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Foto: Monika Rittershaus
Koskys abstrakteste Inszenierung: "Echnaton" (Glass)
Glass ist der erste amerikanische Komponist, dem der Sprung in den zentraleuropäischen Opernbetrieb und dessen Repertoire geglückt ist. Indes, es ist lange her.
Klaus Umbach schrieb nach der Uraufführung 1984:„Mit der Leichenfeier in a-Moll, einem Bestattungszeremoniell in Zeitlupe und Originaltexten aus dem altägyptischen Totenbuch beginnt »Echnaton«, die jüngste Oper des amerikanischen Komponisten Philip Glass und, wenn nach der Uraufführung durch die Württembergischen Staatstheater in Stuttgart am vergangenen Wochenende nicht alles täuscht, wohl auch die Götterdämmerung der sogenannten Minimal Music, die Glass zu Weltruhm und nun in die Sackgasse geführt hat. Es gibt die wildesten Theorien darüber, wer er eigentlich war. Manche glauben, er sei ein bisexueller Hermaphrodit gewesen, andere denken, dass er ein autoritärer Kriegspharao war. Wieder andere sehen in ihm das absolute Symbol von ägyptischer Dekadenz. Ich glaube, dass Echnaton einer der interessantesten Charaktere der Weltgeschichte ist und finde es spannend, dass der Mann, der den Monotheismus entdeckt und gelebt hat, über Jahrtausende verschwunden ist.... Schon der fast dreistündige Geschichtsunterricht, in dem Komponist-Librettist Glass mit oratorienhafter Feierlichkeit die 17jährige Amtszeit und Reformpolitik des gottgleichen Echnaton abhandelt, hat weniger Action als Verdis »Aida« und weniger Spannung als ‚Götter, Gräber und Gelehrte‘“
Die Handlung: Theben um 1300 vor unserer Zeit, am Anfang einer neuen Ära: Amenophis III. ist tot. Sein Sohn Amenophis IV., der sich später Echnaton (vermutlich 1351-1334 v. Chr.) nennt, wird zum König gekrönt. Gezeigt wird seine Liebe zu Nofretete, darauf die Zerstörung der Tempel der herrschenden, polytheistischen Religion der Amun-Priester. Echnaton unterstützt die neue Religion des Aton, in der als Höchstes einzig die Sonne verehrt wird. Schließlich springt die Handlung in die Gegenwart“ Von einem Touristenführer wird der Niedergang Echnatons und das Wiedererstarken der vorherigen Priesterkaste aus der Perspektive einer modernen Reisegruppe erzählt, die die historischen ägyptischen Stätten besucht. Im Epilog singen Echnaton, Nofretete (Susan Zarrabi) und Königin Teje (Sarah Brady) aus dem Jenseits.
Die Oper besteht aus elf Szenen, die allerdings keine lineare Handlung bilden. Die drei Akte zeichnen grob Aufstieg, Herrschaft und Niedergang Echnatons nach.
Es gibt nur wenige Vorgaben des Komponisten, daher hat Kosky viel Spielraum und Freiheit für seine Interpretation. Erstaunlicherweise verzichtet er auf jeglichen Ägyptenbezug im Bildlichen. Klaus Grünberg (Bühne und Licht) hat einen weißen Kasten als Bühnenbild gebaut, in den gelegentlich schwarze Wolken auf fahrbaren Hebekränen hineingeschoben werden. Vielfältige raffinierte, bewegte Lichtstimmungen und flirrende Projektionen brechen immer wieder in die monochrome Bühnenwelt ein. Der Dualismus Weiß-Schwarz beherrscht auch die Kostüme von Klaus Bruns. Nur das von Echnaton sticht goldfarben hervor. John Holiday (Counter) verleiht dem Herrscher und Religionsgründer Würde und geschlechtliche Ambivalenz, auch wenn er später eine Art schwarzes Krinolinen-Kostüm trägt und eher wie eine Frau als ein Mann anmutet. Türen, an Kolonnaden erinnernde Schatten und weiße leuchtende Ballons dienen dem szenischen Spiel, das eher einet Choreografie gleicht, einem Ritus, der auf der Stelle tritt, als eigentlicher Oper. Gelegentlich senkt sich die Beleuchtungsbatterie. Ein Äußerstes an Dekoration.
Es sind aufeinander folgende Hymnen, Gebete, verinnerlichte Ansprachen und rhythmisch stark gegliederte, ausdrucksvolle Chorgesängen (Chöre David Cavelius), in Endlosschleife. Es ist eine bildlich, eine zeit- und ortlose, abstrakte Inszenierung. Chöre und Sänger führt Kosky gewohnt souverän. Er lässt die Puppen tanzen und gibt dem Affen Zucker. Ein Lob den Chorsolisten, der Komparserie, den Tänzern und Tänzerinnen der Komischen Oper sowie dem Vocalconsort Berlin. Kosky zieht alle Register seines Handwerks und schafft starke Tableaus und eindrucksvolle Aktionen, befleißigt sich auch einer durchgängigen individuellen Bewegungssprache, ähnlich der von Robert Wilson. Das ist schon eindrucksvoll. Und doch wird der Abend lang, sehr lang.
Koskys bekennt: „Fatal wird es aber, wenn man diese Szenen mit pseudorealistischen Bildern vollpackt. Das nimmt alle Kraft aus der Musik. Man muss dem Publikum bei Glass’ Opern zeigen, dass die Musik der Motor und der Auslöser all dieser Sachen ist... Ich habe mich entschlossen, eine Serie von abstrakten Bildern zu erstellen. Meine Inszenierung ist nicht spezifisch, sie ist vielleicht die abstrakteste Inszenierung, die ich je gemacht habe“ (Kosky). In der Tat.
Der Text des fast oratorisch anmutenden Stücks wird Ägyptisch, Akkadisch, Althebräisch und Englisch gesungen, Der Erzähler singt in der Landessprache des Publikums, also hier in Deutsch.
Die um die Geigen reduzierte, wegen des dominierenden Holzes dunkel timbrierte Musik basiert auf einem einfachen. gleichmäßig arpeggierten Dreiklang. „Dieser Dreiklang wird, Ton für Ton, zehnmal, 100 mal, x-beliebig oft, gelegentlich bis zum Überdruss, unverändert wiederholt, stur und nonstop wie von einem Plattenspieler, der sich in einer Rille totläuft. Zur kaum spürbaren Abwechslung wandert die Betonung zunächst von der ersten auf die zweite, später von der zweiten auf die dritte Note. Langsam kommt der Drehwurm auf Touren. Und er schwillt an. Was anfangs nur ein paar Streicher intoniert haben, geht nun behutsam auf das volle Orchester über. Der Akkord wechselt die Farbe, die alte Leier beginnt zu changieren. Das alles immer wieder hintereinander, stur und nonstop.“ (Klaus Umbach)
Man hat den Eindruck, die musikalische Entwicklung kommt nicht von der Stelle. Sie rotiert wie bei einer Gebetsmühle. Für Manche gleicht dieses musikalische Prinzip eher einer Nervensäge. Was die Monotonie der Musik befördert ist die Tatsache, dass auch die Stimmen quasi instrumental funktionieren. Die vielen überzeugenden Solisten des großen Ensembles bezeugen es.
Der Dirigent Jonathan Stockhammer tut sein Bestes, der Minimal Music von Glass Opulenz, Klangschönheit und satte, kraftvolle Prägnanz zu verleihen, er hat sie rhythmisch geschärft. Bewundernswert, wie das Orchester der Komischen Oper den Marathon dieser Aufführung mit Präzision, Kraft und Expressivität durchsteht.
Koskys Credo allerdings kann man, wie die Minimal Musik an sich, annehmen oder ablehnen: „Dass uns die Musik durch diese endlosen Zeitloops und Kreisen etwas gibt, das tief mit der menschlichen Seele verbunden ist. Glass hat durch seine Beschäftigung mit Hindi- und Sufi-Musik etwas Entscheidendes gefunden: Die Musik ist fast wie ein Mantra. Echnaton ist eigentlich keine Oper, sondern ein gespieltes Mantra“ (Kosky).
Aber ein strapaziöses!
Rezensionen in "Oper & Tanz und "Der Opernfreund"