Musik-Theater & mehr
Photo: Bayreuther Festspiele / Widmungsexemplar im Privatbesitz von Dieter David Scholz
Astrid Varnay ist tot
Nachruf auf eine der größten Wagner- und Strauss-Sängerdarstellerinnen
Fast zwei Jahrzehnte lang hat sie mit ihrem dramatischen, dunklen Timbre, ihrer scharfen Diktion und ihrer unvergleichlichen Darstellungskraft die Bayreuther Festspiele mitgeprägt. Sie war eine Protagonistin Wieland Wagners, der, auf sein karges Bühnenbild bei einer Bayreuth-Aufführung angesprochen, der Varnay das legendäre Kompliment machte: „Was brauche ich einen Baum auf der Bühne, wenn ich Astrid Varnay habe?!“ Auf dem Grünen Hügel feierte die in Stockholm geborene Künstlerin Triumphe als Brünnhilde, Isolde, Kundry und Ortrud, nachdem sie an der New Yorker Met über Nacht ein Star geworden war. Später hat sie im Charakterfach, als Klytemnästra, Herodias und Amme Maßstäbe gesetzt. Wer sie nie auf der Bühne erlebte, hat etwas in seinem Leben versäumt!
Astrid Varnays ungarischer Vater Alexander Varnay (1889-1924) war ein Tenor, der bis zum Umzug der Familie in die USA 1920 als Regisseur und Produzent an der Königlichen Oper von Stockholm arbeitete. Ihre ungarische Mutter Maria Javor war eine anerkannte Koloratursopranistin. Astrid Varnay studierte zunächst bei ihrer Mutter, dann bei Hermann Weigert, ihrem späteren Mann. 1941 debütierte sie an der Metropolitan Opera, indem sie für Lotte Lehmann als Sieglinde einsprang. Wenige Tage später sprang sie für Helen Traubel als Brünnhilde ein. Als erste Amerikanerin - sie hatte 1943 die US-Staatsbürgerschaft angenommen - sang Astrid Varnay 1951 bei den Bayreuther Festspielen. Kirsten Flagstad hatte sie empfohlen. Bis 1968 trat sie jedes Jahr in Bayreuth auf. Nach dem Tod ihres Lehrers und Ehemanns Hermann Weigert, den sie 1944 geheiratet hatte, übersiedelte Astrid Varnay 1955 endgültig nach Europa und liess sich in München nieder. Sie war war als Gesangspädagogin ausserordentlich geschätzt und hat ihre sehr ernsthaften, lesenswerten Lebenserinnerungen hinterlassen "Hab mir´s gelobt" (Henschel Verlag). Noch bis vor wenigen Jahren konnte man Astrid Varnay in kleinsten Rollen auf der Bühne der Münchner wie der Wiener Staatsoper erleben. Am Montag den 4. September 2006 ist sie in einem Münchner Krankenhaus im Alter von 88 Jahren verstorben. Vergessen wird sie nie, wer sie jemals erlebt hat, auf der Bühne oder privat. Sie war eine grosse Künstlerin und ein grosser, ein liebenswerter Mensch.
Zur Erinnerung mein Gespräch mit Astrid Varny aus meinem Buch
"Mythos Primadonna" (1999, Parthas-Verlag)
Tu nichts, das nicht etwas bedeutet!
Frau Varnay, Sie sind Kind einer echten Theaterehe. Ihre Mutter war eine Koloratursopranistin, Ihr Vater ein Tenor und Theaterimpresario. Wann haben Sie zum ersten Mal beschlossen, Sängerin zu werden?
Ich wollte eigentlich Konzertpianistin werden. In der Schule sang ich in einem Chor. Der Chorleiter, ein gewisser Herr Schwarz, hat sich meine Stimme angehört und bat meine Mutter eines Tages zu einem Gespräch und meinte, meine Stimme müsse unbedingt ausgebildet werden. Ich habe darüber, ehrlich gesagt, nicht viel nachgedacht. Erst als ich zeitweise einen Job in einem New Yorker Antiquariat hatte, in der 57th Avenue, wo sich auch das große Steinway-Building befindet, wurde mir klar, was ich wirklich wollte. In diesem Steinway- Haus gab es viele Zimmer, in denen Gesangsunterricht abgehalten wurde. Und was da manchmal aus den Fenstern tönte, hörte sich an, als ob Schlachtvieh umgebracht würde. Da wußte ich: das kann ich besser und sagte meiner Mutter entschlossen, daß ich Gesang studieren wolle! Meine Mutter hat daraufhin begonnen, sehr ernsthaft mit mir zu arbeiten. Sie ließ von Anfang an keinen Fehler durchgehen, wir haben jeden Tag hart gearbeitet. Meine ganze Stimmbildung verdanke ich ihr, und auch meine ersten Rollen-einstudierungen hat sie betreut, „Troubadour“ und etwas aus „Aida“.
An einer Musikhochschule haben Sie nie studiert?
Nein, ich habe alles privat gelernt! Zunächst bei meiner Mutter, die mir natürlich sehr viele Erfahrungen aus ihrem Bühnenleben mitgeben konnte. Dann kam der Moment, wo sie, wie in jedem Jahr, ihre Freundin Kirstin Flagstadt anrief, das war 1939, und ihr berichtete, daß ich Gesang studierte und mich auf die Opernlaufbahn vorbereitete. Frau Flagstadt wollte mich gern anhören, aber als sie dann da war, haben die beiden Damen sich so viel aus der Vergangenheit zu erzählen gehabt, daß es zum Vorsingen gar nicht kam. Aber die Flagstadt hat etwas angeregt, was einen großen Einschnitt in meinem Leben zur Folge hatte. Frau Flagstadt meinte, ich solle von einer kräftigeren Hand unterrichtet werden, um an das Wagnerrepertoire herangeführt zu werden. Und sie hielt einen gewissen Hermann Weigert für den Richtigen. Mit Weigert hatte die Flagstadt 1935 korrepetiert, als sie das erste Mal an die Met kam, und sie hielt sehr viel von ihm als Wagnerkenner und Gesangspädagoge! Meine Mutter hat ihm geschrieben und bat um ein Vorsingen. Mittlerweile hatten auch andere Künstler, die wir kannten, Hermann Weigert wärmstens empfohlen. Alle Wege führten zu diesem Mann! Und dann habe ich ihm vorgesungen, Elisabeths Hallenarie mit Volldampf, um zu zeigen, daß ich eine große Stimme habe. Er hat mich persönlich begleitet und fragte, ob ich nicht etwas leiser singen könne und vielleicht auch etwas mehr legato. Und dann durfte ich Elsa singen. Daraufhin sagte er meiner Mutter, daß er mich gern im Wagner-Fach entwickeln wolle, aber nur unter einer Bedingung, er bestand darauf, daß ich drei Jahre lang nur bei ihm studieren solle und nirgendwo außer bei ihm und meiner Mutter singen dürfe. Keine Tingeleien!
Was brachte Ihnen Hermann Weigert bei?
Er lehrte mich gestalterischen Ausdruck! Er hat mir mit seiner wunderbaren pädagogischen Begabung den tieferen Sinn, die Hinter-gründe, den Kern der Rollen klargemacht und auf subtile Darstellungsnuancen geachtet. Er hat übrigens nicht mit jedem gearbeitet, nur mit Profis und mit Leuten, wo man berechtigte Erwartungen haben konnte! Ich glaube, das ist auch richtig, denn Gesangsunterricht aus Zeitvertreib, quasi als Hobby, stiehlt doch nur denen etwas von der kostbaren Studienzeit, die zwecks Profession und aus Berufung weiterkommen wollen!
Eine folgenreiche Begegnung, denn Hermann Weigert war ja nicht nur ihr Mentor, Betreuer und Weggefährte in Sachen Wagner!
So ist es. Eines Tages kam ich in der Frühe zu ihm und war empört über einen Anruf eines jungen Verehrers, der mir gesagt hatte, er wolle mich unbedingt retten vor dieser Wagner-Singerei und ich solle ihn heiraten und ihm statt dessen als brave Ehefrau jeden Tag sein Frühstück zubereiten. Ich fand das außerordentlich ärgerlich und erzählte es Hermann Weigert. Und da hat er mich angeschaut und gesagt: Das würdest Du mir doch nicht antun? Und da wußte ich, daß dieser Mann ein Teil meines Lebens geworden ist. 1945 haben wir geheiratet. Hermann Weigert hat übrigens auch viele Kenntnisse im italienischen und französischen Fach gehabt. Aber wir merkten beide, daß meine Stimme vor allem diese lyrisch-dramatische, später dann eine ausgesprochen dramatische Qualiät hatte. Leider hat unsere Ehe nur elf Jahre gedauert, weil er so früh verstorben ist. Und dann war ich allein! Aber er hat mir alles beigebracht, was ich wissen und können mußte, auch in finanziellen Dingen! Er hat mich selbständig gemacht. Was will man mehr? Das war ein großer Glücksfall!
Ein Glücksfall war aber auch ihre Senkrechtkarriere an der Met!
Ja, allerdings! Gerade, weil es zunächst gar nicht danach aussah! Hermann Weigert meinte, nach drei Jahren intensiven Studiums würde ich mein Wagner-Repertoire beherrschen. Das Geld reichte aber nicht für drei Jahre. Ich arbeitete eisern, habe von Weigert alles mit Aufmerksamkeit eingesogen, um es in anderthalb Jahren zu schaffen, mir 14 Opernpartien zu erarbeiten. Hermann Weigert wollte dann, vielleicht weil er die Distanz mir gegenüber verloren hatte, die Urteile anderer einholen, und er hat zunächst seinen Freund George Szell gebeten, mich anzuhören. Ein großer Musiker, wenn auch nicht sehr herzlich im Umgang, der meine Aussprache und Musikalität lobte und mir empfahl, dem Generalintendanten der Met vorzusingen. Ich sang in einem ganz kleinen Zimmerchen vor. Er war interessiert und lud mich viel später zu einem zweiten Vorsingen ein. Ich sollte mein ganzes Repertoire angeben. Ich schrieb ihm also einen langen Brief mit den vielen Partien, die ich studiert hatte und auch jenen, die ich gerade erarbeitete. Wie ich hinterher erfuhr, amüsierte man sich über diese junge Möchtegern-Sängerin mit den großen Ambitionen. Aber man war neugierig geworden auf mich. Ich mußte zwei geschlagene Stunden vorsingen und wurde regelrecht ausgequetscht. Man wollte mich aufs Glatteis, bis an meine Grenzen führen. Mit der Zeit merkte ich, wie die schmunzelnden, ironischen Blicke der Herren einem Staunen wichen. Ich hatte mit Brünnhildens Schlußgesang angefangen, da kann man alles zeigen. Ich mußte noch ein drittes Mal vorsingen, und zwar auf der Bühne, was verständlich ist bei einem Haus von über 3000 Plätzen. Ich wurde - wiederum erst nach langem Warten - an einem sommerlichen Maitag eingeladen und mußte Brünnhildens „Hojotohe“-Rufe singen, gerade als ein furchtbares Gewitter losging. Ich fühlte mich wie Wotans Tochter und wußte, daß das gutgehen würde. Ich wurde daraufhin sofort engagiert. Der Intendant persönlich reichte mir die Hand und wünschte meinen Agenten zu sprechen. Ich hatte natürlich noch gar keinen damals. So empfahl mir Herr Johnson einen Agenten, einen Mr. Mertens von der Columbia Artists Management. Der gab mir dann auch gleich einen neuen Vornamen, Astrid, denn mein eigentlicher, Virginia, erinnerte ihn zu sehr an einen damals recht populären Markenschinken namens „Virginia Ham“.
So kam ich an die Met. Man wollte mich am kommenden Januar als Elsa einsetzen. Aber das Schickal wollte es anders. Ich kam zu einer Probe zu Erich Leinsdorf, der nicht etwa Elsa mit mir üben wollte, sondern verlangte, daß ich die Sieglinde singen solle, aber nur markierend. Er wollte wissen, ob ich die Partie musikalisch beherrsche. Mit leisester Stimme hab ich dann Sieglinde gesungen. Das war ein Freitag. Danach sagte er, fein Mädchen, gehen Sie jetzt bitte zum Kostümfundus und in die Maske. Da fiel der Groschen bei mir. Lotte Lehmann hatte abgesagt. Helen Traubel war die Brünnhilde. Man konnte die Samstagnachmittags-Walküre, die schließlich auch live im Radio übertragen wurde, auf keinen Fall absagen, niemand anders war frei, so warf man mich ins kalte Wasser. Am nächsten Tag sang ich also Sieglinde. Und das war ein großer Erfolg für mich, es war am 6. Dezember. Und was macht das Schicksal? Sechs Tage später erkrankte Frau Traubel und ich mußte die Brünnhilde singen. Es ist wie ein Roman. Und ich kam mir vor wie Aschenbrödel, das plötzlich einen silbernen Schuh trägt und vom Prinzen erlöst wird.
Diesen Roman haben sie ja auch als Buch der Öffentlichkeit vorgelegt. Was war das stärkste Motiv für Sie, diese Memoiren zu schreiben?
Dankbarkeit für das viele Erlebte! Ich hatte glücklicherweise einen sehr gründlichen und korrekten Mitarbeiter, der mich schon aus den USA her kannte und vieles von mir erlebt hat, eine Art Sekretär, kein Ghostwriter, der in dreieinhalb Jahren harter Arbeit meine endlosen, auf Band diktierten Erinnerungen zu Papier bachte, die ich dann stilistisch und inhaltlich redigierte. Ich wollte vor allem meinen Großeltern und Eltern ein Denkmal setzen mit diesen Erinnerungen, meinem Mann Hermann Weigert, aber auch vielen anderen Menschen. Gewidmet habe ich das Buch „the men in my life“, denn die Männer waren es, die mein Leben bestimmten. Es fing an mit meinem Vater, dann kam Hermann Weigert. Und der Dirigent Fritz Reiner behauptete zurecht, wenn er nicht gewesen wäre, hätte ich nicht gelebt. Er hat mich ja auch wirklich in einer Weise gefördert, daß er zurecht sagen durfte: „Vergiß nicht, du bist es mir schuldig, daß du am Leben bleibst und singst!“ Wie er Wagner und Richard Strauss dirigierte, das war einfach phantastisch! Aber auch Hans Knappertsbusch, Joseph Keilberth und Rudolf Kempe in Bayreuth habe ich geliebt. Nicht zuletzt Herrn Johnson, diesem Intendanten der Metropolitan Opera habe ich viel zu verdanken. Ich denke natürlich sehr gern an Mitropoulos zurück, mit dem ich, kaum über dreißg Jahre alt, erstmals die „Elektra“ machte. Aber auch George Szell und Erich Leinsdorf bin ich sehr verbunden, ebenso Gustav Gründgens, Wieland und Wolfgang Wagner. Sie alle waren außerordentlich wichtig in meinem Leben!
„Hab mir´s gelobt“ überschrieben Sie Ihre Memoiren. Warum zitieren Sie ausgerechnet die Marschallin aus dem „Rosenkavalier“?
Weil ich mir´s gelobt habe, daß die Interpretation 50 Prozent Darstellung ist und 50 Prozent Singen. Nur so kommt es zu hundertprozentiger Überzeugung auf der Bühne.
10 Jahre waren Sie an der Met, 1941 bis 1951, bevor Sie nach Bayreuth kamen, nicht zuletzt auf Empfehlung von Kirstin Flagstadt, als eine der ganz wenigen, die ohne je vorzusingen, engagiert wurden.
Wieland und Wolfgang wollten 1951 ja an sich die Flagstadt noch einmal nach Bayreuth bitten. Aber sie lehnte ab und empfahl mich. Wir hatten schon zusammen gesungen an der Met und in London. Nur um in Europa vorzusingen, wäre ich nie nach Bayreuth gereist. Das wären für mich damals auch viel zu teure Ausgaben gewesen. Außerdem war ich auf dem Theater sehr beschäftigt. Schließlich hat man mich ohne Vorsingen engagiert für den ganzen „Ring“.
Neben der Mödl, der Rysanek, der Silja und der Nilsson waren Sie dann für Jahrzehnte eine der Säulen Nachkriegsbayreuths, die die Ära „Neubayreuth“ getragen haben. Was war das für eine Zeit?
Das Land und die Stadt waren damals sehr arm, die Menschen pilgerten zu Fuß auf den Grünen Hügel, es war eine Zeit der Hoffnung, des künstlerischen Aufbruchs, des Wiederaufbaus. So war auch gemeint, was Wieland Wagner damals auf Handzetteln drucken ließ: „Hier gilt´s der Kunst!“. Wir zogen den Karren der Oper aus dem Dreck! Man kam dorthin, man schlief dort, man aß dort, man probierte und gab Vorstellungen. Wir waren eine Zweckgemeinschaft! Und dieser Zweck war die Kunst. Nicht das Geld! Und das Publikum war unerhört dankbar. Nachdem ich in Bayreuth debütiert hatte, rief mich im gleichen Jahr Berlin und schon ein Jahr später München. Später habe ich auch in Salzburg einen Sommer lang die „Elektra“ gesungen. Aber ansonsten hielt ich die Trennung Salzburg - Bayreuth strikt ein. Ich reiste sehr viel in Europa umher und habe mein Stammhaus, die Metropolitan, schließlich für 18 Jahre aufgegeben. Das war nicht unriskant.
Im Nachkriegs-Bayreuth wagte man Neues in Bayreuth, auch mit neuen Sängern! Der Regisseur Wieland Wagner formte eine neue Art von Wagnerdarsteller.
Ja, das stimmt. Es gab ein großes Interesse an jungen, neuen Sängern. Wir waren damals zwar alle jung, aber einige von uns hatten doch sehr viel Erfahrung. Ich hatte das große Glück, schon in Amerika mit Lothar Wallerstein zusammenzuarbeiten. Er hat mir die Geistes-gegenwart auf der Bühne beigebracht und mir den obersten Grundsatz eingebleut: Mach keine Bewegung, die nicht etwas bedeutet! Das war immer mein oberstes Credo auf der Bühne, von Anfang an und für mein ganzes weiteres Bühnenleben. Außerdem hatte ich mir immer viel Sprechtheater angesehen und habe dort viel abgeschaut. Ich habe als Brünnhilde niemals den Speer einfach so hin und hergeworfen! Als ich zu Wieland Wagner kam, wußte ich intuitiv, was er wollte: Entrümpelung, weg vom deutschtümelnden Naturalismus und vom nationalen Pathos, Vermenschlichung der Götter, Psychologisierung des Mythos. Wir waren von Anfang an auf einer Wellenlänge in Darstellungsfragen. Ich mußte von ihm eigentlich nichts lernen. Ich fand bei ihm nur einen geeigneten Nährboden für das, was ich ohnehin schon verinnerlicht hatte! Er brauchte mir nur zu sagen, was er sich vorstellte, und das tat er ja immer sehr wortreich und anschaulich, ich konnte es sofort übersetzen ins Körperliche. Und das ging nicht nur mir so.
Hatten Sie Lieblingsrollen in Bayreuth?
Das kam auf den Partner an, ich sang ja mit Wolfgang Windgassen und Ramon Vinay, Hermann Uhde und Hans Hotter. Es gab ein unerhörtes sängerdarstellerisches Reservoir nach dem Zweiten Weltkrieg. Die kleinsten Rollen waren hervorragend besetzt, deshalb machte jede Partie Spaß. Ich habe alle gern gesungen. Das Arbeitsklima war auch sehr gut, obwohl ein strenges Reglement geführt wurde. Die Probenzeiten waren ungewöhnlich lang. Man hatte viel Zeit, man probierte und diskutierte viel, selbst mit dem oft sehr verschlossenen Wieland. Wolfgang Wagner war immer schon viel offener und unkomplizierter gewesen. Nur seine fränkische Aussprache machte mir anfangs Probleme.
Nicht zuletzt durch ihre lange und nachdrückliche Präsenz in „Neubayreuth“ sind Sie zu einer lebenden Legende des Wagnergesangs geworden. Wollten Sie von Anfang an eine Wagnersängerin werden?
Mein Schicksal hat mich, auch wenn ich zunächst das italienische Fach studierte, von Anfang an zur Wagnersängerin bestimmt. Aus der Rückschau betrachtet, kann ich nur sagen, es war richtig so! Natürlich habe ich neben einer Ortrud gern die Elektra gesungen und die Lady Macbeth. Ich hätte wahnsinnig gern einmal eine Donna Anna oder eine Tosca, eine Elvira und eine Amelia gesungen. Ich bin ja auch mit der italienischen Sprache aufgewachsen. Aber ich habe mich schließlich auf Wagner spezialisiert. Man kann nicht alles machen. Es ist ja schon schwer genug, nach einer Isolde eine Senta zu singen, obwohl ich beide gern sang und bei der Senta meine lyrischen Ambitionen entfalten konnte. Man kann nicht italienisches und deutsches Fach parallel singen. Viel später allerdings habe ich als komische Alte, als Zita in „Gianni Schicchi“ mein italienisches Temperament noch einmal ausleben dürfen.
Als Sie die hochdramatischen Partien nicht mehr sangen, haben Sie im Charakterfach eine zweite Karriere gemacht.
Es gab eine Zeit, nachdem ich 30 Jahre Heroinen gesungen hatte, wo ich nicht mehr garantieren konnte, in jeder Vorstellung ein gutes „Johotohe“ singen zu können. Das war eine schwierige Phase meines Lebens! Ich hatte gemerkt, daß etwas Schwerwiegendes mit meiner Stimme geschehen war. Meine Muter hatte mir einen guten Rat mitgegeben. Sie sagte: „Wenn etwas in der Stimme binnen drei Jahren nicht zu richten oder zu korrigieren ist, dann leg die Partie ab!“ Diesen Rat befolgte ich. Schon als ich noch die hochdramatischen Partien sang, hatte Wieland Wagner mir die Herodias in der „Salome“ angeboten. Ich hab’ sie dann gesungen und fand viel Spaß daran. An sich singt sie ja nicht viel mehr als sieben Minuten am Stück, aber sie muß immer präsent sein! Und aus Miniaturen etwas Großes zu machen, erfüllt auch! Als Seefehlner in Berlin Intendant wurde, wollte er mich als Klytämnestra für seine Eröffnungsvorstellung engagieren. Ich war damals der Meinung, bis ein echter Kontraalt oder ein herausragender Mezzosopran kommt, kann ich die Klytämnestra vor mir und dem Publikum verantworten. So begann meine zweite Karriere, in der ich auch die Amme in der „Frau ohne Schatten“ sang, die Mary im „Holländer“ und in vielen anderen, auch kleineren Rollen. Ich war darüber sehr glücklich, denn nach dreißig Jahren aufzuhören, daran war natürlich nicht zu denken.
Sie haben dann ja auch angefangen, Ihre Erfahrungen als Sängerdarstellerin an die jüngeren Generationen weiterzugeben.
Ja, zunächst in Düsseldorf, dann in München. Der Unterricht in „musikdramatischer Unterweisung“ an der Bayerischen Staatsoper, wo ich meine Erfahrungen an jüngere Kollegen weiterreichen durfte, hat mir immer viel Freude gemacht. Ich glaube, ich habe ein genaues diagnostisches Auge und Ohr. Wolfgang Sawallisch, der sehr viel vom Singen versteht, hat mich für das Opernstudio in München geholt, weil er wie ich der Meinung war, daß Sänger nicht bloß dumm herumstehen und herumfuchteln sollen auf der Bühne.
Sie gehören zu einer Generation von Wagnersängern und Ausdruckskünstlern, die ausgestorben zu sein scheinen. Warum steckt der Wagnergesang seit Jahren in einer Krise?
Ich glaube, das Wort „Fach“ hat sich verändert. Es ist doch die Frage, soll ein Mensch etwas über seine Fähigkeiten hinaus tun oder nicht! Natürlich herrscht auch Mangel an Stimmen. Es gibt wenig wirklich hochdramatische Sänger heute. Das Wagner-Fach ist nun mal ein Luxusfach. Das war es aber schon immer. Wagner zu singen ist zuerst einmal eine Konstitutionssache. Man muß ein gewisses Volumen haben und die Fähigkeit, stundenlang zu singen. Das Wichtigste dabei ist, daß die Stimmbänder und die Halsmuskeln nicht müde werden. Das sind die Säulen des Wagnergesangs. Ich habe von der Natur das Kapital einer robusten Stimme mitbekommen. Aber ich habe sie langsam und kontinuierlich trainiert, wie ein Sportler seinen Körper trainiert. Natürlich kann man kein Rindersteak aus einem Stück Kalbfleisch machen, auch nicht aus einer Violine ein Cello. Und natürlich braucht man auch körperliche Kraft. Es war übrigens in der „guten alten Zeit“ selbstverständlich, daß man gut gegessen und getrunken hat. Ein bißchen „Umrandung“ braucht man schon, um genügend Kraft und Konstitution für eine Brünnhilde oder einen Siegfried zu haben. Aber auch die Ausbildung war zu meiner Zeit viel länger als heute. Die Italiener haben manchmal fünf bis zehn Jahre stimmlich studiert. Die Stimmbänder müssen sich langsam ans Singen gewöhnen. Man sollte technisch anfangen, und in geduldigen Übungen warten, bis sich und ob sich eine Entwicklung zeigt. Ich finde, heutzutage wird die Technik zwar sehr gepflegt, in der Frage des Stils scheiden sich schon die Geister, aber das Fach, das wird meist übersprungen. Es gibt ohne Frage sehr gute Sängerinnen und Sänger, aber sie singen oft Partien, die über ihre Kräfte gehen. Das verkürzt die Lebenszeit ihrer Stimmen. Der Wunsch einer Soubrette, eine Donna Anna oder eine Isolde zu singen, ist illusorisch. Eine schöne Stimme, die für Mozart geeignet ist, müßte erst einmal einige Jahre üben, um zu sehen, ob für sie Wagner überhaupt geeignet ist auf Dauer. Aber heute hat keiner mehr Zeit. Alle wollen einspringen und schnell eine neue Partie übernehmen. Ich habe fünf Jahre die Isolde studiert, ehe ich sie zum ersten Mal gesungen habe. Ein Tennisspieler muß täglich üben, um seine Konstitution allmählich zu steigern. Singen ist auch ein Hochleistungssport! Auch beim Singen muß man sich Zeit nehmen. Man darf kein Kaufhaus eröffnen, ohne genügend Waren im Lager zu haben. Da machen die meisten Kollegen heute einen großen Fehler.