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Eine Glücksmoment des diesjährigen Rossinifestivals ist der „Barbiere di Siviglia“ in der Neuinszenierung des 88-jährigen Pier Luigi Pizzi. Er präsentierte ein narzisstisches Männerstück, einen turbulenten Zirkus männlicher Eitelkeiten
Photos: Studio Amati Bacciardi
Pier Luigi Pizzi beschert dem Rossini Opera Festival 2018 eine Sternstunde
Den Auftakt des 39. Rossinifestivals in Pesaro, dem Geburtsort Rossinis, bildete in diesem Jahr die Neuproduktion des dramma serio „Ricciardo e Zoraide“, das in Pesaro zuletzt1990 herauskam, noch von Altmeister Lucca Ronconi inszeniert. Es ist ein Alleinstellungsmerkmal des Rossinifestivals, dass es in kontinuierlicher Rotation das gesamte Werk Rossinis in immer neuen Inszenierungen präsentiert. Die diesjährige Produktion verantwortet Marshall Pynkoski. Er zeigt im Bühnenbild von Gerard Gauci und mit den Kostümen von Michael Gianfrancesco einen historisierenden maurischen Bilderbogen. Der Abend wird lang und – mit Verlaub gesagt – langweilig, denn außer hübschen Tableaus und gemalten Kulissen wie aus dem Opernmuseum gerinnt das konfliktreiche Kolonisierungs-Drama der Kreuzzugszeit in Nubien zu einem bloßen Ausstattungsstück, das durch zahlreiche – nicht eben aufregende - Balletteinlagen in der Choreografie von Jeanette Lajeunesse Zingg die Geduld des Publikums strapaziert. Am Ende gab’s Buhs für das Regieteam. Ovationen bekamen die Sänger. Vor allem die drei verblüffenden Tenöre der Extraklasse: Neben Juan Diego Florez Sergey Romanovsky und Xabier Anduaga. Die südafrikanische Sopranistin Pretty Yende bewies sich als Virtuosa des Rossinigesangs. Das nun zum zweiten Mal in Pesaro spielende Orchestra Sinfonica Nazionale della RAI zeigt sich allerdings unter der Leitung des jungen Dirigenten Giacomo Sagripanti von seiner spröden Seite. Auch das Dirigat der zweiten diesjährigen Neuproduktion, der einaktigen Farsa „Adina“, ist unter Leitung des venezu-lenischen Dirigenten Diego Matheuz musikalisch eine eher trockene Angelegenheit. Immerhin ist die Produktion sängerisch sehr überzeugend besetzt. Lisette Oropesa brilliert in der Titelpartie. Und auch in diesem Stück wartete man mit einem phäno-menalen Tenor auf. Der aus Südafrika stammende Levy Sekgapane singt schwindelfrei die stimmlich hochalpine, halsbrecherische Partie des Selimo.
Die Inszenierung des Stücks verantwortet die Regisseurin und Pianistin Rosetta Cucchi, deren Produktion auch beim Wexford Festival gezeigt werden wird. Das Stück, das Mozarts „Entführung aus dem Serail“ ähnlich ist, zeigt sie als neckische Buffa auf einer raumfüllenden, aufklappbaren Hochzeitstorte mit integralen Boudoirs. Artisten, Sta-tisten und ironisch überzeichnete, grellkomische Sängerfiguren nehmen jedoch den Kulturkonflikt des Stücks nicht ernst und verblödeln es, wenn auch auf hohem Niveau.
Eine Sternstunde des diesjährigen Rossinifestivals ist hingegen der „Barbiere di Sivig-lia“ in der Neuinszenierung des 88-jährigen Pier Luigi Pizzi. Er ist der Grandseigneurs unter den italienischen Opernregisseuren und –Ausstattern, und seit Jahrzehnten einer der gefeiertsten Regisseure nicht nur in Pesaro, sondern auch in Mailand und in Vene-dig. Noch einmal zieht er alle Register seines frappierenden Könnens und zeigt die wohl bekannteste Musikkomödie Rossinis auf ästhetisch überwältigender, schlichter wie ver-schiebbarer Barockbühne als narzisstisches Männerstück. Ein Traum in Schwarzweiß als turbulenter Zirkus männlicher Eitelkeiten. Die zentralen Mannsbilder des Stücks (Michele Pertusi als Basilio, Pietro Spagnoli als Bartolo und Davide Luciano als Figaro) betrachten sich unentwegt vor großen Spiegel und zupfen an sich herum, richten ihre Haare und Kostüme. Aber was für Kostüme! Geschmackvoll in Stil, Material und Aus-führung. Auf einem Laufsteg im Zuschauerraum werden sie wie bei einer Modenschau vorgeführt. Haute Couture des 18. Jahrhunderts. Auch wird viel halbnackter Mann ge-zeigt. Den Vogel schießt Figaro ab, der sich bei seiner Auftrittsarie auszieht und in einem römischen Brunnen wäscht, bevor er sich Rosina nähert. Der junge Bariton Davide Luciano kann es sich leisten. Wohl noch nie hat man einen so erotischen Figaro gesehen, aber auch seine Stimme ist ein Paradebeispiel virilen Rossinigesangs.
Die Produktion darf ein Sängerfest genannt werden, denn alle Partien sind hochkarätig besetzt worden. Die Rosina der japanischen Sopranistin Aya Wakizono ist allerdings Geschmackssache. Über ihre verschattete Stimme kann man sich trotz ihrer hohen Ge-sangskultur streiten. Jedoch nicht über einen hinreißend virtuosen, jungen russischen Tenor als Graf Almaviva, Maxim Mironov heißt er. Und auch das Dirigat von Yves Abel, er ist Chef der Nordwestdeutschen Philharmonie, besticht durch Präzision, Schär-fe und enormen Schwung. Da zeigt das Orchestra Sinfonica Nazionale della RAI, wie gut es sein kann.
Neben unterschiedlichsten Dirigenten hört man wohl nur in Pesaro im Laufe weniger Tage so viele erstklassige Stimmen, renommierte wie kaum bekannte. Nicht zuletzt die "Accademia Rossiniana", die von Anfang des Festivals an ein besonderes Anliegen des im März letzten Jahres verstorbenen Rossinispezialisten und Spiritus rector des Fes-tivals, Alberto Zedda war, kümmert sich darum. Ernesto Palacio, einst gefeierter Rossinitenor, der mit Alberto Zedda eng befreundet war, ist seit zwei Jahren künstle-rischer Direktor und nun auch Intendant des weltweit führenden Rossinifestivals:
“Was wir wollen sind große Namen, neben jungen Leuten aus der Akademie. Es gibt da sehr hoffnungsvolle Talente. In den diesjährigen Aufführungen singen immerhin vierzehn junge ehemalige Akademiemitglieder.“
Pesaro ist nach wie vor eine der wichtigsten Talentschmieden. Einen Mangel an guten Sängern gibt es eigentlich nicht, davon wird man in Pesaro jedes Jahr aufs Neue über-zeugt, nicht zuletzt mit einer Aufführung der Oper "Il Viaggio a Reims“, die ausschließ-lich mit Nachwuchssängern besetzt wird. Vom 11. bis zum 23. August präsentiert man in diesem Jahr drei neue Opernproduktionen, die dem Motto des neuen Intendanten verpflichtet sind: „ Ich liebe es, wenn Sänger sich bemühen, die Partitur umzusetzen und nicht, sie zu missbrauchen zur Selbstdarstellung. Und das gilt auch und noch mehr für die Regisseure!“ Neben den drei Opern gibt es eine Reihe von Konzerten, insgesamt bringt man es auf 26 Veranstaltungen. Wieder hat Pesaro unter Beweis gestellt, dass es das weltweit anspruchsvollste wie leistungsfähigste Rossinifestival ist.
Verschiedene Beiträge auch in SWR 2, Orpheus und Neue Musikzeitung