Norman Lebrecht: Ausgespielt

Ein homophobes Schandmaul schreibt eine Chronique scandaleuse auf Bildzeitungsniveau


Einblick in die Branche, nicht uninteressant, oft sogar amüsant, aber gelegentlich eben auch degoutant.

Klatsch und Tratsch, sonst nichts...

Norman Lebrecht:

Ausgespielt. Aufstieg und Fall der Klassikindustrie


Schott Verlag. 2007. 384 Seiten.


Der britische Autor Norman Lebrecht, Jahrgang 1948, hat sich als Buchautor und Kommentator in der Musik- und Kulturszene einen Namen gemacht. Nicht zuletzt mit seinem Buch ’Der Mythos vom Maestro’, das 1991 erschienen ist. Norman Lebrecht ist inzwischen stellvertretender Redakteur des Londoner ’Evening Standard’ und moderiert  die Sendung ’lebrecht.live’ in der BBC. Soeben ist sein jüngstes Buch erschienen: „Ausgespielt“ heißt es, und es geht um Aufstieg und Fall der Klassikindustrie. 


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Es beginnt bei Enrico Caruso, dem ersten Plattenstar, und reicht bis hin zum heutigen Crossingover-Trend mit einer  Anne Sofie von Otter, die 70er-Jahre-Songs der Band Abba aufgenommen hat oder den Berliner Philharmonikern, die mit Pop-Bands zusammenspielen und Filmmusikeneinspielen.  In seinem neusten Buch enthüllt Norman Lebrecht, einer der vielgelesenen, polarisierenden wie provo-zierenden Kulturjournalisten und Insider des Musikbusiness, die schillernde Geschichte vom Aufstieg und Fall der Klassik-Tonträgerin-dustrie. Um es gleich zu sagen: Das Buch ist eine „Grabrede“. Lebrecht der Grabredner „einer Kultur, die es nicht mehr gibt.“ Aber was war das für eine Kultur? Offenbar eine ziemlich verkommene.



Lebrecht wartet mit einer Fülle nicht immer rühmlicher Begebenheiten, Ankedoten  und Erinnerungen an Künstler wie Arthur Schnabel, Arturo Toscanini, Maria Callas, und den jungen Simon Rattle auf. Herbert von Karajan wird gar ein „Moment hitlerscher Hybris“ unter-stellt. Auch die Drei Tenöre bekommen ihr Fett weg. Man erfährt über den schwierigen Riccardo Muti: „Er war eng mit einer Blondine von EMI befreundet und pflegte sie zu bitten, die Angestellten zu entlassen, die er nicht mochte.“ Wen interessiert das?  Orchester-mana-ger, Agenten, Plattenproduzenten werden reihenweise als unmoralische Halunken und Schlitzohren geoutet. Lebrecht teilt gnadenlos aus. Drei Schallplattenfirmen hätten jahrzehntelang über Amerikas fünf große Orchester geherrscht. Ein Rundumschlag gegen die Repräsen-tanten des Musikbusiness.  Für den Leser sind solche Einblick in die Branche nicht uninteressant, oft sogar amüsant, aber gelegentlich eben auch degoutant. Beispielsweise wenn er sich – im Zusammenhang mit der legendären „Ring“-Produktion des Produzenten John Culshaw, zu so diskriminierenden Pauschalbehauptung versteigt, wie der, bei der Plattenfirma Decca sei eine „Überzahl an homosexuellen Männern“ festzustellen gewesen und resümiert: Die Decca sei für sie damals „ein sicherer Hafen“ gewesen, „so schwul wie nur eben möglich.“ Zu schweigen von persönlich verunglimpfenden Details aus dem Nachtleben eines ihrer Toningeniure, der die Welt mit einem wegweisenden Decca-Sound beschallt hätte.


John Culshaw, Produzent des legendären Studio-"Rings" Georg Soltis, eine tragende Säule unter den Fachleuten der Schallplatten­Firma Decca, und enger Mitarbeiter Sir Georges,  wird bei Lebrecht nicht etwa seiner fachlichen Qualitäten wegen erwähnt oder gewürdigt, sondern ausschlißlich des sexuellen Outings für Wert befunden. Als ob dies von Bedeutung und Interesse sei. Culshaws Mutter, so liest man,  habe Soltis Hund gehütet, wenn er in Urlaub ging, und Sir George, „das Flaggschiff von Decca“, habe sich revangiert mit dem verständnisvollen Gruß „Dir und den Jungs alles Liebe“. „Obwohl es bei Decca auch einige heterosexuelle Männer gab,“ so erfährt der Leser, „war die allgemeine Ausrichtung doch eindeutig homosexuell“. Die Schlußfolgerung Lebrechts: „Die von Decca bevorzugten Komponisten waren Britten, Michael Tippett und Peter Maxwell Davies. Sie kreierten eine ganz andere sexuelle Ästhetik als den ´straight flush´, der von den EMI-Komponisten Elgar, Delius, Vaughn-Williams und Walton geschaffen wurde.“ Und so weiter. 


Je mehr man in dem Buch von Lebrecht liest, desto mehr erscheint es einem als Chronique scandaleuse auf Bildzeitungsniveau. Der Autor offenbart sich – mit Verlaub gesagt- als ziemlich respektloses Schandmaul. Das Fundament des Buches ist Klatsch und Tratsch. Viele Aussagen sind nicht mehr überprüfbar, Informationsgehalt und Erkenntnisgewinn des Buches sind bescheiden.  Was Lebrecht über die großen Dirigenten schreibt, hat man bereits in seinem Buch „Der Mythos vom Maestro“ gelesen. Und auch daß Plattenfirmen Stars ge-macht haben, liest man nicht zum ersten mal bei Lebrecht. Bestes Beispiel ist natürlich wieder einmal EMI-Produzent Walter Legge, dem Elisabeth Schwarzkopf ganz wesentlich ihre Karriere und ihre Befreiung vom Nazi-Makel zu verdanken hat.  Legge, so liest man „war ein geltungsbedürftiger Intrigant, nicht ohne sadistische Züge.“ 


Ob er über Elisabeth Schwarzkopf oder Maria Callas, Glenn Gould oder Leonard Bernstein schreibt: Man erfährt eigentlich nichts Neues in dem Buch von Norman Lebrecht. Vieles hat man vor 17 Jahren schon in Klaus Umbachs „Geldscheinsonate“ gelesen. Und was man bei Lebrecht liest, ist meißt gehässiger oder sensationsheischender Natur, auch wenn es sich aufklärerisch gibt. Beispielsweise, wenn er genüss-lich vor dem Leser ausbreitet, wie ein "Profiteur des Nazi-Systems", gemeint ist Ernst von Siemens, zusammen mit einer KZ-Überlebenden, Elsa Schiller, Musikchefin beim RIAS, ein Plattenimperium (die Deutsche Grammophon) aufgebaut habe. „Zu Elsa Schillers Wiedergutmachung gehörte“, so liest man dann, „dass sie beim Gelben Label viele jüdische Künstler unter Vertrag nahm.“ Leb-recht zieht immer wieder ungeniert gegen vermeintliche jüdische Mauschelei zu Felde, so wie er sich offen über Homosexuelle und ihre vermeintlichen Seilschaften lustig macht. Norman Lebrechts Darstellungen befleißigen sich nicht nur eines inhumanen Standpunkts, son-dern auch einer unbehaglichen Schwarzweiß-Dialektik. Er prangert fortschreitende Technologien, Machtkämpfe in Chefetagen, ein leicht-gläubiges Publikum und skrupellose Ausbeutung als den musikalischen Hintergrund unseres modernen Lebens an. Natürlich hat er im Prinzip Recht mit seiner Feststellung, dass die klassische Musik als Wert an sich verfallen ist und dass die Klassikindustrie sich nur noch an Profitstreben orientiert und dem Zeitgeist hinterherläuft.  Aber was will Lebrecht eigentlich seinem Leser sagen?


Sein Blick zurück im Zorn und in Trauer ist vor allem ein voyeuristisches Schreibvergnügen, dessen fragwürdige Nostalgie, mit der die guten alten Zeiten der Klassikindustrie verklärt und zugleich ihre Repräsentanten durch den Kakao gezogen werden, so zynisch wie sentimental daherkommt. Der Fall der Klassikindustrie wird bei Lebrecht zum Indikator für den Untergang des Abendlandes. VIP-Ge-tratsche und intime Klatschgeschichten sind für ihn Symptome einer Abwärtsbewegung, die nichts aufzuhalten vermag.  Schund und Spaß, wenig Information und viel Irritation machen die Unanständigkeit  wie Unterhaltsamkeit des Buches aus. Zuguterletzt beschließt Norman Lebrecht seine Verfallsgeschichte auch noch mit einer Auswahl der – seiner Meinung nach - hundert wichtigsten Platten, er nennt sie „Meilensteine der Klassikindustrie“, aber auch der 20 schlimmsten. Er schreibt von „Aufnahmen, die nie hätten gemacht werden sollen“: Zu ihnen zählt er auch Otto Klemperers Einspielung der „Kleinen Dreigroschenmusik“ von Kurt Weill. Ein höchst anfechtbares Urteil von Norman Lebrecht. Unanfechtbar ist  allerdings die Bedeutungslosigkeit seines Buches.



SWR, NDR