Rossini Opera Festival Pesaro 2011

Photo: Rossini Opera Festival Pesaro 


Von Mördern, Eroberern & Terroristen

Moses als Al Qaida-Chef Bin Laden und andere regieliche Torheiten


Pesaro: Rossini Festival 2011                              


     

Zum 32. Male findet an der italienischen Adriaküste, in Pesaro, dem Geburtsort Rossinis in der Provinz der Marken, das „Rossini-Opera-Festival“ statt.  Das Mekka aller Rossini-Pilger. Vom 10. bis zum 23. August wird dort dem berühmtesten Sohn der Stadt gehuldigt. Rossini-Freunde aus aller Welt sind wieder angereist, um das ausschließlich Rossini verpflichtete Programm zu erleben. In diesem Jahr ist das Festival der einhundertfünzigjährigen Einheit Italiens gewidmet.


Aus diesem Anlass werden zwei Werke als Neuproduktionen herausgebracht, die, wenn auch sehr unterschiedlich,  mit Italien zu tun  haben: Die „Moses“-Oper Rossinis in der italienischen Urversion, also „Mosè in Egitto“  (zuletzt spielte man vor 14 Jahren die französische Version "Moïse et Pharaon" und die Oper „Adelaide di Borgogna“. Das war denn auch die Eröffnungspremiere, vor der natürlich die italienische Nationalhymne gespielt wurde, im schönen, altehrwürdigen Teatro Rossini. Und das sonnenverwöhnte, gutgelaunte, ungewöhnlich junge Publikum erhob sich denn auch feierlich bewegt, noch bevor sich der Vorhang öffnete zur Eröffnungspremiere, einer der am seltensten gespielten Opern Rossinis.


Es geht in der 1817 in Rom uraufgeführten - und durchgefallenen - zweiaktigen Oper „Adelaide di Borgogna“ um die auf der Burg Canossa von ihrem Gattenmörder Berengar festgesetzte und schließlich von Otto dem Großen befreite Adelheid von Burgund. Mit ihrer Heirat erweiterte der deutsche Kaiser sein Reich um Italien. Ein Mittelalterschinken, um es salopp zusagen, den Rossini allerdings mit feiner, ja fast aristokratischer Musik (es gibt noch Seccorezitative) ausgestattet hat und mit feinsten Belcanto-Arien.


Regisseur Pier´Alli  zeigt in diesem von Machtkämpfen handelnden Historienstück ein alles andere als freundliches Italien. Er zeigt es im Gegensatz zum sonnigen adriatischen Sommer dieses Jahres auch als ein Italien, das in Dauerregen versinkt: Das Ganze als technisch aussergewöhnliche, computeranimierte Videoshow und mittelalterliche Kriegsallegorie voller ironischer Andeutungen und historischer Symbole. Die Personenführung ist dagegen eher konventionell. Das tut aber niemandem weh. Immerhin demonstriert diese Produktion, dass man auf das aufwendige Bauen von teuren Bühnenbildern im Grunde verzichten kann. Auch Pesaro muss ja angesichts der kulturfeindlichen Berlusconi-Regierung und ihrer dramatischen Kürzung des Kulturetats kräftig sparen. Ohne die langjährigen, zuverlässigen Sponsoren, die Pesaro trotz der italienischen Finanzkrise die Treue halten, stünde das renommierte Festival schlecht da. 


Stars treten denn auch nicht auf in diesem Jahr. Man bestückt stattdessen die Produktionen fast ausschließlich mit jungen, noch unbekannten Sängern. Es gibt kaum ein vergleichbares Festival, das so hochkarätige junge Sänger entdeckt und fördert. Das war auch in der Vergangenheit so. Viele Geangslegenden haben in Pesaro als junge Unbekannte angefangen, ob Montserrat Caballé, Samuel Ramey, Marilyn Horne oder Juan Diego Florez.  Pesaro war immer schon eine Talentschmiede.


Inn „Adelaide di Borgogna“ hat man alle Solopartien bis auf eine Ausnahme – Daniela Barcellona singt den Ottone - (neben ihr Jessica Pratt als Adelaide) mit jungen Sängern sehr glaubwürdig besetzt. Leider läßt es der Dirigent Dmitri Jurowski an Drive, Phantasie und Sinn für diese Musik mangeln. Sehr im Gegensatz zu Roberto Abbado, dem Neffen Claudio Abbados,  der die zweite Premiere, die Azione tragico-sacra „Mosé in Egitto“ dirigierte. Er beglaubigte wieder einmal, wie faszinierend, wie mitreißend Rossinis Musik sein kann. Und wie gut Orchester und Chor des Teatro Comunale di Bologna sind, die in diesem Jahr im Wesentlichen das Festival bestreiten.


Der altbiblische Stoff „Moses in Ägypten“ war ja in Rossinis Oper lange vor vor Giuseppe Verdis „Nabucco“ mit seinem Gefangnenchor fast so etwas wie die musikalische Ikone der Vor-Rissorgimento-Einigungssehnsucht Italiens schlechthin. Regisseur Graham Vick igno-riert diesen Sachverhalt allerdings vollkommen. Stattdessen aktualisiert er dieses Juwel unter den Rossini-Opern zur sicherlich aufklärerisch gemeinten, aber doch von einem großen Teil des Publikums als geschmacklos empfundenen und politisch unkorrekten Parabel auf Unterdrückung, Unfreiheit und Terrorismus im heutigen Nahost-Konfliktgebiet.


Er zeigt in diesem  „Moses“ in verwirrendem Durcheinander Israelis, Palästinenser und Araber in einem zerstörten Grandhotel. Man denkt sofort an das „King David“ in Jerusalem. Darunter finden Terroristen-Schulungen statt. Dahinter ist ein Flüchtlings-Auffanglager. Alles umschlossen von einer hohen Mauer mit Stacheldrahtzaun. Maschinengewehrbewaffnete Soldaten stürmen den Zuschauerraum. Aber auch verletzte, blutende Muslima, die vermisste Angehörige suchen, schleichen durch die Stuhlreihen. Nachdem am Ende des zweiten Akts der Bühne ein Chor von Selbstmordattentätern mit rot aufblinkenden Sprenggürteln Jehova anfleht, brechen im Zuschauerraum der großen Adriatischen Arena beinahe tumultartige Proteste und lautstarke, ja handgreifliche Auseinandersetzungen im Publikum los. Erst das Auftreten von Ordnungskräften und Polizei sorgte dafür, dass die Vorstellung nicht abgebrochen werden muß. Oder war das etwa Teil der Inszenierung?


Moses darf in Gestalt von Al Qaida-Chef Bin Laden sein bewegendes Gebet zur Befreiung der versklavten Hebräer erheben. Wohl nur aus Ehrfurcht vor einer der schönsten Musiknummern Rossinis und Respekt auch vor den sängerischen Leistungen, kommt es nicht zu Protesten im Publikum. Aber am Ende, nach der Durchquerung des Roten Meeres, die als Mauerfall gezeigt wird, der die einen erschlägt, die anderen befreit, kommt die Schlußpointe: Statt friedlicher Utopie der zweifelhafte Handschlag  eines israelischen Panzersoldaten mit einem überlebenden, kleinen arabischen Jungen, der aber schon den Sprengstoffgürtel unter seiner Galabeya versteckt hat. Ein Buhorkan gegen das Regieteam läßt keinen Zweifel aufkommen: Die überwiegende Mehrheit des Publikums lehnt diese plakative Lesart  ab. 


Dennoch lohnt es sich auch in diesem Jahr wieder, nach Pesaro zu reisen, denn erstens lernt man dort immer etwas in Sachen Rossini dazu. Schon weil man immer Opern von ihm sieht, die man noch nicht kennt. Zweitens ist die musikalische, sängerische Qualität der Aufführungen meist aussergewöhnlich hoch in Pesaro. Auch bei der regielich irritierenden „Moses“-Produktion ist das so. Man kann auch in diesem "Moses" mit einen insgesamt hochkarätigen jungen Ensemble aufwarten, was nur der kompetenten Leitung des Festivals zu verdanken ist, die – im Gegensatz etwa zu den Bayreuther Festspielen - aus Profis  und Fachleuten besteht. Allen voran der hochbetagte, aber immer noch agile Rossini-Dirigent, -Forscher und -Herausgeber Alberto Zedda, der sich um den Nachwuchs des Rossini-Gesangs kümmert wie niemand sonst.


Neben den genanten Neuproduktionen gibt es noch weitere 25 Veranstaltungen in dem zwei Wochen dauernden Festival. Wiederaufnahmen der Opern „La Scala di Seta“ und  die „Reise nach Reims“, aber auch  Klavier- und Liederabende, Orchester- und Arienkonzerte, öffentliche Diskussionen und Filmvorführungen. Alles ausschließlich auf den „Schwan von Pesaro“ fokussiert. Ein breites, aber anspruchsvolles Angebot jenseits von Mainstream und aller zeitgeistigen Eventseligkeit. Auch wenn nicht jede Aufführung den ungeteilten Zuspruch des Publikums findet, so findet doch selbst das Scheitern in Pesaro immer auf hohem Niveau statt. Deshalb wird dieses sympathisch unzeitgemäße Festival zwischen Rimini und Ancona ja auch von einem seiner geographischen wie sozialen Herkunft und seiner Altersstruktur nach sehr breit gefächerten Publikum dankbar angenommen. Ein Publikum, das sich auch für den weniger bekannten Rossini der Opera seria interessiert. Immerhin hat Rossini in seinen nahezu 50 Opern überwiegend nicht komische geschrieben.  Im kommenden Jahr übrigens darf man sich auf eine Neuproduktion der frühen Oper „Ciro in Babilonia“ freuen. Auch sie ist eine der außerhalb Pesaros nie gezeigten Rossini-Raritäten. Eben deshalb lohnt sich ja die Reise nach Pesaro immer wieder.


Verschiedene Beiträge für SWR, MDR, DLF, "Das Orchester"...