Intermezzo Dresden

Photo: Monika Rittershaus


„Intermezzo“ – Eine bürgerliche Komödie mit sinfonischen Zwischenspielen in zwei Aufzügen von Richard Strauss. Semperoper Dresden. Premiere am 01.11. 20024

Aufgedonnerte Ehekrisenklamotte: Ein Missverständnis


„Intermezzo“ ist weder Fisch, noch Fleisch, denn es ist ja keine Oper im eigentlichen Sinne, also kein Musiktheater mit musikalischen Nummern wie Ouvertüre, Arien, Chöre, Duette, Ensembles, mit dramatischer Entwicklung usw., aber es ist eben auch kein reines Sprechstück, sondern eine Mischung aus beidem, mit filmschnittkurzen Szenen.
Richard Strauss selbst nennt das Stück „Eine Bürgerliche Komödie mit sinfonischen Zwischenspielen“. Viele Straussianer halten es für ein missratenes Stück, das allenfalls als Experiment gewertet werden dürfe, aber nicht unbedingt aufgeführt werden müsse. Das Stück sei banal, weil es eigentlich nichts anderes als einen Ehestreit austrage, nach dem Motto „Was sich liebt, das neckt sich“. Nach der Arbeit an der komplexen, märchenhaften, vielschichtigen Oper „Die Frau ohne Schatten“ sehnte sich Richard Strauss nach einem durch und durch realistischen Sujet, wirkliche Menschen sollten die Bühne beleben. Was lag näher, als einen Vorfall aus dem eigenen turbulenten Eheleben dramatisch zu zuspitzen?


In schnell wechselnden Episoden zeichnet Richard Strauss mit sicherem Instinkt für das Theatralische im Alltäglichen ein Charakterbild seiner Ehefrau Pauline und seiner eigenen Künstlerexistenz. Die zahlreichen sinfonischen Zwischenspiele gewähren einen Blick in das Seelenleben der Figuren. Ein privat-alltägliches Gegenstück zu jeder Art von „Heldenleben“. Man mag das für trivial halten, zumal sich die Missverständnisse und Zankereien am Ende – halb ironisch, halb unglaubwürdig - auflösen in die im Stück geäußerte Erkenntnis: „das nennt man doch wahrhaftig eine glückliche Ehe“.


Im Mittelpunkt der Handlung steht Christine, die Ehefrau des Hofkapellmeisters Robert Storch. Ein falsch zugestellter verfänglicher Brief lässt sie glauben, ihr Mann hintergehe sie auf infamste Weise mit einer Mieze Maier. Sie durchlebt eine emotionale Achterbahnfahrt – eine Beinahe-Tragödie nimmt ihren Lauf … Ein pikantes Missverständnis beschwört tatsächlich eine veritable Ehekrise im Hause Strauss herauf. Die nicht sehr nervenstarke, hysterische und launische Gattin des auf Dienstreise befindlichen Hofkapellmeisters Storch erreicht das unzweideutige Schreiben einer Mieze Meier an ihren Mann. Christine will sofort ausziehen und sich scheiden lassen, wie der überrumpelte Storch in der Ferne erfahren muss. Es dauert ein Weilchen, bis klar ist, dass Mieze Meier Storch mit dem Kapellmeister Stroh verwechselt und ihr Schreiben falsch adressiert hat.


Dass die Semperoper, die das Stück 1924 uraufführte, sich jetzt entschlossen hat, neben den Strauss-Opern, die sie im Repertoire hat, das selten aufgeführte „Intermezzo“ auszugraben, ist höchst verdienstvoll, zumal das Stück besser und interessanter ist als sein Ruf. Es ist in seiner Brüchigkeit und in seiner Dramaturgie sogar ziemlich modern. Es mutet fast an wie eine Zeitoper der Zwanzigerjahre im Umfeld vonHindemiths „Neues vom Tage“ und Schönbergs „Von heute auf Morgen“. Strauss schwebte ein neues Genre von Spiel- und Konversations-Oper in der Struktur episodischer Szenenfolgen vor. Strauss knüpfte damit an Entwicklungen auf dem Weg zum Musiktheater der Neuen Sachlichkeit an. Die rasche Szenenfolge des Stücks wird durch zahlreiche Zwischenspiele verbunden, in denen die Handlung musikalisch eingeleitet oder fortgeführt wird. Oper im großen Stil gibt es eigentlich nur im Finale. Schon im Kontext seiner Sinfonia domestica hatte Strauss geschrieben: „Die Heirat ist das ernsteste Ereignis im Leben.“ Die zunehmende Gefährdung der bürgerlichen Ehe war in den künstlerischen Diskursen vor allem in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg ein verbreitetes Thema. Doch der Realismus, mit dem Strauss das Thema in „Intermezzo“ behandelte, war neu und Hofmannsthal fremd. Strauss jedoch witterte darin die Spur zu einer neuen Opernform: weg von der Literaturoper, den großen romantischen Stoffen, den übermenschlichen Helden, dem hohen Pathos der Sprache. Ihm schwebte ein neues Genre von Spiel- und Konversations-Opern in der Struktur episodischer Szenenfolgen vor. Hofmannsthal kritisierte die mangelnde Dramatik des Librettos. Es sei ein bloßes „Charaktergemälde“ ohne rechte Handlung. Strauss konterte: „Was sind denn aber auch diese sog. dramatischen Handlungen? Seit 2000 Jahren immer das gleiche: Mord und Totschlag, Intrige des Subalternen gegen den Helden, Verlobung mit überwundenen Hindernissen oder Scheidung – das ist doch alles nicht interessant und so und so oft dagewesen.“[ Strauss sprach sich für die Thematisierung individueller Charaktere und ihrer Konflikte in der Oper aus, ebenso für die Spiegelung der bürgerlichen Alltagswett im Libretto wie in der Komposition. Damit schuf er wesentliche Grundtagen für die weitere Entwicklung des realistischen Musiktheaters im 20. Jahrhundert.


Leider hat der Regisseur Axel Ranisch ein Regisseur, der für Kino, Fernsehen und Theater/Oper arbeitet, die Chance vertan, das Stück adäquat aufzuführen. Er beginnt seine Inszenierung mit einem Liedvortrag Christines im Hause Strauss. Ein Hinweis auf die Sängerinnenkarriere, die Pauline de Ahna, Straussens Gattin ihm zuliebe, der Hausfrauenrolle zuliebe aufgegeben hat, Er traut der bürgerlichen Komödie, wie Strauss sie meinte, offenbar nicht. Er zeigt in filmischer Folge von dreizehn Bildern alltägliche Milieu- und Konversationszustände am Esstisch, beim Schlittenfahren, beim Telefonieren, mit Dienstbotengezänk, Kofferpacken und am Kinderbett als Mosaik aus verfremdetem Komödienstadel, Comics, Scherenschnittprojektionen und Papiertheater mit naiv gemalten Dekorationen, ornamental umrankten, abstrahierten Hängekulissen, mit reichlichem Einsatz der Hubpodien und Versenkungen. Lichtstimmungen (Licht Fabio Antoci) und Bühnennebel rücken das Geschehen in die Nähe von Musicalästhetik. Doch nicht genug damit, Ranisch lässt immer wieder Zitate aus Strauss-Opern auf der Projektionsfläche im Hintergrund der Bühne aufblitzen, gelegentlich rennt Elektra leibhaftig mit dem Beil über die Bühne, das abgeschlagene Haupt des Jochanaan wird herumgereicht und in ausgiebigen Videos läuft Christine durch die Räume der Semperoper und immer wieder sieht man auf Video Strauss und Pauline bzw. Storch und Christine (ein inszenatorisches Doppelgängermotiv) in der Königsloge der Semperoper huldvoll lächeln. Es geht um den Kontrast von Kunst und Leben, Privatheit und Öffentlichkeit. Die bürgerliche Ehekomödie (manche sprechen von Ehekrisenklamotte) wird so zum mittsommernachtsartigen Ehekrampf-Musical aufgedonnert, den sieben historisch kostümierten Damen (Kostüme Alfred Mayerhofer) bereichern, in dem sie oft gemeinsam mit Herren im Frack, tanzend oder flanierend (Choreographie Michael Tucker), durchs Bild rauschen: Es sind die Heldinnen von Straussens Meiserwerken: Freihild (Guntram), Salome, Elektra, Marschallin, Helena Arabella und Danae, zu denen Strauss auch durch seine Gattin inspiriert wurde. Ja, ja: Das Werk im Leben.


Gar nicht musicalhaft, sondern eher hochdramatisch opernhaft kommt dieses „Intermezzo“ musikalisch daher. Unter Leitung des jungen österreichischen Dirigenten Patrick Hahn, er ist mit seinen 29 Jahren bereits GMD der Wuppertaler Bühnen und Sinfonieorchester GmbH. Er entfaltet, vor allem in den sinfonischen Zwischen, die ganze Pracht und kompositorische Kunst des Komponisten, aber in einer ohrenbetäubenden Lautstärke. Das ganze Werk ist bei ihm Richard Strauss im Hochformat. Die Staatskapelle Dresden spielt zwar zum Niederknien schön, aber eben viel zu laut. Die Sänger haben es schwer, um nicht zu sagen keine Chance, den von Strauss geforderten Ansprüchen (Textverständlichkeit) auch nur ansatzweise gerecht zu werden. Die schwedische Sopranistin Maria Bengtsson singt als Christine zugegeben betörende Noten und Klänge, aber man versteht kein Wort von ihr. Der deutsche Bariton Christoph Pohl als ihr Gatte, ist ein Hofkapellmeister Storch im sängerischen Luxusformat. Er ist eine Zierde des Ensembles der Semperoper. Aber auch er hat es schwer, sich gegenüber dem Orchester zu behaupten. James Ley, der noch am besten zu verstehen ist, leiht der Rolle des schnorrenden Baron Lummers seinen schönen und ausdrucksvollen Tenor. Die vielen anderen kleinen Partien wurden durchweg respektabel besetzt. Aber alles in allem in dennoch ein Missverständnis, diese Interpretation, regielich wie musikalisch. Schade.


Rezensionen in: NMZ & Der Opernfreund