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Photo: Hans-Jürgen Brehm-Seufert
Archaisches Spanien als Verismo-Oper
Dt. EA „El Gato Montes“ (Manuel Penella)
Umjubelte Ausgrabung am Pfalztheater Kaiserslautern.
Premiere 26.05.2018
Nur wenige spanische Komponisten wagten sich an die Gattung Oper heran. Was Wunder, dass der Inbegriff von "spanischer" Oper, Georges Bizets "Carmen" gar keine ist. "Carmen ist ein Phantasiespanien, das Georges Bizet, der nie in Spanien war, der die Pyrenäen nie überschritten hat, sich erdacht hat. Natürlich ist es ein Meisterwerk, aber mit Manuel Penellas Oper "El Gato Montes" haben wir eben etwas Authentisches aus demselben Milieu, in dem auch Carmen angesiedelt ist. " (Dramaturg Andreas Bronkalla).
Manuel Penellas Oper "El Gato Montes" wurde1917 im spanischen Valencia urauf-geführt und feierte große Erfolge, nicht nur in Spanien, sondern auch in Amerika wie Lateinamerika. In Deutschland ist die Oper noch nie gezeigt worden. Dabei ist ihre Musik frisch, lebhaft, kraftvoll, farbig und voll echten andalusischen Lokalko-lorits. Das Stück, zeigt eine typische Dreieckskonstellation: Eine Zigeunerin steht zwischen zwei Männern, einem Banditen und einem Torero, einem der es gut mit ihr meint, und einem, den sie leidenschaftlich liebt. Im Zentrum fast ein Wagner-scher Konflikt, die Unentschiedenheit zwischen Eros und Agape, Trieb und Mitleid. Doch anders als Wagners Kundry oder Bizets Carmen ist Soleá, die weibliche Haupt-figur der Oper Penellas, keine femme fatale. Sie ist keine Männermörderin, sondern eine gefühlsmäßig zerrissene Frau.
Soleá wird vom Torero Rafael geliebt, er hat das arme Mädchen aufgenommen, aber auch der Bandit Juanillo, der "El Gato Montes" genannt wird, liebt sie bis zum Wahnsinn. Als er auftritt, um sie Rafael, der zu entreißen, wird nur durch Soleás beherztes Eingreifen ein Kampf der Männer auf Leben und Tod verhindert. Doch Juanillo schwört, wenn Rafael sich nicht beim Stierkampf am nächsten Tag von einem Stier töten lasse, werde er kommen, ihn zu töten.
Der Pasodoble Manuel Penellas, der zum Paradestück aller tatsächlichen Stier-kämpfe bis heute wurde, eröffnet die Stierkampfszene des zweiten Aktes des drei-aktigen Werks, das von RegisseurAlfonso Romero Mora als Todesritual auf welt-kreisrunder, roter Holzspielfläche vorgeführt wird. Um die Szene herum sitzt, wie im antiken Theater, der Chor der Stierkamfbesucher.
Dirigent Rodrigo Tomillo, der zehn Jahre Kapellmeister in Kaiserslautern war, ist für diese Produktion als Gast ans Pfalztheater zurückgekehrt. Andreas Bronkalla: "Das ist eine Fügung, Rodrigo Tomillo und der Regisseur Alfonso Romero Mora kannten sich und wir haben natürlich einen geeigneten Regisseur für diese spani-sche Oper gesucht, die ja auch eine sehr spezielle Farbe hat, die man bedienen muss. Es musste natürlich schon jemand sein, der mit diesen Dingen gut umgehen kann, der die Zeichen lesen kann, der über diese Traditionen Bescheid weiß und das unserem Ensemble vermitteln konnte."
Statt Stiere umspringen Ballettänzer den todgeweihten Torero und erdolchen ihn in der Inszenierung. Aber auch Solera wird von ihnen getötet (Im Libretto stirbt sie Rafael aus Schuldgefühl nach). Im dritten Akt tritt Juanillo vor rotglühendem Mond ans offene Grab Soleás und läßt sich von einem seiner Leute erschiessen, da er ohne Solea nicht leben kann. Ein herzzerreissendes Stück, das Regisseur Mora in leuch-tenden spanischen Farben inszeniert. Rosa Garcia Andújar hat alle Agierenden weit entfernt von Folklorekitsch in eindrucksvoll grelle, prall sinnliche, spanische Volks-kostüme gesteckt. Wenige übergroße Symbole schweben über der Bühne: Eine Dornenkrone, ein schwerterdurchbohrtes Herz und eine Madonna.
Regisseur Mora versteht das Stück als typisch spanische Mischung aus Ehre, Glau-be, Leidenschaft, Liebe und zerbrochenen Träumen. Er zeigt es streng und brutal, aber auch gefühlsstark und dramatisch. Ein archaisches Stück Spanien, das musika-lisch zwar unüberhörbar aus der Zarzuela-Tradition herkommt, aber, anders als die Tradition dieser spanischen Musiktheatertradition es will, durchkomponiert und geradezu veristisch im Stil ist, trotz des unverwechselbaren andalusischen Kolorits und der Rhythmen des Pasodoble und der Sequidilla.
"Die Melodien sind spanisch, die Behandlung des Orchesters, die Harmonie ist sehr spanisch, aber es ist sehr viel Verismus dabei. Unser Soloposaunist hat mich nach einer Probe gefragt: Wer hat kopiert, Puccini oder Penella? Natürlich Penella. Er hat diese Oper komponiert, als Puccini schon alle seine Meisterwerke komponiert hat."
Dirigent Rodrigo Tomillo hat mit dem fabelhaft aufspielenden Orchester des Pfalz-theaters und einem vorzüglichen Sängerensemble, aus dem Daniel de Vicente als Juanillo, Carlos Moreno als Rafael,und Andiswa Makana als Soléa herausragten, ein Opernjuwel wieder-entdeckt und beglaubigt. Das für Neues, Unbekanntes und Entlegenes aufgeschlossene Opernpublikum von Kaiserslautern hat sich von der überwältigenden Aufführung mitreißen lassen und diese Ausgrabung als großen Erfolg gefeiert: Der Beweis dafür, dass diese wohl bedeutendste Oper des in Valen-cia gebürtigen Komponisten, der nicht weniger als 80 Bühnenwerke geschrieben hat, bisher zu Unrecht auf deutschen Bühnen ignoriert wurde. Aber vielleicht gehen von der sehens- und hörenswerten Wiederentdeckung in Kaiserslautern ja Impulse für weitere Produktionen des Stücks aus.
Beitrag für SWR 2 „Cluster“ am 28.05.2018