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Photo: Matthias Creutziger
Plädoyer für kompromißlosen Eros & Selbstbestimmung der Frau
Florentine Kleppers Inszenierung der "Arabella" von Richard Strauss an der Semperoper Dresden. Premiere 07.11.2014
Vom 06. Bis zum 23. November hat die Semperoper Richard Strauss-Tage anberaumt. Einer der Höhepunkte der Feierlichkeiten zum 150. Geburtstag des Komponisten in diesem Jahr. Gestern abend gab es einen besonderen Leckerbissen: Die lyrische Komödie in drei Aufzügen, „Arabella“, die als Koproduktion mit den Salzburger Osterfestspielen in Dresden gezeigt wurde.
Die Produktion hatte schon in Salzburg Aufsehen erregt durch ihre sängerische Besetzung. Die wurde bis auf eine Ausnahme auch nach Dresden übernommen, und diese Ausnahme betrifft die Titelpartie. Statt René Fleming hat gestern abend in Dresden Anja Harteros ge-sungen. Und das ist wirklich ein Glücksfall, denn die international gefragte Sopranistin ist eine der denkbar besten Strauss-Sängerinnen (wie auch René Fleming), aber ein Idealfall von Arabella in ihrer optischen und stimmlichen Jugendschönheit. Nicht nur sie, das gesamte Sängerensemble ist hervorragend. Thomas Hampson - als der Mann, der in Arabella Liebe auf den ersten Blick entzündet, der slawische Großgrundbesitzer und Landadlige Mandryka - der seinen sängerischen Zenit schon überschritten hat – zeigte sich gestern abend noch einmal in imposanter Form. Auch die Neuentdeckung Hanna Elisabeth Müller als Arabellas Schwester Zdenka und Daniel Behle als ihr Angebeteter Matteo, brachten das Publikum zum Rasen. Auch Albert Dohmen und Gabriele Schnaut als Elternpaar waren eindrucksvolle Charakterstudien in einem – wie gesagt insgesamt runden, festspielwürdigen Sängerensemble. Ich wage zu sagen, das war gesten abend sängerisch noch besser als in Salzburg.
Schon in Salzburg hat die Inszenierung der jungen Regisseurin Florentine Klepper etwas irritiert. Ich muß sagen, mich hat sie überzeugt. Auch wenn sie das Stück, das ja laut Partituranweisung 1860 spielt, um gut 50 Jahre nach vorn verlegt, also in die Jahre vor dem Ersten Weltkrieg. Aber Florentine Klepper zeigt eben eine Zeit im Umbruch, deren Glanz schon verblichen ist, wo die Fassade bereits blättert. Daher läßt sie das Stück auch in einem Grand Hotel spielen, das seine besten Tage hinter sich hat. Wobei sie vier aneinandergereihte Räume auf einem fahrbaren Bühnenwagen hin- und herschieben läßt, sodass auf dieser panoramahaften Bühne, die Martina Segna sehr realistisch gebaut hat, alles simultan erzähl werden kann. Ein sehr schöner Regieeinfall. Im zweiten Akt wird das Bild dann aufge-bro-chen, indem sich die Wände der Empfangshalle des Grandhotels sich heben und auseinanderfahren, Dann öffnen sich surreale Bilder-welten des Freudschen Unbewußten, beinahe Alfred Kubinsche Grotsken, es sind Bilder voller erotischer Obsessionen und Symbole. Zur Krönung wird eine große Sphinx hereingefahren als Symbol des rätselhaft Weiblichen, von dem ja in dem Stück immer wieder die Rede ist.
Um zwei Frauen geht es in dem Stück, die schöne Arabella, die von ihrem Vater, einem verarmten Adligen an einen reichen Brautwerber verschachert werden soll, um die Familienkasse aufzubessern, und die (weil zwei heiratsfähige Töchter nicht zu finanzieren sind) als Mann verkleidete Schwester Zdenka. Durch ihre nächtliche Verführung Matteos als vermeintliche Arabella, deren vermeintlichen Zim-merschlüssel sie ihm zukommen käßt, es ist allerdings der Schlüsel zu Zdenkas Zimmer, beschwört sie eine Katastrophe herauf, denn Mandryka kriegt Wind davon und fühlt sich von Arabella hintergangen. Am Ende gesteht Zdenka die List, outet sich öffentlich als Frau und bahnt dem Happyend den Weg.
Florentine Klepper nimmt die beiden so unterschiedlichen Frauen sehr ernst und zeigt sie beide als garnicht so passive Frauen, wie sie meistens dargestellt werden, sondern als solche, die sich selbst und die ihnen aufgezwungenen Rollen durchbrechen, die das gesell-schaftlich geforderte Geschlechts-Korsett sprengen. Florentine Klepper macht aus der Hofmannsthalschen Komödie à la "Rosenkavalier Nummer Zwei" im Grunde ein emanzipatorisches Frauenstück am Beginn der Moderne, fast so, als wär´s ein Stück von Arthur Schnitzler. Ein Stück, in dem Tragödie und Komödie eng beieinander liegen. Es geht in dieser fein gearbeiteten Inszenierung um Liebe contra Geld, und das Recht auf erotische Selbstverwirklichung gegen alle gesellschaftlichen Erwartungen. Ich finde, das überzeugt außerordentlich. Mich hat das Stück nie so existenziell berührt wie gestern abend. Die Inszenierung offenbart das Stück als ein großartiges Plädoyer für die erotische Selbstbestimmung der Frau, ein Plädoyer aber auch für das Recht auf kompromisslose Liebe ohne Wenn und Aber, wozu auch die Pflicht zum Verzeihen gehört! Das ist die Botschaft dieser schönen Inszenierung. Und das Publikum hat diese Botschaft wohl verstanden und war von ihr sichtlich angetan.
Aber auch von der orchestralen Seite des Abends. Es hat Christian Thielemann und die Sächsische Staatskapelle Dresden geradezu fre-netisch gefeiert. Zurecht, denn es handelt sich bei diesem Orchester, das immerhin neun von 15 Strauss-Opern uraufgeführt hat, um das Strauss-Orchester schlechthin. Die Farbenpracht, die spieltechnische Raffinesse, die Musikalität und die unglaubliche Klangmagie des Orchesters haben gestern abend den Ruf der „Sächsischen Wunderharfe“ wieder einmal wieder bestätigt. Dem unbestritten-umstrittenen Dirigentenmagier Christian Thielemann sind trotz seiner ozeanisch-elementaren, um nicht zu sagen vulkanisch brüllenden, opulenten Lesart ds Stücks immer wieder Wunder von leiser, subtiler Wahrheit und Emotion gelungen, die den Abend zu einem traumhaften und bewegenden Ereignis werden ließen.
Beitrag auch in MDR Figaro am 08.11.2014, 08.10 Uhr