J. Offenbachs "Barbe Bleue"

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Zeit zum Hören - Beitrag in DIE ZEIT


Jacques Offenbachs "Barbe-bleue"


Bärte waren schon immer verdächtig! Daß sie tief blicken lassen, gelegentlich bis unter die Gürtellinie, haben uns Märchen und Mythen gelehrt. Nicht nur die roten Bärte waren seit je suspekt. Vorsicht ist besonders bei den Blauen geboten. Die Blaubärte zählen zu den erotisch unwiderstehlichen Übermännern. Sie sollen zwar Kultur haben, zuweilen auch Humor, doch ihr Charme ist mörderisch.


Spätestens seit Charles Perrault zählt "Blaubart" zu den blutrünstigsten Ladykillern, die die Literatur und das Musiktheater bevölkern. Erst Offenbach raubte dem sechsfachen Frauenmörder die Gruselaureole, indem er die Horrorgeschichte vom allzu triebhaften "Barbe-Bleue" zur politisch gewürzten Parodie ummünzte. Die Komische Oper Berlin glänzte mit dem "Ritter Blaubart" 29 Jahre lang. Bis Harry Kupfer das letzte Renommierstück seines Übervaters Felsensteins nach über 360 Aufführungen 1992 endgültig vom Spielplan strich. Seither muß man in die Provinz fahren, wenn man den "Blaubart" einmal hören will. Zum Beispiel nach Nürnberg. Oder ins vogtländische Plauen. Jetzt, endlich, ist uns aus Italien, dem Land der (urheber-) rechtlichen Bedenkenlosigkeiten, der vielen halb- und illegalen Mitschnitte und Piratenpressungen, der erste "Blaubart" auf CD beschert worden (Memories HR 4591/92). Zwar "nur" das Remake einer "Barbe-Bleue"-Produktion des französischen Rundfunks aus den Sechzigerjahren. Die aber ist einfach hinreißend! Das Orchestre Lyrique und der Choeur de L.O.R.T.F. mit Jean Doussard am Pult rücken der gewitzten Musik Offenbachs geradezu unwiderstehlich herzerfrischend und (lach-) muskelanregend zuleibe. Den idealen Offenbach-Tonfall, die richtige Mischung aus Verve und Esprit, Mozart und Weill, Eleganz und Schroffheit, Leichtigkeit und Chuzpe weiß nicht nur der wunderbare Henry Legay in der Titelpartie zu treffen: das komplette Ensemble demonstriert beispielhaft eine Gesangskultur, die abhanden gekommen zu sein scheint.