Die W. Felsenstein Edition

Das Felsenstein-Buch von Götz Friedrich, einem seiner Schüler

Die Felsenstein-Edition in neuem, handlicherem Format

Zwischen Berührtheit und Unbehagen – Das Theater Walter Felsensteins

Die Legende Walter Felsenstein und die Legende "realistisches Musiktheater"


Walter Felsenstein Edition. 12 DVDs und Buch
Arthaus: AH101305
 

Er ist längst ein Mythos, der Regisseur Walter Felsenstein. Doch der Name des legendären Regis-seurs und Gründervaters der zweiten Komischen Oper Berlin, die er bis zu seinem Tode 1975 lei-tete, ist für viele, zumal jüngere Musik- und Theaterliebhaber nur noch ein Name.  Jetzt ist eine Edition auf 12 DVDs erschienen, die dazu taugt, den Mythos Felsenstein anhand von sieben Inszenierungen in Augenschein zu nehmen und zu überprüfen.


Jacques Offenbachs "Blaubart" war die letzte Produktion Walter Felsensteins, die man an dessen Komischer Oper Berlin sehen konnte, bis 1992, dann wurde es still um ihn an „seinem“ Haus, er wurde zur historischen Figur, seine Inszenierungen endgültig zu Theater-Legenden.  


Rückblick: Im Jahr 1947 begann mit der zweiten Gründung der „Komischen Oper“ durch den schon damals berühmten österreichischen Regisseur Walter Felsenstein ein neues Kapitel in der Geschichte des Gebäudes. Die erste hatte Hans Gregor an der Weiden-dammer Brücke 1905 ge-gründet. Felsenstein erhielt das Haus des ehemaligen Metropoltheaters, eines reinen Operetten- und Revuetheaters, von der sowjetischen Mili-täradministration mit dem Auftrag, darin ein Ope-rettentheater zu installieren. Er dachte gar nicht daran. Der Name „Komische Oper“ war listig gewählt. Er wollte im Grunde ein eigenes Opernhaus. Wie auch immer: Mit der Arbeit Walter Felsensteins, der bis zu seinem Tode 1975 Intendant und Chefregisseur des Hauses war, erlangte die Komische Oper weltweite Anerkennung als Geburtsstätte des modernen Musiktheaters. Aber wer kennt ihn heute noch, oder seine Inszenierungen? Glücklicherweise sind einige auf Zelluloid erhalten.


Im sechzigsten Jahr des Bestehens der komischen Oper ist nun eine opulente Box herausge-kommen, die 5 Opernfilme Walter Felsensteins enthält, die im Auftrag des Deutschen Fernseh-funks der DDR bei der DEFA in Babelsberg gedreht wurden, in den Sechziger- und Siebziger-jahren: Offenbachs „Hoffmanns Erzählungen“ sowie „Ritter Blaubart“, Janáčeks „Schlaues Füchslein“ (von 1965, noch ganz als sommernachts-traumhafter Schwarzweißfilm gedreht), Mozarts „Hochzeit des Figaro“ und Verdis „Othello“. Auch Felsensteins „Fidelio“-Film ist dabei, er wurde wie ein Spielfilm an Originalschauplätzen, einer Burg bei Wien, schon 1956 gedreht. Darin geht Felsenstein in seiner psychologischen Personenführung so weit, Fidelios eigenes Spie-gelbild zweigeschlechtlich zu zeigen. Die Sänger singen zuweilen, wie im Quartett des ersten Aktes, mit geschlossenem Mund, sie singen quasi innere Monologe in einer noch postex-pressio-nistischen Filmästhetik!


Nicht nur der „!Fidelio“- Film, der sich in unsagbar schlechtem Zustand befand: Alle Filme dieser Edition sind in digitaler, aufwändig bild- und klangrestaurierter Fassung zu sehen und zu hören: Erstaunlich, was technisch machbar ist. Aufschlussreich sind vor allem die beiden einzigen Büh-nenmitschnitte der Aufführungen von Mozarts „Die Hochzeit des Figaro“ und „Don Giovanni“. Der Bühnenregisseur Felsenstein war zweifellos besser als der Filmregisseur Felsenstein. Für die besonders Neugierigen unter den Felsenstein-Verehrern gibt es reichlich Bonusmaterial, darunter Konzeptschriften und Fotogalerien, handschriftlich eingerichtete Regieauszüge mit Tonbeispielen, Bühnenbildentwürfe, Figurinen, Skizzen und Wochenschauen von diversen Felsenstein-Insze-nierungen. Was die Filme angeht, so sind deren Beschriftungen leider ungenau und es fehlen exakte Datierungen.


Auch sind die 12 DVDs auf dicken Pappdeckeln im unpraktischen LP-Großformat montiert. Die wiederum liegen in einem Karton, aus dem man sie nur schwer entnehmen kann. Ein hundert-seitiges Buch enthält viel biografisch Informatives, aber auch viel Weihrauch und Verklärung. Alte, zu DDR-Zeiten entstandene Felsenstein-Märchen werden da erneut aufgewärmt, nicht zuletzt auf Betreiben der „Erbengemeinschaft Walter Felsenstein“, in der sich der Kapitän und Schauspieler Christoph Felsenstein, der älteste Sohnes des Regisseurs, besonders hervortut. Umso interessanter ist das historisches Tonmaterial der Edition mit Reden und Interviews von Walter Felsenstein. Ein ausführl-iches Interview erläutert beispielsweise die Entstehung des "Othello-Films".


Und doch, gerade beim neuerlichen Ansehen des Othello-Films gerät der Mythos Walter Felsen-stein ins Wanken. Für heutige Augen wirken die Regietaten Felsensteins etwas antiquiert und in ihrer Ästhetik zeitgebunden, mitunter sogar peinlich, nicht nur was Dekor und Kostüme angeht. So manches ist unfreiwillig komisch, um nicht zu sagen fast parodistisch für heutige Augen. Auch die sängerischen Defizite der meisten Felsenstein-Protagonisten lassen sich einfach nicht über-hören. Bei aller Bewunderung: Vieles an Felsensteins Betroffen­heitstheater hyperagiler Bewe-gungen, weit aufgerissener Augen und großer Burgtheater-Gesten mag man heute nicht mehr sehen. Man ist beim Anschauen dieser DVDs hin- und hergerissen zwischen Berührtheit und Unbehagen. 


Wie auch immer man das filmische „Erbe“ Walter Felsensteins bewerten mag, die Edition fördert jedenfalls eine längst überfällige, sachlich-kritische Auseinandersetzung mit der Regielegende „Walter Felsenstein. Dank des großzügigen Sponsorings der Mercedes-Benz Automobil AG, Zürich, ist diese editorische Großtat möglich geworden. Noch immer herrscht ja ein weithin falsches, wo nicht gefälschtes Felsenstein-Bild vor. Vor allem der Begriff „realistisches Musik-theater“, den Felsenstein selbst gar nicht mochte, sollte endlich eliminiert werden. Und: Als Felsenstein an die Komische Oper kam, war er schon ein alter Mann und hatte seinen Zenit als Regisseur längst überschritten! Seine Glanzzeiten waren die 20er und 30er Jahre. Aber nichts davon ist in dieser Edition zu lesen.

 

RONDO, DLR, MDR