen unübertrefflichen Librettisten Henri Meilhac und Ludovic Halévy für seine Primadonna Hortense Schneider komponierte, gründlich betrogen.


Auch musikalisch zündet diese alberne, verharmlosende Offenbach-Produktion auch musikalisch nicht. Die Orchesterbesetzung ist kastriert, ja skelettiert, eine fragwürdige Bearbeitung Offenbachs. Die junge russische Einspringer-Dirigentin Alevtina Ioffe geht den in ausgedünnter Besetzung deutlich bläserlastigen Offenbach zwar flott an, aber es wackelt an allen Ecken und Enden, sie hat größte Mühe, den „Laden“ auf und unter der Bühne zusammen zu halten. Die Wortunverständlichkeit fast aller Sänger ist gerade bei Offenbach, wo es auf die Nuancen des Textes ankommt, besonders bedauerlich. Von der neuen Übersetzung von Stefan Troßbach versteht man höchst wenig. Die uninspirierte wie unpräzise Choreografie Damian Czarneckis ist so langweilig wie die Produktion als Ganzes, die das fragwürdige Niveau des gefeiertsten Opernhauses der Hauptstadt deutlicher denn je offenbart. Kosky gestattet sich auf leerer, aber immerhin effektvoll ausgeleuchteter Bühne (Licht: Franck Evin) eine Inszenierung ohne Bühnenbild. Hervorstechende Requisiten sind ein Paar Kinderstühlchen und ein überlanges Sofa sowie Sektgläser, aus denen in Zeitlupe geschlürft wird.  Es darf gegähnt werden.


Am Ende verkündet die Großherzogin die Moral von der Geschichte: „Wenn wir nicht haben, was wir lieben, müssen wir lieben, was wir haben.“ Etwas wenig für einen zweieinhalbstündigen Blödsinn, auch wenn Kosky den Spruch als Botschaft in Corona-Zeiten für angemessen und tröstlich halten mag. Am originellsten war noch, was er in seinen zwei selbstgefälligen (!) Ansprachen vor und nach der Aufführung vorschlug: Die Komischen Oper zu einer Synagoge zu erklären und damit das Verbot des Theaterspielens in Corona-Zeiten zu unterlaufen.


Artikel auch in "Das Orchester"