Herbert Rosendorfer

Photos: Dieter David Scholz


Herbert Rosendorfer  

Dichtender Richter

Nekrolog auf einen Freund


Er war ein dichtender Richter. In München und in Naumburg an der Saale übte er den ordentlichen, bürger-lichen Beruf des Juristen, genauer gesagt den Beruf des Amtsrichters aus. Nebenher schrieb er unzählige Erzählungen, Romane, Theaterstücke, Opernlibretti, Filmskripte, Kirchen- und Reiseführer, sogar Fach-bücher über Kultur und Geschichte. Geboren wurde Herbert Rosendorfer in Griez/Bozen am 19. Februar 1934. Nach langer Krankheit ist der von einer großen Fangemeinde verehrte Erfolgsautor am 20. September  2012 im Alter von 78 Jahren in Bozen gestorben.


Wir haben uns immer in Venedig getroffen. Venedig war eine seiner erklärten Lieblingsstädte. Das war einer, und nicht der unwesentlichste unserer Berührungspunkte. Herbert  kannte jede Kirche, jedes Museum, jede Gasse. Vor allem die dunklen, verwinkelten hatten es ihm angetan. Und die vielen verschiedenen Türen und Hauseingänge der Stadt! Die schiefste Tür Venedigs (San Polo 965/a) spielt in seiner mir gewidmeten Erzählung "Gulden" (in "Die Kaktusfrau" bei  Kiepenheuer und Witsch) eine zentrale Rolle, wie auch eine seiner Lieblingskirchen, "San Zanipolo". Wir haben sie mehrfach gemeinsam besichtigt.


So wie Herbert Rosendorfer die Kehrseite der schönen Serenissima kannte, offenbart er in seinen Erzählungen immer wieder die Abgründe der Normalität des gewöhnlichen Menschen. Seine Vorliebe fürs Skurrile, seine zuweilen bösartige Ironie, sein Sprach-witz haben das Format eines E.T.A. Hoffmann und eines Jean Paul. Wer nur seine schriftstellerischen Arbeiten kennt, würde nie vermuten, dass der Autor solcher Phantastereien eine so feine, leise, zurückhaltende, bürgerlich-solide Erscheinung war, zeitlos elegant, ein Gentleman alter Schule. Dabei war Herbert ein gelehrter Feuerkopf, aber weder Intellektueller noch Bildungshuber. Er verabscheute onanistische Elfenbeinturm-Klettereien. Dazu war er viel zu erdverbunden. Er liebte die Menschen, ihren Alltag und ihre z. T. skurrilen Strategien des Überlebens in einer absurden Welt. Dazu zählte auch der  Genuss des Weins. Wie der Erzähler und Don Carlone (dessen reales Vorbild mich mit Herbert zusammenbrachte)  in seinem Roman "Der Meister", gingen auch wir in Venedig meist nur auf und ab, redeten miteinander und besuchetn Trattorien, Restaurants und Weinstuben, und Museen, letztere aber nur selten, und jeweils  nur für maximal eine Stunde. Er wollte es so. Ich auch.


Wir kehrten ein in der "Madonna" unweit der Rialtobrücke, ins 500 Jahre alte "Do Mori", aber auch ins "Algiubagiò" am Fondamente Nove, ins "Beccafico" am Campo Santo Stefano und die Tarnowska-Bar im Hotel "Ala". Dort feierten wir sogar einmal unsere beiden Geburtstage ineinander. Sie lagen nur einen Tag auseinander. Wo auch immer Herbert weilte, ob in München, in Bozen, St. Eppan, Venedig oder Rom: Er war ein häufiger und gern gesehener Wirtshausbesucher. In den Gastwirt-schaften der Welt hatte er die Stoffe, aus denen seine Erzählungen schöpfen, gefunden, und natürlich bei Gericht. Nicht in den Bibliotheken. Die lieferten nur das gelehrte Kolorit. In Venedigs Lokalen ließ Herbert mich teilhaben an seinen Ideen, seinen Lebenserfahrungen, seiner warmen Menschlichkeit und seiner spontanen Fabulierlust. Wir haben unendlich viel besprochen in Venedig. Aber wir verstanden uns auch ohne Worte.  Einmal schrieb er mir: 


"Wir kennen uns eigentlich erst seit kurzer Zeit. Dennoch habe ich das Gefühl, unsere Freundschaft stammt aus viel früherer Zeit her.  Ich hatte im ersten Moment, damals in Venedig, die Gewißheit, in Dir einen Menschen gefunden zu haben, der mit mir gleich klingt. Das passiert mir nicht oft. Nebenbei: daß es grad in Venedig war, einer Stadt, die uns beiden viel bedeutet, ist eine gelungene Inszenierung des Weltgeistes."


So Mancher mag Herbert Rosendorfer für einen Konservativen, wo nicht gar einen Reaktionär halten. Irrtum! Natürlich kritisierte er gern Scharlatane, Gschaftlhuber und Fanatiker, Emanzen, Modephilosophen, Regietheatermacher und  Zeitgeist-Ritter, wettert gegen Bluejeans, Coca Cola und Micky Maus. Aber wie heißt es über die Anbeter des Fortschritts in seinem Erfolgsbuch "Briefe in die chinesische Vergangenheit" (das er über zwei Million Mal verkaufte): "Sie schreiten fort, von sich selber". Seine konser-vative Pose ist nur eine erzählerische Maske, hinter der sich ein Humanist mit funkelnder Sprachvirtuosität und oft schwarzem Humor über Gott und Welt lustig macht, denn im Grunde war Herbert Rosendorfer ein Schopenhauerianer, ein Skeptiker, der bei aller Liebe zu den Menschen an Gott und Welt und Sinn zweifelte. In seinem erzählerischen Kosmos hat er sich Luft zu machen versucht mit einem Pandämonium skurriler, abnormer, oft karikaturenhaft verzerrter, kauzig-knorziger Exemplare menschlicher Existenz diesseits und jenseits der sogenannten Normalität. Es  war sein Versuch, sich vor der Verzweiflung des Lebens zu retten, denn er war ein tiefernster Mensch. Daher seine Neigung zum Humoristischen, zum Phantastischen, zum Irrlichternden, Traum-haften und Grotesken. Das war sein Rettungsanker in der allgemeinen Sinnlosigkeit des Seins. Deshalb liebte er die literarischen Comics des Venezianers Hugo Pratt so sehr. Und noch mehr die unwirklich-karnevaleske, traumhaft-täuschende Stadt Venedig mit ihren labyrinthischen Gassen und ihrem nostalgischen, ja morbiden Illusionszauber. Ende November wollten wir uns wieder in Venedig treffen. Daraus wird nun nichts mehr...


Wer sich wunderte über das aufwenige Teatrum sacrum des Weltabschieds des Kirchen- und Religionsspötters Rosendorfer: In der Auflösung des versteckten literarischen Rätsels seiner Erzählung "Gulden" hat er den von ihm selbst  noch angeordnetenen Pomp funèbre seiner Totenfeier erklärt und gerechtfertigt!



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