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Photo: Agathe Poupeney
Jacques Offenbachs „Les Brigands“ als partyhaftes Tuntentheater
Das Stück blieb auf der Strecke. Aber die Musik feierte Triumphe, zumal in der erstmals zu hörenden großen Orchesterfassung von 1878
Opéra national de Paris – Palais Garnier
Premiere: 21. September
Nach einer über dreißigjährigen Abwesenheit von der Pariser Oper ist nun im altehrwürdigen Palais Garnier eine mit Spannung erwartete Neuinszenierung der „Banditen“ von Jacques Offenbach herausgekommen. Inszeniert hat es der maître de plaisir der Komischen Oper Berlin, Barrie Kosky.
Mit den "Banditen" hat Offenbach 1869, kurz vor Ausbruch des deutsch-Französischen Krieges, in seiner letzten Zusammenarbeit mit den brillianten Librettisten Meilhac und Halévy noch einmal einen großen Coup gelandet. Das erfolgreiche Trio entwarf ein Räuber- und Verwechslungsspiel, welches nichts weniger war als eine Satire auf die Skandale des Zweiten Kaiserreichs, vor allem der betrügerischen Bankiers jener Zeit, eine komische Parabel auf den Satz: "Money makes the world go round".
Das Stück ist eine der besten Offenbachiaden. Verkleidung, Travestie: die Vortäuschung falscher Tatsachen Das Rollenspiel, dient den Autoren (Librettisten) dabei nicht nur als probates Mittel der Komik, sondern zur Diffamierung der herrschenden Klasse. Die „Banditen“ stellen einen absoluten Gipfel der Verkleidungs-Dramaturgie das, denn der gesamte Handlungsverlauf besteht aus einer Kette von Rollenwechseln, der mit der Stringenz einer chemischen Reaktion ablauft: Im zweiten Akt schlüpfen die Banditen nacheinander in die Kleider von Bettlern, des Gasthof-Personals, der Mantuaner und schließlich der spanischen Gesandtschaft.
Die Geschichte des Banditenchefs Falsacappa, der nach Prinzessinnenraub und versuchtem Coup auf den Staatsschatz des Fürstentums von Mantua einsehen muss, dass die Minister, die er berauben will, die größeren Gauner sind als er selbst, denn sie haben die Gelder der Staatskasse (eine Mitgift von 3 Millionen) längst veruntreut. Banditen und Banker, Staatsbeamte und Politiker werden schließlich ununterscheidbar. Die staatlichen Autoritäten sind offensichtlich krimineller als die Banditen – daran ändern auch die Carabinieri nichts, die mit schwerem Stiefeltritt immer zu spät kommen. Am Ende wirs der Räuberhauptmann begnadigt und zum Polizeichef ernannt.
Diese letzte der großen Buffo-Opern Offenbachs, die am Vorabend des deutsch-französischen Kriegs entstand, bietet natürlich mit ihren bitter-komischen Anspielungen auf Geld, Macht, Politik, vor allem aber auf die Korrumpierbarkeit von Politikern und die Lächerlichkeit der Armee Gelegenheit zu aktueller Gesellschaftssatire, auch wenn sie auf das zweite Kaiserreich gemünzt war.
Dia Pariser Aufführung hätte eine Sternstunde werden können, zumal Der Verlag Boosey & Hawkes im Rahmen seiner Keck-Neuedition der Werke Offenbachs zum ersten Mal die (rekonstruierte) Orchestrierung der späteren großen Fassung von 1878 bereitstellte. Was beschämenderweise im Programmheft nicht einmal erwähnt wurde! Die bisher nie gehörte Fassung klang – was Wunder - im riesigen Palais Garnier geradezu suberb.
Ein Glück, das eigentliche Glanzlicht und der Retter der Aufführung war der international renommierte italienische Dirigent Stefano Montanari, eigentlich aus der „historisch orientierten Aufführungspraxis“ kommend, er war ursprünglich Barockgeiger in der Accademia Bizantina. Er hat Offenbach ins Herz geschaut und in rasantem Tempo, rhythmisch zugespitzt und mit ironischem Augenzwinkern der Aufführung ordentlich Beine gemacht.
Er hat beherzigt, was schon Paul Bekker, der Offenbachjünger der Weimarer Republik, über Offenbach sagte: „Die Tänze (bilden) einen Hauptbestandteil der Offenbachschen Werke... In dieser Fähigkeit, das gesungene Wort mit der Tanzgebärde zu verbinden, liegt eines der tiefsten Geheimnisse von Offenbachs Kunst." Dieses Geheimnis ist im Palais Garnier offenbar beglückend geworden.
Montanari hat einen Offenbach dirigiert, wie man ihn sich nur wünschen konnte. Das Orchestre de l’Opéra national spielte zum Niederknien schön, schnell und präzise, der Chor der Opéra national sang sich um Kopf und Kragen.
Von den solistischen Sängern des großen, insgesamt rollendeckenden Sängerensembles kann man das nicht behaupten, aber es gab immerhin Lichtblicke und schöne Stimmen. Marie Perbost etwa sang eine entzückende Räuberhauptmannstochter Fiorella. Yann Beuron als Baron de Campotasso und Laurent Naouri als Chef des carabiniers wurden ihrem guten Ruf gerecht. Auch Adriana Bignagni Lesca als Princessse de Granada überzeugte durchaus, um nur einige Sänger herauszuheben
Die größte Fehlbesetzung war der gewiss vielseitige niederländische Tenor Marcel Beekmann (stimmlich eine Mischung aus Alte-Musik-Tenor und Travestiesänger) als Räuberhauptmann Falsacappa. Er hatte als Banditenchef wie eine reichlich tuntige, überschminkte Dragqueen mit blonder Perücke und in rotem bzw. pinkfarbenem Lackkostüm aufzutreten. Ein typischer Kosky-Einfall, der sich aus dem Stück in keiner Weise rechtfertigen lässt und zur Erhellung der Figur nichts beiträgt. Erinnerungen an die Figur der Divine in den Filmen Pink Flamingos und Female Troubles von John Waters drängen sich auf.
Auch die vom Regisseur beauftragte neue Dialogfassung von Antonio Cuenca Ruiz brachte außer einigen Witzchen, Kalauern, Anspielungen auf heutige Pariser Verhältnisse und Örtlichkeiten sowie Sottisen gegen Banker und Politiker wenig Originelles.
Das opulente Bühnenbild von Rufus Didwiszus immerhin zeigt einen dem Palais Garnier angemessenen, enorm großen, typisch pariserischen Barocksaal mit großen Türen und mit variable theatralischen Dekorationsmöglichkeiten, er mag eine Hinterbühne oder einen Ballettprobenraum darstellen. Eine eindrucksvolle Spielfläche für die queere, quirlige Karnevalsveranstaltung, die Barrie Kosky mit dem Stück veranstaltete. Wieder einmal zeigte er ein ausgelassenes, reichlich blasphemisches, sich selbst genügendes Tuntenfest, eine Travestieshow, eine Art „höhere“ Blödelei ohne tieferen Bezug zum Stück, das erst nach der Pause ansatzweise erzählt wurde. Die vielen Tänzer befleißigten sich (gemeinsam mit dem Chor) einer drei Stunden dauernden Gymnastikübung. Sie schnurrte virtuos ab, war perfekt getimt in der Choreographie des Österreichers Otto Pichler, mit dem Kosky schon lange zusammenarbeitet.
Die Kostümierung von Victoria Behr war karnevalesk und freizügig, phantasievoll, ironisch und witzig. Die Produktion hätte ein Erfolg werden können. Man sieht viel Fleisch. Tänzer und Chor zeigen, was sie in ihren Höschen bzw. Körbchen haben. Erotische Anzüglichkeiten, Gegrapsche und Gefummele sind so selbstverständlich wie permanentes Gejubele, Gestampfe und Gekreische. Musicalhaft werden die Extremitäten beweg und werden Chor und Sänger geführt. Spätestens nach einer Stunde wurde allerdings das diskohafte schrecklich spaßige Gebaren unerträglich, zumal es die Musik nicht selten außerordentlich störte und die Veranstaltung aufs Partyniveau absenkte. In der Pause verließen nicht wenige Zuschauer das Theater. Mit Offenbachs Intentionen hatte diese (typisch berlinische) Spaßveranstaltung nicht viel zu tun, das Stück war entstellt zur Groteske, die sich selbst genug war. Wieder einmal das (trotz aller Spaßigkeit) deprimierende Beispiel einer selbstverliebte Feier der Obsessionen eines Regisseurs. Die Intentionen Offenbachs und seiner Librettisten wurden zur Nebensache. Schade.
Rezensionenn in mehreren Online- und Printmedien