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Photo: Semperoper / Matthias Creutziger
MDR Figaro, 6.02.2012, ein Gespräch
Die Welt als Tollhaus oder Das Triebleben als Zirkus. Herheims "Lulu" in Dresden
Moderator: Zum zweiten Mal ist Stefan Herheim an der Semperoper in Dresden zu er-leben. Nach seiner "Rusalka" in der vergangenen Spielzeit ist nun seine "Lulu" zu se-hen, die er bereits in Kopenhagen und in Oslo zeigte. Am Samstag abend war Premiere. Unser Kritiker Dieter David Scholz war dabei. Herr Scholz, ist das wieder so eine fulminante Ausnahmeproduktion wie die "Rusalka"?
Ja, das kann man mit Fug und recht sagen. Zum Einen läßt Herheim das Stück in der straffen und dichten Fassung von Eberhard Kloke spielen, der ja den torsohaften dritten Akt kräftig bearbeitete. Ich finde, diese Fassung ist der etwas langatmigeren Fassung von Friedrich Cerha vorzuziehen. Zum andern präsentiert Herheim wieder einmal gro-ßes Zaubertheater. Er zeigt zwar nicht das beissende Sozialdrama Wedekinds, das der Oper zugrunde liegt. Dafür aber verwandelt er es in eine Groteske um, frei nach dem Motto " Tutto nel mondo e burla", das der alte Verdi seinem Falstaff in den Mund legt.
Aus dieser Lebensweisheit heraus, dass "die ganze Welt ein Tollhaus" ist, entwickelt Herheim, gemeinsam mit seiner fabelhaften Ausstatterin Heike Scheele wieder einmal ein szenisches Feuerwerk der Phantasie und der Assoziationen, ein anspielungsreiches, kulinarisches Augenfest des Theaters. Auch ein bewundernswertes bühnentechnisches Spektakel ist es: Zirkusarena, Musentempel, Bühne auf der Bühne und Bretterbude durchdringen sich in dieser Inszenierung. Alles ist in Bewegung. Ein clowneskes, turbulentes Pandämonium der Lust. Herheim zeigt das mörderische Stück als ästhetische verfeinerte, sinnlich anspringende Parabel über Eros und Amoral, Schuld und Verbrechen auf einer irrealen Ebene zwischen Kasperletheater und Zirkuswelt.
Moderator: Aber was für eine Figur wird denn Lulu in dieser Lesart? Ist sie bei Her-heim überhaupt noch eine realistische Figur?
Nein, eben nicht. Sie ist bei Herheim weder der böse Weibsteufel, die Femme fatale, die mordende Schlange, noch das arme Opfer der Männerwelt, sondern eher ein archetypi-sches Chamäleon der Weiblichkeit in wechselnden Kostümen. Fast wie eine Emilia Marti in Janaceks "Sache Makropoulos". Oder eine zum Verführen Verfluchte wie Kundry in Wagners "Parsifal". Diese Lulu passt sich den Männerphantasien clownesk an. Mal ist sie Tänzerin im Ballett-Tutu, mal Dame im Abendkleid der 20er, 30er-Jahre. Sie ist eine Mitspielerin im Zirkus der ungezügelten Triebhaftigkeit von Mann wie Frau. Das Triebleben als Zirkus, ein starkes Bild, das Herheim da wieder einmal gelungen ist.
Aber im dritten Akt läßt er aus spielerischer Kasperliade und Clownerie Ernst werden. Die Bühne auf der Bühne, eine Art Semperoper im Kleinen, fällt in sich zusammen. In magischem Licht verwandeln sich die Zirkusleute in wohlanständige Bürger mit Schirm, Charme, Mantel und Melone. Sie töten Lulu kollektiv, mit ihren Schirmen. - Es ist die Welt, will sagen die Gesellschaft an sich, die mörderisch ist. Da braucht es keinen Jack the Ripper mehr als Einzeltäter. Jeder Mensch ist ein grausames Tier im absurden Zirkus, der da heißt "Welt". Herheim führt das in seiner Desillusionierung der Zirkuswelt mit poetischer Eindringlichkeit vor.
Moderator: Ich könnte mir denken, dass es die Sänger in so einer überhöhten, stilisier-ten Inszenierung des Stücks schwer haben, glaubwürdig zu sein. Wie waren die Sänger in Dresden?
Sie haben recht, es ist natürlich schwer für die Sänger, in diesem Konzept, das ja mehr Groteske als Sozialdrama sein will, als glaubwürdige Individuen zu erscheinen. Um so bewundernswerter wie sie Herheims Regiekonzept tragen. Auch als fast akrobatisches Körpertheater. Das Sängerensemble ist insgesamt sehr gut. Wobei Christa Mayer als Gräfin Geschwitz und Markus Marquardt als Dr. Schön deutlich herausragen. Ich muß allerdings gestehen, dass ich die Sängerin der Titelpartie, Gisela Stille, mit der Herheim schon in Kopenhagen zusammenarbeitete, trotz ihrer beeindruckenden schauspieleri-schen Leistung nicht eben als sängerische Idealbesetzung empfinde, weil sie die Partie wie eine hochdramatische, fast wie eine Wagnerpartie singt. Ihre Textverständlichkeit bleibt da auf der Strecke. Aber gerade bei dieser Oper ist absolute Textverständlichkeit oberstes Gebot. Weshalb es sich empfiehlt, die Partie der Lulu wohl doch eher mit einer schlanken Soubrettenstimme zu besetzen. Und der Dirigent sollte mehr auf orchestrale Klarheit und Durchsichtigkeit als auf Lautstärke setzen.
Moderator: Cornelius Meister stand am Pult der Dresdner Staatskapelle. Er ist erst 32 Jahre alt, seit 2005 GMD am Theater Heidelberg und am Beginn einer steilen Karriere. Ist er dem anspruchsvollen Stück, über dessen Komposition Berg gestorben ist, denn gewachsen?
Also ein deutsches Sprichwort sagt: Es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen. Auch Cornelius Meister nicht. Ich finde - mit Verlaub gesagt - Herrn Meister über-schätzt. Er hat jedenfalls eine pauschale, ziemlich spröde und robuste Lesart des Stück vorgelegt, über weite Strecken einfach nur vordergründig effektvoll aufgedonnert und über weite Strecken viel zu laut. Dass der Abend mit seinen vier Stunden lang wurde, und dass das Publikum in den beiden Pausen abwanderte, hat sicher damit zu tun.
Wie klar, wie charmant, wie verständlich dieses Musik sein kann, das hat man ja zuletzt am Opernhaus Halle gehört, wo Karl Heinz Steffens exemplarisch vorgeführt hat, wie man dieses Stück strukturieren und zu beinahe puccinihaftem Aufblühen bringen kann. Natürlich ist die Staatskapelle Dresden das weitaus bessere Orchester, keine Frage. Es klingt ja auch wunderbar in dieser "Lulu". Aber die Dresdner Staatskapelle hätte es verdient, dass man einen ihrem Rang entsprechenden, erfahreneren Dirigenten für die-ses schwere Stück verpflichtet hätte. Dann hätte der Abend eine Sternstunde werden können. So war es nur eine halbe. Dennoch: Man sollt diese Produktion unbedingt gesehen haben. Schon wegen der exorbitanten Inszenierung Stefan Herheims, der sich wieder einmal als großer Theaterzauberer bewiesen hat.
Rzension im MDR