Bayreuth 2011: Tannhäuser

© Bayreuther Festspiele / Photo: Enrico Nawrath

100. Bayreuther Festspiele: „Tannhäuser“-Verhunzung

Sebastian Baumgartens & Thomas Hengelbrock scheitern.

Festspiele auf dem künstlerischen Tiefpunkt


Ein Gespräch in MDR Figaro


Moderator:  Gestern abend wurden die einhundertsten Bayreuther Festspiele eröffnet, und zwar mit einer Neuinszenierung des „Tann-häuser“. Die Inszenierung besorgte Sebastian Baumgarten. Die musikalische Leitung hatte Thomas Hengelbrock. Unser Wagnerspezialist und Musikkritiker Dieter David Scholz war für uns in der Bayreuther Premiere.


Herr Scholz, der Ruth-Berghaus-Schüler Sebastian Baumgarten ist bekannt dafür, dass er Stücke selten eins zu eins an der Handlung ent-lang inszeniert, sondern eine zusätzlich Schicht auf das Stück legt und damit nicht selten das Stück entstellt und das Publikum irritiert. War das auch bei seinem Debüt in Bayreuth so?



Scholz: Das kann man wohl sagen! Er zeigt ja kein Mittelalterstück, kein Thüringen, keine Wartburg, sondern so etwas wie eine VEB Wartburg in nachkapitalistischen Zeiten, wenn sich Stammesgemeinschaften wieder zusammengerottet haben zu Lebensgemeinschaften, in denen alles recycled wird, kontrolliert und durchstrukturiert. Er hat sich dazu einen dreistöckigen Bühneraum von dem holländischen Künstler Joop van Lieshout bauen lassen, so eine Art  Maschinenhalle, Maschinenpark, Miniaturstadt mit Biogasgeneratoren, Alkoho-lator, Gaswaschanlage, mit Schlafräumen und Schmuddelkeller-Darkroom fürs Animalische. Eine dreistöckige, sehr aufwendig gebaute Konstruktion. Das Ganze soll eine postkapitalistische Vision sein, eine Öko-Trutzburg, eine Stadt der Sklaven, jedenfalls ein geschlos-senes System, in dem das Individuum keine Chance mehr hat.  So will es das Inszenierungsteam jedenfalls verstanden wissen. Warum und wozu das alles, bleibt aber eigentlich unklar. Weil es an der zentralen Fragestellung des Stücks vorbeigeht. Thema verfehlt!


Moderator:  Hat denn das Stück, um das es eigentlich geht, also Wagners "Tannhäuser",  in diesem Raum noch eine Chance?


Scholz: Im Grunde genommen nicht, denn dieser Bühnenraum ist ja so speziell und so in einer imaginären Zukunft angesiedelt, dass es schwer fällt, Wagners Tannhäuser darin glaubwürdig unterzubringen, ja auch nur zu erkennen. Sebastian Baumgarten und Joop van Lieshout betonen zwar im Programmheft (eine Ansammlung abstruser Gedanken und Behauptungen in adornesk aufgedonnertem, angeberischem Einschüchterungsdeutsch) ), und sie haben es auch bei ihrer grotesken Pressekonferenz getan, dass es Ihnen darum gehe, zu zeigen, was in einer total durchstrukturierten Gesellschaft mit dem  Individuum passiert, und dass es Ihnen um die Sichtbarmachung des Gegensatzes von Apollinischem und Dionysischem gehe. Was auch immer das meint. Baumgarten und sein Dramaturg bleiben die Erklärung schuldig. Von wegen Nietzsche! Der würde sich im Grabe umdrehen! Und was man auf der Bühne sieht, hat mit Nietzsches Begriffspaar nichts zu tun. Nichts als fragwürdige Lippenbekenntnisse! Was man sieht und erlebt auf der Bühne, ist etwas ganz Anderes, etwas Beliebiges. Regiefaxen und Mätzchen, die sich in keiner Weise ernsthaft mit Wagners Stück auseinandersetzen. Sebastian Baum-garten gibt das sogar zu und sagt, er zeige etwas ganz anders, und "da hinein knalle immer wieder diese Oper" und bringe den Kreislauf durcheinander.


Moderator:  Ja was sieht man dann eigentlich in dieser Inszenierung? Was macht Sebastian Baumgarten mit der Oper, die ja nun mal irgendwie auf der Bühne stattfinden muß?


Scholz: Man sieht Menschen in bunten Overalls mit Gummistiefeln und in T-Shirts, die ihrem Alltage der Nahrungsaufnahme, der Arbeit , dem Schlafbedürfnis nachgehen und dem Alkoholgenuß. Dazwischen tritt mehr oder weniger, ja fast störend das Personal der Oper auf, singt und geht wieder ab. Sehr konventionell. Von Personenregie, von Figurenpsychologie, von Glaubwürdigkeit der Handlung keine Spur. Ich nenne  ein paar konkrete Vorgänge: Der Pilgerchor im dritten Akt tritt als neurotischer Putztrupp mit Besen und Wischfeudel auf, Venus ist eine schwangere Wuchtprumme, um es salopp zu sagen, so eine Art Steinzeitvenus im Glitzerfummel. Im letzten Finale hält sie sogar ein Neugeborenes auf Armen. Und ab und an fährt, wenn es um Wagners Venusberg geht, ein kreisrunder Raubtierkäfig aus dem Bühnenboden hoch, in dem Neandertaler Liebe machen, ziemlich animalisch. Das soll wohl die triebhafte Seite des Menschen andeuten. Das ist aber alles andere als erotisch. Und ziemlich  peinlich inszeniert. So wie im Grunde die ganze Produktion. Und warum ermordet Wolfram Elisabeth im zweiten Akt, indem er sie in die Gaskammer schubst? Warum tritt der Landgraf Hermann wie Till Lindemann, der Sänger der Gruppe Ramstein auf im zweiten Akt? Fragen über Fragen und keine Antworten. Stattdessen bevormundende Projektionen von kunsttheoretischen, beinahe sozialistischen Kampf Parolen, Videoproduktionen von medizinischen Lehrfilmen, von der künstlichen Befruchtung bis zur Verdauung. Es schlingensieft gewaltig. Eine so unappetitliche wie absurde Veranstaltung. Und eine langweilige Inszenierung.


Moderator:  War´s denn auch musikalisch langweilig? Immerhin hat am Pult der Spezialist für Alte Musik, Thomas Hengelbrock seinen Bayreuther Einstand geben.


Scholz: Leider ist es gerade musikalisch sterbenslangweilig, denn Thomas Hengelbrock hat diesen "Tannhäuser" in einer Langsamkeit und Zerdehntheit dirigiert, über weite Strecken auch in einer viel zu geringen Lautstärke, die der Oper alle Dramatik, alle Kraft und Spannung raubte. Ganz davon abgesehen, dass er große Koordinationsprobleme zwischen Graben und Sängern, zwischen Orchester und auch Chor hat. Und von historisch informierter Spielweise ist gar nichts zu hören. Kein altes Instrument. Nicht einmal eine eindeutige Fassung wird gespielt. Im Wesentlichen die Dresdner, aber doch mit auffälligen Abweichungen und Strichen. Hengelbrock will offenbar weg von teutonischem Wagnersound. An sich löblich. Deshalb dirigiert er ihn wie Haydn. Aber Wagner ist nun mal kein Haydn. Hengel-brocks Ergebnis ist ein verniedlichter, verharmloster, kastrierter Wagner. Der langweiligste "Tannhäuser", den ich in den letzten 30 Jahren in Bayreuth – und nicht nur dort - gehört habe. Das überwiegende Mehrheit des Publikums hat das offenbar auch so gesehen und seiner Enttäuschung deutlichen, lautstarken Ausdruck verliehen.


Moderator:  Eine letzte kurze Frage. Waren denn die Sänger auch enttäuschend, oder gab es da Lichtblicke?


Scholz: Also insgesamt ist das auch sängerisch eine sehr enttäuschende Produktion, die weit unter Festspielniveau liegt. Vor allem die Venus von Stephanie Friede ist eine sängerische Zumutung. Sie wurde vom Publikum denn auch genauso gnadenlos ausgebuht wie Sebastian Baumgarten und Thomas Hengelbrock. Der Tannhäuser von Lars Clevemann hat die Partie zwar durchgestanden, hat aber eine alles andere als eine schöne Stimme. Die hat Camilla Nylund zwar, aber sie ist doch eine Nummer zu klein für die Elisabeth. Immerhin gab es bei den tiefen Männerstimmen ein paar Lichtblicke.  Beispielsweise beim Wolfram von Michael Nagy. Auch der Hermann von Günter Groissböck beeindruckt, auch wenn er für die Partie etwas jung ist. Unterm Strich eine regielich, sängerisch und musikalisch unzureichende Produktion: Der  künstlerische Tiefpunkt der Bayreuther Festspiele.  Das heutige Bayreuth der Eva und Katherina Wagner befindet sich auf steiler Talfahrt nach unten. Überall sonst sieht und hört man inzwischen besseren Wagner als in Bayreuth. ...



Frühkritik in MDR Figaro & Bericht in MDR Info am 26.07.2011