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BF Medien GmbH / Fotos: Markus Spona
Telefonisches Gespräch im MDR (Figaro am Mittag), 10. 07.2013
Wagners Frühwerk in der Oberfrankenhalle Bayreuth
„Von Leipzig nach Bayreuth“
Moderator: Zum ersten Mal in der Geschichte der Bayreuther Festspiele werden – aus Anlass des 200sten Geburtstages des Komponisten - in diesem Jahr die drei vom Kanon der festspielwürdi-gen Werke ausgeschlossenen frühen Wagner-Opern „Die Feen“, Rienzi und „Das Liebesverbot“ aufgeführt, die beiden letztgenannten sogar in szenischen Neuinszenierungen. „Die Feen“ als konzertante Aufführung. Das Ganze ist eine Koproduktion mit der Oper Leipzig, die unter dem Titel „Von Leipzig nach Bayreuth“ auf sich auf-merksam macht Auch das ein Novum. Dieter David Scholz war für uns bei den Premieren dabei. Und ist jetzt in Bayreuth am Telefon: Herr Scholz, „Rienzi“, der 1842 in Dresden uraufgeführt wurde, war Wagners zu Lebzeiten erfolg-reichste Oper. Jetzt ist er zum ersten Mal in Bayreuth gezeigt worden, mit Christian Thielemann am Pult. Macht diese späte Bayreuther „Rienzi“-Würdigung verständlich, warum diese Oper einmal so erfolgreich war?
Scholz: Nein. Man darf nicht vergessen, das war Wagners Einstieg in die Liga der anerkannten Komponisten seiner Zeit. Frei nach Edward Bulwer-Lyttons Roman „Rienzi, der letzte der Tribu-nen“ hat Wagner die auratische Gestalt eines Utopisten, der die politische Realität verkennt und an der Scheinheiligkeit des Adels, dem Machtkalkül der Kirche und dem unberechenbaren Wan-kelmut des Volkes scheitert, in den Mittelpunkt der Oper gestellt. Dass sie als einzige Revolu-tionsoper im Geiste der Bewegung des Jungen Deutschland“, musikalisch eine Grand Opéra ganz im Stile Spontinis und Meerbeers, zurecht in ihrer Zeit gefeiert und zu Unrecht von Grünen Hü-gel verbannt ist, das begreift man in der musicalhaft belanglosen Inszenierung von Matthias von Stegemann eigentlich nicht, denn sie setzt vor allem auf bewegte antike Architekturfragmente, Treppen, Plattformen und Videoeinspielungen.
Ein technisches Spektakel, so ernüchternd wie die Oberfrankenhalle, in der es gezeigt wird. Auch das nicht durchweg festspielwürdige Sängerensemble der Produktion kann bis auf wenige Aus-nahmen das Werk nicht beglaubigen. Am überzeugendsten ist noch der stark geforderte Chor der Oper Leipzig und das edel aufspielende Leipziger Gewandhausorchester, dem Christian Thiele-mann am Pult wie ein preussischer Kapellmeister Beine macht und kräftig auf die Pauke haut. Wofür er von seinen Fans gefeiert wurde. Obwohl er keine besondere Liebe zu diesem Werk hat erkennen und hören lassen. Doch das Vorurteil, man müsse diese Oper nicht unbedingt in Bay-reuth spielen, wurde durch die - alles in allem unbefriedigende - Produktion nicht wirklich entkräftet.
Moderator: Die zweite szenische Neuproduktion, die in Bayreuth gezeigt wird, ist die Oper „Das Liebesverbot“, frei nach Shakespeares „Mass für Mass“, die als Eigenproduktion der Oper Leip-zig in Bayreuth ihre Premiere hat, bevor sie dann in Leipzig gezeigt werden wird. Auch ein Wagner-Stück, das man selten sieht. Hat sich diese Ausgrabung gelohnt?
Scholz: Ja, unbedingt! Mit dieser, seiner zweiten Oper wollte sich der junge Richard Wagner als europäischer Komponist etablieren, wovon er seit seiner Jugend träumte, und den Sieg der „frei-en Sinnlichkeit“ über puritanische Heuchelei feiern. Die komödiantische Opernhandlung spielt im sizilianischen Palermo, wo ein deutscher Statthalter den Karneval und die Liebe verbieten will und am Ende eines Besseren belehrt wird. Die Neuproduktion der Oper Leipzig hat der junge, aufstrebende Dirigent Constantin Trinks mitreissend und mit erfreulicher Affinität für Wagners italienisch inspirierte Musik dirigiert. Regisseur Aaron Stil hat das Rossini- wie Bellinihafte Werk als launige "Operette" zwischen Dschungel und Amtsstube beinmuskelanregend inszeniert, ein turbulentes, karnevaleskes Maskenspiel à la Offenbach und en travestie, eine große Gaudi, die vom Publikum stürmisch gefeiert wurde. Das ist erfreulich, denn endlich wurden selbst im konservativen Bayreuth die Vorbehalte gegen diese Opera Buffa vom Tisch geräumt und Wagner von seiner humorigen, ganz „undeutschen“ Seite anerkannt. Schade nur, dass gerade diese Auf-führung nicht im Wagnerschen „Weihetempel“, pardon: im Festspielhaus stattfand,
Moderator: Nun hält man sich in Bayreuth bis heute an den Kanon, wonach nur die zehn Opern und Musikdramen vom »Fliegenden Holländer« bis zum »Parsifal« als Richard Wagners eigentliches, festspielwürdiges Werk gelten. Halten Sie das für berechtigt?
Scholz: Nein, ich finde, da ist man in Bayreuth päpstlicher als der Papst. Dieses ungeschriebene Gesetz der festspielwürdigen und -unwürdigen Wagner-Werke ist doch lange schon fragwürdig. Zumal der berühmte Brief Wagners an Ludwig II. vom 18. November 1882, auf den sich der bis heute gültige Bayreuther Kanon stützt, keineswegs endgültigen Ausschlusscharakter hat. Gerade das frühe, gar nicht zu reden vom unvollendeten Werk Wagners, zeigt ihn doch als Europäer, bestätigt seinen jugendlichen Ausspruch „Hinweg aus Deutschland gehöre ich!“ und bestätigt Nietzsches Diagnose, Wagner sei „Unter Deutschen bloß ein Missverständnis“. Man darf nicht übersehen: Es gibt bei Wagner noch ein Werk neben dem offiziellen Œuvre. Wo wenn nicht in Bayreuth sollte es aufgeführt werden? Aber eben angemessen! Und im Festspielhaus bitte schön, nicht in der Oberfrankenhalle!
Moderator: Nun hat man für viel Geld diese Mehrzweckhalle, die bis zu 6000 Zuschauer fasst, umgebaut. Und alle drei Produktionen des Wagnerschen Frühwerks in Bayreuth werden in ihr aufgeführt. Ist das der falsche Ort für eine solche in Bayreuth geradezu historische Veranstaltung?
Scholz: Hand aufs Herz, man fährt doch nach Bayreuth, um ins Festspielhaus zu gehen, und nicht in eine beliebige, nüchterne, ernüchternde Sportarena. Und die Begleitumstände der Veranstal-tungen in der Oberfrankenhalle ließen sehr zu wünschen übrig. Diese Halle hat weder Atmo-sphäre noch eine zuverlässige Klimaanlage. Der Unmut vieler von weither angereister, schweiss-nasser Premierengäste über die organisatorischen Unzulänglichkeiten der Veranstalter, der Bayreuther Festspiele Medien GmbH, war groß. Zumal die Kartenpreise (zwischen 100 und 500 Euro) gesalzen sind. Kein Wunder, dass viele Plätze frei blieben. Aber auch der Weg zu den unbequemen Sitzplätzen ist kompliziert und unzureichend gekennzeichnet. Der gastronomische Service läßt zu wünschen übrig. Und im Programmheft sind nicht einmal Anfangszeiten, Pausen und Dauer der Aufführungen vermerkt. Nicht wirklich ein Ruhmesblatt für die Bayreuther Festspiele Medien GmbH, die ja schon beim Richard Wagner-Gedenkkonzert Negativschlag-zeilen machte. Aber immerhin hat sie mit Wagners Frühwerk in Bayreuth der Leipziger Oper zu einem schönen Erfolg verholfen. Die Leipziger Oper hat die enorm aufwendige Kooperation als logistischen wie technischen Kraftakt des Transports von Kulissen, Instrumenten, Musikern, Sängern und Chor “Von Leipzig nach Bayreuth“ gestemmt, und das höchst professionell. Und das Gewandhausorchester leistet auf hohem Niveau, wenn auch akustisch benachteiligt, Rekordarbeit, die für sich spricht. Kompliment an Leipzig!
(Beiträge auch in BR-Klassik und DLF "Musikjournal")
Es gibt bei Wagner noch ein Werk neben dem offiziellen Œuvre. Wo wenn nicht in Bayreuth sollte es aufgeführt werden? Aber eben im Festspielhaus bitte schön, nicht in der Oberfrankenhalle!