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Photo:Hans Jörg Michel
Keine deutsche Festoper, sondern eine menschliche Komödie: „Die Meistersinger" in Mannheim
Nigel Lowery versteht die Oper als Wagners menschlichstes Werk
Das Problem der Deutschen mit Wagner, das ja ein Problem der Deutschen mit ihrer Geschichte ist, ist nicht Lowerys Problem!
Im Nationaltheater Mannheim hatte am 28. 10. 2018 Richard Wagners Komische Oper "Die Meistersinger von Nürnberg" Premiere. Inszeniert hat der britische Regisseur Ni-gel Lowery. Er gilt als Meister des poppigen Perspektivenwechsels, der gerne mit Rol-len und Masken spielt, nicht selten auf schmalem Grat zwischen Soap, Boulevard und Klamotte. Den "Meistersingern von Nürnberg" hat er sich mit britischem Humor, mit Witz und Ironie angenähert. Er macht Theater auf dem Theater und zeigt Nürnberger Architekturfragmente im Format von Papiertheater und Ausschneidebildern. Lowery spielt mit Illusion und Desillusionierung, er spielt mit Puppen (beispielsweise bei der Prügelfuge am Ende des zweiten Aktes), die Katze von Hans Sachs hat ihren großen Auftritt bei Beckmessers Pantomime im dritten Akt und er liebäugelt mit der Comedia dell Arte. Beckmesser und Stolzing lässt Lowery wie den alten Pantalone und den jung-en Liebhaber aufeinander treffen. Die meisten Personen haben clownesk geschminkte Augen, tragen aber historische (ironisch überzeichnete) Kostüme. Den Kernkonflikt des Stücks, den Gegensatz von Alt und Jung im Menschlichen, von Tradition und Innovation in der Kunst, von Geschichte und Gegenwart spielt Lowery außeror-dentlich komödiantisch aus, manche Momente haben etwas von Kasperletheater. Die Meister sind allesamt (alte) komische Groteskfiguren. Einer hinkt, ein anderer strickt, wieder ein anderer nimmt unentwegt einen Schluck aus der Pulle. Köstliche Charak-terstudien sind das.
Im letzten Akt, auf der Festwiese zeigt Lowery eine Parade von Figuren aus sämtlichen Wagneropern.Auch der Gralskelch als Symbol der Erlösung wird hereingetragen. In Wagners Werken geht es ja eigentlich immer um Erlösung von irgnnd etwas. In den Meistersingern wird allerdings nicht mit dem Blut des Heilands oder durch Entsagung erlöst, sondern durch die Utopie einer gesellschaftlichen Erneuerung und durch die Utopie einer staatlichen Identität, die sich nicht auf Politik, sondern auf Kultur (neue Musik) gründet. Als ironisches Symbol des Utopischen schwebt gelegentlich ein kleines weißes Raumschiff in Zeitlupe durch den Bühnenhimmel.
Nun ist gerade diese Oper aufgrund ihrer Wirkungsgeschichte - nicht zuletzt im Dritten Reich - "vorbelastet". Einigen Personenkonstellationen und Textstellen in dem Werk, wird immer wieder Antisemitismus und Chauvinismus vorgeworfen. Lowery blendet alle "deutschen Traumata" aus. Das Problem der Deutschen mit Wagner, das ja ein Problem der Deutschen mit ihrer Geschichte ist, ist nicht Lowerys Problem, wie er im Programmheft bekennt. Er als Engländer ist frei davon und versteht die Meistersinger als Wagners menschlichstes Werk. Und das zeigt er auch in seiner Inszenierung. Am Ende wartet er mit einem besonders anrührenden Moment auf, wenn Hans Sachs den im wahrsten Sinne des Wortes "im Regen" stehenden Looser, Verlierer, Blamierten und Ausgestossenen, Sixtus Beckmesser unter seinen Schirm und in den Arm nimmt um mit ihm an die Rampe zu gehen, nicht ohne ihm den Brautkranz Evas in die Hand zu drücken. Was auch immer das meinen soll. Eine Geste jedenfalls, die Sachs (den Schopenhauerianer, der den Wahn der Welt und der Menschen durchschaut hat) im sympathischsten, menschlichsten Licht zeigt.
Die Oper "Die Meistersinger von Nürnberg" stellen nicht nur szenisch, sondern auch sängerisch große Anforderungen. Man kann in Mannheim mit einem großartigen En-semble aufwarten. Alle 13 Meister sind hervorragend besetzt, auch der Chor lässt nichts zu wünschen übrig. Herausragend müssen Thomas Jesatko als nobler Hans Sachs genannt werden, nobel in Textbehandlung und Stimme, aber auch Joachim Goltz, der einen unkonventionellen Beckmesser sang, keine Judenkarikatur, sondern einen ernst-zunehmenden, ehrenwerten wenn auch verknöcherten christlichen Traditionalisten. Sung Ha war ein exzellenter Pogner und auch sein Töchterchen Eva machte in der stimmlichen Verkörperung von Astrid Kessler bella figura. Um nur die Wichtigsten Zu nennen. Tilmann Unger debütierte als Walther von Stolzing mit leider zu eng fokus-sierter, unfreier Stimme und überzeugte nicht, im Gegensatz zu Christopher Diffey als David!
Der Musikchef des Hauses, Alexander Soddy, geht mit seiner Lesart des Stücks kon-form mit der Inszenierung. Er hat das Motto von Hans Sachs ernstgenommen: "Es klang so alt und war doch so neu". Er hat die "Meistersinger" erfrischend unpathetisch, un-konventionell, ohne alle teutonische Breite und Wagnerweihe dirigiert, stattdessen sehr transparent, leicht und vorwärts drängend. Das Orchester des Nationaltheaters Mann-heim spielte ohne Fehl und Tadel. Auch musikalisch war das ein sehr erfreulicher Abend.
Rezension auch im Deutschlandfunk / Fazit