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Hans Rudolf Vaget: Richard Wagners Amerika. Eine Ausgrabung
Wagner in der Diskussion Bd. 24
Königshausen & Neumann, 2022, ISBN 978-3-8260-7586-5
Terra incognita: Wagners Amerika
Über kaum einen anderen Komponisten ist so viel geschrieben worden wie über Richard Wagner und doch gibt es immer noch weiße Flecken in der Wagnerbiographik. Dazu gehört (neben dem offiziellen, allbekannten Sehnsuchtsort Paris) zweifellos Amerika „als heimlicher Sehnsuchtsort“, wie der Harvard-Gelehrte und Wagnerspezialist Hans Rudolf Vaget in seinem neusten Buch schreibt. Tatsächlich, so moniert Vaget, „ist der „Gedanke, dass … Amerika…ein wesentlicher Faktor … seiner Künstler-Existenz ist, in der deutschen Wagner-Literatur bisher kaum ernsthaft in Betracht gezogen worden.“
Der Amerika-Plan war eine der fixen Ideen Wagners seit 1854, als er Konzertangebote aus Amerika erhielt. Aber noch am 1. Februar 1880 habe Wagner, so Cosima, im Familienkreis geäußert, „er wolle nach Minnesota ziehen, Haus und Schule gründen und den Amerikanern den „Parsifal“ widmen; in Deutschland halte er es nicht mehr aus.“
Als der steckbrieflich verfolgte, ins schweizerische Exil geflohene Dresdner Revolutionär, endlich amnestiert, nach Deutschland zurückkehrte, ertrug er Deutschland und die Deutschen nicht mehr, weshalb er sich zeitweise ernsthaft mit dem Gedanken der Auswanderung in die USA befasste. Aus Neapel teilte Wagner dem befreundeten amerikanischen Zahnarzt Dr. Jenkins am 8. Februar 1880 mit, dass er sich bei finanzieller Gegenleistung vielleicht doch noch dazu entschließen könne, mit seiner ganzen Familie und seinem letzten Werk für immer nach Amerika auszuwandern.“
Nur sein Alter und seine Herzprobleme brachten ihn schließlich davon ab. Hans Rudolf Vaget kennt diese Zusammenhänge bestens und weiß sie zuzuordnen historisch wie biographisch. Er stellt dem deutschen Wagnerismus den hierzulande wenig Bekannten amerikanischen Wagnerismus entgegen.“ Seine Kronzeugen, deren Texte Vaget ausgegraben hat sind der Dirigent Anton Seidl, enger Mitarbeiter in Wagners „Nibelungen-Kanzlei“ in Bayreuth, der in New reüssierte sowie der Zahnarzt Dr. Nevill Sill Jenkins (den er aus Dresden her kannte). Ob das „Mehr-als-Deutsche an Wagner und seinem Werk“ als ‚amerikanisch‘ gedeutet werden darf, sei dahingestellt. Es ist wohl eine Übertreibung. Aber Vaget hat immerhin den Blick geöffnet für das Thema und damit kenntnisreich und informativ eine Lücke in der Wagnerliteratur geschlossen.
Rezension aus in "Orpheus"